Lutz Peters "Geplant war eine andere Veranstaltung"

Solingen · Der Pressesprecher der Stadt berichtet über die Veranstaltungen anlässlich des 25. Jahrestages des Brandanschlags auf das Haus der Familie Genç sowie das urplötzlich gewachsene Interesse deutscher und türkischer Medien.

 Lutz Peters geht davon aus, dass es am Dienstag im Rahmen des Gedenktages keine politische Veranstaltung und keine Wahlkundgebung geben wird.

Lutz Peters geht davon aus, dass es am Dienstag im Rahmen des Gedenktages keine politische Veranstaltung und keine Wahlkundgebung geben wird.

Foto: Melchior

Vor 25 Jahren waren Sie 33 und Leiter der städtischen Pressestelle. Was sind Ihre stärksten Erinnerungen an den Brandanschlag ?

Peters Meine Kolleginnen und ich waren erschüttert. Das hätten wir in unserer Stadt nicht erwartet. Wir waren alle über Pfingsten verreist und haben uns sofort auf den Weg zurück gemacht. Es war klar, dass wir vor Ort gebraucht wurden.

Was hat Sie persönlich am meisten bewegt?

Peters Ich hatte Angst, dass es in unserer Straße geschehen sein könnte. Ich wohnte damals erst seit kurzer Zeit an der Klemens-Horn-Straße. Den frühen und noch vagen Medienberichten nach hätte es auch dort passiert sein können. Außerdem erinnere ich mich intensiv daran, dass wir an der Unteren Wernerstraße vor den aufgebahrten Särgen standen und ich in Solingen zum ersten Mal einen Imam beten hörte. Ich habe mich damals dafür geschämt, dass ich nicht wusste, dass es ein entfaltetes muslimisches Leben in Solingen gab. Das hat mein Leben verändert.

Weil Sie begonnen haben, sich mehr mit anderen Kulturen zu beschäftigen?

Peters Ich hatte das Gefühl, ein Stück Pogromnacht erlebt zu haben. Es wurde mir klar, dass wir uns mehr interessieren mussten. Solingen war nie eine rechtsradikale Stadt, aber wir mussten heraus aus der Zuschauerrolle. Das sahen andere übrigens genauso: Nach dem Brandanschlag stand ein Grieche, den ich sonst nur im Hausflur gesehen hatte, vor meiner Tür und sagte: Wir müssen uns kennenlernen. Er hat den ersten Schritt gemacht. Er und andere haben mich und meine Frau eingeführt in unsere multikulturelle Nachbarschaft, die wir vorher gar nicht wahrgenommen hatten. Daraus sind lebenslange Freundschaften entstanden. Der griechische Nachbar von damals ist heute der Patenonkel meiner Tochter. Nach griechischer Tradition sind unsere Familien seitdem verwandt.

Es hat aber auch Ihre Arbeit als Leiter der Abteilung Kommunikation und Stadtmarketing beeinflusst. Allerdings nicht genug, findet beispielsweise Winfried Borowski, Leiter der Jugendhilfewerkstatt. Sein Kommentar in einer Fernsehdokumentation: "Die Stadt hält sich zurück".

Peters Die Kritik bezog sich allein auf das Mahnmal der Jugendhilfewerkstatt an der Mildred-Scheel-Schule. Die Kritik verstehe ich nicht: Es kann doch kein besseres Mahnmal geben als eines, das von der Bürgerschaft getragen wird und weiter wächst. Die ersten Ringe wurden von Jugendlichen geschmiedet, von denen der langjährige Werkstattleiter Heinz Siering damals annahm, dass einige selbst anfällig für rechte Parolen sein könnten. Das kann die Stadt doch nicht toppen, indem sie das Mahnmal übernimmt.

Borowski wünscht sich auch, dass Solingen als Mahner in ganz Deutschland auftritt: "Den Auftrag hat man bis heute nicht begriffen."

Peters Solingen ist bereits führend bei der Integration, und wir nutzen grundsätzlich jede Gelegenheit, das bekannt zu machen. Es geht ja nicht nur ums Mahnen. Es geht darum, pragmatische Wege zur besseren Integration aufzuzeigen. Die strategische Neuausrichtung nach 1993 trug anfangs die Handschrift von Oberbürgermeister Gerd Kaimer und Oberstadtdirektor Ingolf Deubel. Jeder Oberbürgermeister danach hat diese Linie weitergeführt und neue Akzente gesetzt. Dahinter stand ein breiter politischer und vom Rat einstimmig beschlossener Auftrag. Die Funktion des Ausländerbeauftragten wurde beispielsweise neu ausgerichtet. Für dieses Konzept wurde die Stadt 2005 mit dem Integrationspreis des Bundesinnenministeriums und der Bertelsmann-Stiftung ausgezeichnet. Wir setzen Zeichen für Versöhnung und gegen Rassenhass. Da haben wir einen Auftrag für ganz Deutschland. Wahr ist aber auch, dass sich abseits bestimmter Gedenktage überregionale Medien nicht dafür interessieren, was in Solingen stattfindet.

Und dann lassen sich 80 Journalisten und Teams für Veranstaltungen zum 25. Jahrestag akkreditieren . . .

Peters Bis vor vier Wochen war eine ganz andere Veranstaltung geplant, als wir sie jetzt ausrichten: ein stilles Gedenken. Mit dem Auftritt der Außenminister ist uns die Planung ein Stück weit aus der Hand genommen worden. Bis zum 26. April hatten wir relativ wenige Anfragen, die hauptsächlich von deutschen Redaktionen kamen. Inzwischen wollen alle relevanten deutschen Medien und auch türkische Pressevertreter kommen. Mit den offiziellen Staatsbesuchen ist das Medieninteresse steil nach oben gegangen.

Was sicher auch der Befürchtung geschuldet ist, dass der türkische Außenminister Wahlkampf treiben könnte.

Peters Ich gehe ganz klar davon aus, dass es keine politische Veranstaltung und keine Wahlkundgebung wird. Seit 25 Jahren nehmen türkische Politikerinnen und Politiker teil. Vor fünf Jahren war der türkische Justizminister in Solingen.

Wie wollen Sie die Bedenken der Solinger zerstreuen, die kein Türkisch verstehen ?

Peters Wie bei jeder Gedenkveranstaltung wird es eine Broschüre mit den (übersetzten) Redetexten und Gebeten geben. Sie wird vor Ort verteilt. Und sie ist bereits ab morgen, 16 Uhr, aber auch als Download im städtischen Webportal vorhanden.

Ältere Solinger erinnern sich noch gut an die Ausschreitungen nach dem Brandanschlag. Wie viele Sorgen muss man sich diesmal machen ? Immerhin rückt wieder ein großes Polizeiaufgebot an.

Peters Man sollte sich keiner Panik hingeben. Dafür sehe ich keinen Anlass. Die Ausgangslage ich ja auch eine andere. Damals gab es eine Welle der Empörung nach einem feigen Mord an fünf Mädchen und junge Frauen. Heute geht es um ein würdiges Gedenken. Das Polizeiaufgebot ist einfach notwendig, weil der Besuch hoher Staatsgäste hohe Sicherheitsanforderungen mit sich bringt und wir uns auch viele Besucherinnen und Besucher vorbereiten. Die Ängste kann ich grundsätzlich verstehen: 1993 konnte ich von meiner Wohnung aus beobachten, wie die Polizei mit Helm und Schild an der Konrad-Adenauer-Straße aufmarschierte und gleichzeitig Polizeihubschrauber über die Häuser in der Innenstadt flogen. Es darf aber nicht immer nur jeder seine eigene Angst sehen. Einige türkische Eltern legten ihre Kinder damals angezogen ins Bett, damit sie bei einem Feuer direkt fliehen konnten. Und Oberstadtdirektor Dr. Ingolf Deubel ließ Flyer zum Brandschutz in mehreren Sprachen drucken, inclusive Aufklebern mit der Feuerwehr-Rufnummer.

Wie lange wird es weitere Gedenkveranstaltungen geben?

Peters In irgendeiner Form werden wir das immer machen. Wir treffen uns ja auch jedes Jahr am Wenzelnberg, obwohl die Nazi-Gräuel mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegen. Unsere Aufgabe ist aber nicht nur das Gedenken. Wenn die Gesellschaft immer weiter gespalten, gegeneinander gehetzt und die Konflikte geschürt und ethnisiert werden, dann bewegt sie sich in Richtung Bürgerkrieg. Wir müssen in einer Stadt, in der Bürgerinnen und Bürger aus 140 Nationen leben, nach vorne schauen. Ebenfalls ab morgen wird es deshalb die Broschüre geben, in der 14 Erfolgsgeschichten von gelungener Integration erzählt werden. Stellvertretend für die 140. Die entsprechende Plakataktion dazu "Mensch, Solingen - 140 Nationen. Eine Stadt!" gibt es schon seit einigen Wochen.

FRED LOTHAR MELCHIOR FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(flm)
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