Solingen Gefangenenbefreiung

Solingen · Ein 27-jähriger U-Häftling, der im Oktober 2007 in einer Solinger Wohnung festgenommen wurde, konnte gestern mitten in seinem Drogenprozess mit Hilfe mehrerer Komplizen aus dem Justizgebäude in Düsseldorf entkommen.

"Das ging ratzfatz!" Staunend erlebten Passanten gestern die fernsehreife Flucht eines mutmaßlichen Drogendealers aus dem Düsseldorfer Landgericht. Offenbar hatte der 27-jährige U-Häftling aus Marokko mindestens drei Komplizen, die bei der Befreiung dieses Gefangenen während seiner Verhandlung tatkräftig mitgeholfen haben — in fein abgestimmter Teamarbeit.

Die sofortige Fahndung der Polizei nach dem 27-Jährigen blieb erfolglos. Jetzt wird er mit internationalem Haftbefehl gesucht. Ein Justizbeamter, der bei dem Vorfall verletzt wurde, musste ins Krankenhaus.

Ohne Fesseln im Gerichtssaal

Gestern Vormittag, kurz vor zehn Uhr: Ein Pulk von Justizwachtmeistern hetzt plötzlich im Spurttempo über den Anwaltsparkplatz. Vor ihnen der 27-jährige Hakim Alamrani, ein 100-Kilo-Hüne von fast 1,90 Metern Größe, der in einen als Fluchtauto mit laufendem Motor bereit stehenden Golf III (schwarz mit weißen Rücklichtern und Mettmanner Kennzeichen) hechtet.

Der Rest ist Reifenquietschen, Motorgeheule, schon ist dem Angeklagten die Flucht vor der Justiz gelungen. Zwei weitere Komplizen, die einen 47-jährigen Justizbeamten während der Verfolgung attackieren, ihn über eine Mauer und in ein Gebüsch abgedrängt hatten, fliehen zu Fuß in die entgegengesetzte Richtung. In Höhe der Andreaskirche trennten sich die Helfer — und entkommen unerkannt. Der Beamte erleidet Rippenprellungen und eine Verletzung am Bein.

Jetzt muss sich die Justiz die Frage nach den fehlenden Sicherheitsvorkehrungen im Altstadtgerichtgefallen lassen — und auch danach, wieso der als gewaltbereit polizeibekannte Marokkaner ungefesselt und ohne Zusatzbewachung im Gerichtssaal saß.

Angeklagt war Alamrani hier wegen Drogenhandels, Einfuhr von Drogen und wegen illegalen Waffenbesitzes. Der 27-Jährige war — zeitgleich wie sein 19-jähriger Bruder in Hilden — im Oktober in der Solinger Schützenstraße vom SEK festgenommen worden — trotz massiver Gegenwehr, wie es damals im Polizeibericht hieß. Laut Anklage soll Alamrani einer der Hintermänner eines internationalen Drogenrings gewesen sein.

Mindestens drei Fahrten mit einem präparierten Auto von Marokko über Spanien nach Deutschland soll er organisiert haben. Der Kurier, der dabei jedes Mal 20 Kilo Haschisch einschmuggelte, war bei seiner dritten Tour in Spanien allerdings festgenommen worden — und hatte nach Informationen unserer Zeitung den 27-jährigen Marokkaner als Drahtzieher genannt. Bei der Durchsuchung seine Schlupfwinkels bei seiner Freundin in Südstadt entdeckten Fahnder 700 Gramm Kokain sowie mehrere Schusswaffen mit Munition, darunter auch eine Pump-Gun.

Zu Prozessbeginn hatte Alamrani zu sämtlichen Vorwürfen geschwiegen. Und: "Nichts deutete auf eine erhöhte Fluchtgefahr hin", betonte Landgerichts-Pressesprecher Klaus Schumacher gestern Mittag. So habe der Angeklagte eine Verhandlungspause genutzt, um "quasi alle zu überrumpeln" (Schumacher) und sich an zwei Saalwachtmeistern vorbei durch den Zuschauerausgang aus dem Saal ins Freie zu drängen.

Alamrani-Verteidiger Torsten Timm, der mit einer Verspätung am Morgen die Prozesspause verursacht hatte, zeigte sich von der Flucht des Mandanten "geschockt". Die Rauschgiftstrafkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Richterin Birgit Maiworm (46) war von der Flucht des Angeklagten aber wenig beeindruckt: Der Prozess gegen den 27-Jährigen werde jetzt eben in seiner Abwesenheit fortgesetzt, hieß es.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort