Solingen Gedächtnis der Stadt wird 75

Solingen · Interview: Im Stadtarchiv werden seit 1937 historisch bedeutende Dokumente für die Gesamtstadt Solingen gesammelt. Was in einer stillgelegten Fabrik begann, wird seit 1987 an der Gasstraße weitergeführt. Auch dort gibt es Platzprobleme, berichtet Stadtarchivar Ralf Rogge.

Im Jahr 2012 wird das Solinger Stadtarchiv in der Gasstraße 75 Jahre alt. Ralf Rogge leitet das Archiv.

Wie wird das Jubiläum gefeiert?

Rogge Eine besondere Festveranstaltung wird es nicht geben. Wir haben im März am "Tag der Archive" teilgenommen und konnten dabei viele Besucher begrüßen. Das ganze Jahr hindurch werden wir mit speziellen Veranstaltungen Einblicke in unsere Arbeit geben. Das Jubiläum selbst ist Anfang Juli. Aber neben den 75 Jahren Stadtarchiv feiern wir auch 25 Jahre Archiv in diesem Gebäude.

Wird erst seit 75 Jahren bei der Stadt Solingen archiviert?

Rogge Nein, schon länger. Aber die Entstehung des Stadtarchivs Solingen hängt unmittelbar mit der Entstehung der Großstadt Solingen zusammen. Am 1. August 1929 wurde aus Gräfrath, Wald, Ohligs, Solingen und Höhscheid die Großstadt Solingen. Somit gab es die Notwendigkeit, alle historisch bedeutsamen Unterlagen zentral zusammenzufassen.

Das machten die einzelnen Gemeinden vorher selbst?

Rogge Mehr oder weniger. In "Alt-Solingen" oder "Klein-Solingen", also Solingen und Dorp, wurde die Archivierung von Akten der Verwaltung recht ordentlich organisiert. In den anderen Gemeinden lief das nicht so gut, aber durch die Zusammenlegung wollte man das endlich vernünftig angehen. Alle stadtgeschichtlich wertvollen Dokumente sollten im Stadtarchiv, an einem Ort, vereinigt werden.

Gab man der Archivierung damals einen hohen Stellenwert?

Rogge Na ja, der erste hauptamtliche Leiter war Richard Erntges, dem mehrere "Fürsorgearbeiter", heute würde man sagen "Ein-Euro-Jobber", zur Seite standen. Die versuchten zu leisten, was ihnen möglich war. Und Erntges war auch von Hause aus kein Archivar, sondern kam aus der Verwaltung.

Wo befanden sich die ersten Archivräume?

Rogge Die Weltwirtschaftskrise traf Solingen sehr stark und machte es zu einem Armenhaus. Deshalb konnte die Stadt kein neues Rathaus bauen, kaufte stattdessen die ehemalige WKC-Fabrik und nutzte sie als Verwaltungsgebäude, in dem auch das Archiv untergebracht wurde.

Wie überstand das Stadtarchiv die Nazi-Diktatur und den Krieg?

Rogge Das Archiv zog 1941 nach Gräfrath in den Klosterhof, das heutige Klingenmuseum. Erntges war kein Freund der Nazis, im Gegenteil, er kam aus dem linksliberalen Spektrum und wurde mehr oder weniger ins Archiv abgeschoben, erwies sich dort aber als Glücksfall. Er nahm eine grobe Katalogisierung vor. 1942/43 wurden Teile der Archivbestände ausgelagert. Das Gebäude wurde bei einem Bombenangriff beschädigt, aber das Archiv bliebt intakt. Erst nach dem Krieg begann eine schwere Zeit, im geheizten Teil des Gebäudes wurde ein Altersheim untergebracht, die Archivalien litten etwa zehn Jahre unter den schlechten Umständen. Ende der 1950er Jahre standen dem Stadtarchiv 450 Quadratmeter zur Verfügung. Viel zu wenig, so dass viele Verwaltungsdokumente verloren gingen.

Seit wann ist das Stadtarchiv an der Gasstraße untergebracht?

Rogge Seit 1. Oktober 1987. Man suchte nach einem neuen Standort, weil das Gebäude in Gräfrath mit Landesmitteln für das Klingenmuseum umgebaut wurde. Da verfiel man auf das seit 1981 leerstehende Gebäude an der Gasstraße. Das brachte uns plötzlich eine Nutzfläche von 1600 Quadratmetern. Das sollte für die nächsten 25 Jahre an Platz reichen, dachten wir.

Das reichte dann aber wohl nicht?

Rogge Nein, absolut nicht, inzwischen haben wir 2000 Quadratmeter, und alles ist schon wieder voll.

Warum füllt sich alles so schnell?

Rogge Wir bekommen alle alten Akten von der Verwaltung angeboten. Zwar sortieren wir etwa 95 Prozent als "archivunwürdig" aus, aber es bleibt genug. Hinzu kommen Zugänge aus privaten Quellen.

Vor einigen Jahren gab es den Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Hat ein Archivar vor solchen Katastrophen Angst?

Rogge Das ist der größte anzunehmende Unglücksfall. Da kann man nichts machen, nicht alles ist digitalisiert, und Brände, Überschwemmungen oder anderes können immer passieren. Es gibt zwar Brandmeldesysteme, aber letztlich kann man nur hoffen, dass es nicht passiert. Man kann aber mit simplen Mitteln vorsorgen, indem man selbst nicht ausgewertete Unterlagen schon vernünftig lagert, in beschrifteten Kartons, dann ist es für den Fall des Unfalls einfacher alles zusammenzubringen. Das hatten die Kölner nämlich teilweise nicht gemacht — und damit noch größere Probleme.

Das Gespräch führte Claus-Peter Gries.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort