Ausstellung im Stadtarchiv Frauen '68 - eine Zeitreise zwischen Revolte und Provinz

Solingen · Am 4. März startet im Stadtarchiv eine neue Ausstellung. Anhand von 1968 in der Rheinischen Post erschienen Frauen-Porträts wird die spannende Geschichte einer Zeit des Umbruchs beschrieben.

Irgendwie hatten die Macher unserer Zeitung, die damals auch in Solingen noch Rheinische Post hieß, ihren Fühler am sprichwörtlichen Puls der Zeit gehabt. Anfang März 1968 begannen sie im Lokalteil für die Klingenstadt nämlich eine neue Serie, die im Wochenrhythmus immer samstags Frauen vorstellte, die in "besonderen Berufen" - wenn man so will - ihren Mann standen. In kleinen Porträts wurden die insgesamt zwölf Solingerinnen im Alter zwischen 20 und 65 Jahren von Redaktionssekretärin Rosemarie Ney und von RP-Fotograf Hans Halft vorgestellt.

Wobei die Jobs der Frauen aus heutiger Sicht eher unspektakulär erscheinen. Eine Fahrlehrerin, eine leitende Beamtin, eine Innenarchitektin, eine Galvaniseurin, um lediglich ein paar Beispiele zu nennen - sicher 1968 noch keine "typischen" Frauenberufe, aber etwas besonderes?

"In gewisser Weise spiegelt sich in der Serie ein Stück heile Welt in der Provinz wider", sagt Ralf Rogge. In den zurückliegenden Monaten hat der Leiter des Solinger Stadtarchivs zusammen mit seiner Stellvertreterin Kerstin Warncke aus den mittlerweile 50 Jahre alten Artikeln eine neue Ausstellung konzipiert, die ab Sonntag in einer Woche, 4. März, dem "Tag der Archive" im Stadtarchiv zu sehen ist.

Und die einen Einblick gewährt in eine Zeit des Umbruchs sowie der historischen unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Denn die Macher der Ausstellung begnügen sich nicht einfach nur damit, dem Besucher die berufstätigen Frauen aus der Klingenstadt näher zu bringen. Vielmehr setzt das Stadtarchiv den Beiträgen aus dem Solinger Lokalteil die Titelseiten der Rheinischen Post am jeweiligen Erscheinungstag gegenüber - was wiederum zunächst einmal ein gegensätzliches Bild des Jahres 1968 vermittelt.

Die "heile Welt" der Klingenstadt traf auf eine Welt im Aufruhr. Die Ermordung von Martin Luther King in den USA, der Prager Frühling in der Tschechoslowakei, der Vietnam-Krieg, der Anschlag auf den deutschen Studentenführer Rudi Dutschke in West-Berlin, die große Demonstration gegen die Notstandsgesetze in Bonn: In jenem Frühjahr 1968 überschlugen sich förmlich die weltpolitischen Ereignisse. Und in der Rheinischen Post mit ihren Schlagzeilen auf der Seite 1 sowie dem Lokalteil aus Solingen erscheint das Jahr 1968 bis zum heutigen Tag in all seinen scheinbaren Widersprüchlichkeiten wie unter einem journalistischen Brennglas.

Während nämlich überall die Verhältnisse aus den Fugen gerieten und junge Leute auch in deutschen Studentenstädten den Aufstand gegen das "Establishment" probten, waren die porträtierten Frauen in Solingen trotz Berufstätigkeit eher noch verhaftet in tradierten Rollenbildern. Das wird zum Beispiel deutlich, wenn die junge Innenarchitektin Nana Herbst erklärt, sie versuche im Job die kühlen Berechnungen ihrer männlichen Kollegen durch einen weiblichen "Blick für Schönheit und Zweckmäßigkeit auszugleichen". Oder wenn Fahrlehrerin Doris Hasbach, die in der Fahrschule ihres Mannes arbeitet, überzeugt ist, dass man "gerade als Frau vielleicht etwas mehr Einfühlungsvermögen hat als ein Mann".

Die Frauen bedienen also selbst Stereotype über Frauen, was indes verständlicher wird, wenn man die erklärenden Texte zu der Ausstellung des Stadtarchivs liest. Diese ordnen die Serie aus Solingen in den historischen Kontext ein und lassen den Betrachter eintauchen in eine Zeit, die heute nah und fern zugleich erscheint.

Auf mehreren Tafeln wird dabei zum einen die 1946 gegründete Rheinische Post als eine der größten deutschen Tageszeitungen mit einer "christlich-konservativen" Ausrichtung beschrieben. Zum anderen gelingt den Ausstellungsmachern aber auch ein Überblick über die Entwicklung der rechtlichen Stellung von Frauen. Und sie erläutern die Geschichte der weiblichen Erwerbstätigkeit von 1900 bis 1968.

So wird etwa deutlich, dass trotz Gleichberechtigung im Grundgesetz erst 1958 der "Gehorsamsparagraf" aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch verschwand, der bis dahin die Ehefrauen ihren Männern untergeordnet hatte. Was auch noch nicht die Gleichstellung brachte, wohl aber eine schleichende Veränderung einleitete.

"Es begann die sogenannte Hausfrauen-Ära", sagt Archivarin Kerstin Warncke. Fortan konnten Frauen von Männern, die bislang alleine das Familieneinkommen nach Hause gebracht hatten, - eine schriftliche Genehmigung des Gatten vorausgesetzt - "außerhäuslich" arbeiten. Zwar galt weiter, dass die Pflichten im Haushalt vorgingen. Aber trotzdem kündigte sich so der Wandel an.

Denn auch wenn die neuen Regeln nach modernem Verständnis als Zumutung gelten müssen, gingen damals doch nach und nach immer mehr Frauen, die zudem besser ausgebildet waren als früher, einem eigenen Beruf nach. Noch einmal: Eine Gleichberechtigung im heutigen Sinn bedeutete all das noch lange nicht. Aber nach und nach gerieten die gesellschaftlichen Verhältnisse und parallel das Selbstbild der Frauen in Bewegung.

Die im Frühjahr 1968 in der Rheinischen Post porträtierten zwölf Solingerinnen waren von den jungen Frauen der Studentenbewegung gewiss Lichtjahre entfernt. Sie verkörpern, wie die Ausstellung im Stadtarchiv zeigt, weiter eine Welt, deren Werte sich aus der Vergangenheit speisten. Trotzdem aber wurde die Autorin der Serie Rosemarie Ney zu so etwas wie einer Chronistin des Beharrens und des Wandels gleichzeitig.

Als die Rheinische Post zum Jahreswechsel 1968/69 die zurückliegenden zwölf Monate Revue passieren ließ, sprach die Zeitung, die seit 1971 in der Klingenstadt Solinger Morgenpost heißt, von einem "Jahr des Aufruhrs". Den gab es in Solingen nicht. Aber die Vorboten einer neuen Zeit wurden, wie die Ausstellung im Stadtarchiv Solingen verdeutlicht, auch hier ganz langsam sichtbar.

(or)
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