Solingen "Etwas ist anders geworden"

Solingen · Noch immer sucht die Polizei die beiden Männer, die im Januar einen Busfahrer brutal zusammenschlugen. Das Opfer befindet sich wieder im Dienst – aber ein "komisches Gefühl" fährt seit der Attacke stets mit.

Der Handschlag kommt immer noch so zupackend und fest wie früher. Und überhaupt, wer den Mann in der blauen Uniform der Solinger Verkehrsbetriebe beobachtet, während er in Richtung seines Arbeitsplatzes geht, der hat nicht den geringsten Zweifel: Der 47-Jährige ist so etwas wie eine Idealbesetzung für den Job. Ruhige Stimme, bestimmtes Auftreten – der Solinger bringt die Mischung aus Ruhe, Selbstbewusstsein sowie robustem Nervenkostüm mit, die man einfach braucht, um als Busfahrer dem ganz alltäglichen Wahnsinn innerhalb wie außerhalb der Fahrzeuge gewachsen zu sein.

Niemand half, kein Notruf, nichts!

Aber manchmal ist der Wahnsinn alles andere als alltäglich. Und das ist der Grund dafür, dass es da auch noch diese andere Seite an dem Mann gibt. Nein, den Namen will er lieber nicht nennen. Und ja, seit dieser verdammten Januar-Nacht fährt schon "ein komisches Gefühl" mit, wenn er auf den Straßen Solingens unterwegs ist. Ein Gefühl der Angst, der Unsicherheit, das man am Besten ganz schnell "zur Seite schiebt": Einfach nicht dran denken, dass man am Abend des 31. Januar wie aus heiterem Himmel plötzlich von zwei Schlägern minutenlang brutal malträtiert wurde. Und das alles nur, weil der Busfahrer die jungen Männer, die mit ihrer Clique unterwegs waren, nicht mitnehmen wollte auf der Nachtexpress-Linie 23 vom Graf-Wilhelm-Platz in Richtung Vohwinkel. Sie hatten sich geweigert, eine Flasche Bier draußen zu lassen.

Einfach nicht dran denken, was hätte passieren können, wenn die Schläger statt Fäusten auch Messer eingesetzt hätten! Und einfach nicht dran denken, dass der Bus damals, an einem Samstagabend kurz vor Mitternacht, gut gefüllt war, aber kein Fahrgast irgendetwas unternahm, um dem Vater einer 19-jährigen Tochter zur Hilfe zu eilen. Kein Protest, kein Eingreifen, nicht mal ein Notruf Richtung Polizei – nichts, absolut gar nichts!

"Dabei wollen wir nicht, dass Fahrgäste den Helden spielen. Das gilt auch für die Fahrer", erklärt Silke Rampe, Sprecherin der Verkehrsbetriebe. Im Zweifelsfall steht die körperliche Unversehrtheit der Kunden und des Personals an erster Stelle, wenn Randalierer ausflippen. Aber was schockt, ist die sinkende Hemmschwelle der Täter (der Bus war videoüberwacht), die zunehmende Zahl der Übergriffe sowie die Gleichgültigkeit, mit der Zeugen auf so brutale Attacken wie jene vom Januar reagieren. "Als die Polizei nach wenigen Minuten da war, wollte keiner freiwillig irgendetwas sagen", erinnert sich der Busfahrer, der nach dem Angriff ins Krankenhaus musste und fünf Wochen krankgeschrieben blieb.

Und heute? "Die Täter sind noch nicht gefasst", erklärt eine Polizeisprecherin. Was wiederum beim Opfer das mulmige Gefühl nicht vergehen lässt. Was wäre, wenn die Schläger auf einmal wieder vor ihm stünden, was wäre, wenn erneut niemand zur Hilfe käme? "Verdrängen", erklärt der Mann, der sich zuletzt auch wieder hinter den Lenker eines Nachtexpresses klemmte. Und plötzlich meinte, ein Déja-vu-Erlebnis zu haben. An der Haltestelle Klinikum standen zwei junge Männer mit Bierflaschen. "Da musste ich schlucken", erinnert sich der Fahrer. Diese beiden waren aber friedlich, wollten gar nicht einsteigen. Auch so ein Punkt, man kann ja schließlich in diesem Beruf nicht immer nur mit Misstrauen auf die Menschen zugehen. "Aber etwas ist anders als früher", erklärt der Mann zum Abschied, der seit über 20 Jahren im Job ist. Die nächste Schicht ruft – und dann kommt er noch mal, der feste Händedruck.

(RP)
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