Solingen Es gibt Wichtigeres als Glück

Solingen · Der Mensch ist nicht dafür gemacht, von morgens bis abends glücklich zu sein, sagt der in Solingen geborene Bestseller-Autor Richard David Precht. Er hat sich gerade ein neues Aquarium gekauft.

Der 43-jährige Philosoph Richard David Precht steht grade mit seinem Buch: „Wer bin ich – und wenn ja wie viele“ an der Spitze der Bestseller-Listen. Wir sprachen mit ihm unter anderem über Glück.

„Was ist die Antwort auf die Frage aller Fragen“, das soll ein Supercomputer in Douglas Adams‘ Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ beantworten. Das Ergebnis: „42“. Bloß was ist die Frage?

Precht Soweit ich weiß, ist die Frage sinngemäß „Was ist der Sinn des Lebens“.

Und, ist das die entscheidende Frage?

Precht Nein!

Wieso nicht?

Precht Wenn man jung ist, denkt man, die Frage nach dem Sinn des Lebens müsse sich objektiv beantworten lassen. Man stellt sich vor, darauf gebe es eine Antwort. Der kluge englische Aphoristiker Ashleigh Brilliant hat mal gesagt, es sei besser, das Leben hätte keinen Sinn, als einen Sinn, dem man nicht zustimmen kann. Wenn man dann älter wird, ist man froh, von dieser Frage Abschied zu nehmen.

Was fragt man denn stattdessen?

Precht Man stellt sich Fragen wie: Mache ich was Vernünftiges in meinem Leben? Geht es mir gut? Das ist wichtiger. Viele Leute kommen übrigens ohne einen großen Sinn aus. Viel kleiner Sinn ist ja auch schön.

Was ist kleiner Sinn für Sie?

Precht Wenn ich heute Morgen mit meinem Sohn frühstücke und er mich pausenlos zum Lachen bringt. Das kann ich jetzt nicht objektiv formulieren und sagen: „Kinder machen Sinn.“ Nur ich persönlich habe dann ein Gefühl, das nah dran ist an dem, was ich mir unter einem Sinn vorstelle.

Sie haben ja gerade einen Glücksmoment beschrieben. Wie steht es mit der Frage nach Glück?

Precht Diese Frage ist neu, wie die nach dem Sinn des Lebens. Früher, in der abendländischen Tradition, wurden diese Fragen mit Gott beantwortet: Der Sinn des Lebens war das, was Gott sich gedacht hat, als er die Erde schuf. Und ein glückliches Leben war ein frommes Leben.

Und dann.?.?.

Precht .?.?. verloren die Religionen ihren Einfluss. Erst so kommen wir dazu, uns für Glück zu interessieren. Der zweite Grund für unser Interesse am Glück ist unser Reichtum. In armen Ländern haben die Leute andere Sorgen. Glück ist dort die Vermeidung von Unglück.

Nimmt die Zahl der psychischen Erkrankungen wegen des Wohlstands hierzulande zu?

Precht Könnte ich mir gut vorstellen. Glück hat mit unserem Hormonhaushalt zu tun. Der ändert sich nicht, wenn sich die Umstände ändern. Ich hab mir gerade einen Wunsch erfüllt und ein gigantisches Aquarium gekauft. Eins, von dem ich als Kind immer geträumt habe. Das macht mich glücklich. Jetzt habe ich das Aquarium vier Wochen. Jeden Tag nimmt mein Glücksgefühl um ein Prozent ab. Und irgendwann bleibt es bei etwa zehn Prozent stehen. Wir freuen uns auch nicht pausenlos an unseren tollen Partnern, die wir haben.

Woran liegt das?

Precht Als der Mensch mit seiner Biochemie entstand, war noch keine Rede von dem luxuriösen Leben, das wir heute führen. Unser Hormonhaushalt war für relativ primitive Dinge da, für Fluchtreflexe, für Nahrungsverhalten. Nun haben wir diese Ausstattung, die für die Savanne oder den Wald gemacht ist, und leben in der Stadt. Also suchen wir nach Tricks, um uns in tolle Gefühlszustände zu bringen. Dabei ist der Mensch nicht dafür gemacht, von morgens bis abends glücklich zu sein. Außer mit Drogen.

Das halten Sie jetzt aber nicht für eine Lösung?

Precht Nein. Bei den meisten Glücksdrogen, die man nimmt, rächt sich der Körper ohnehin. Nehmen Sie einen Abend mit viel Alkohol: Am Tag darauf hat man Kopfweh und schlechte Laune.

Gibt es etwas Wichtigeres als Glück?

Precht Ja. Ich versuche mal, das mit einem Beispiel zu erklären: Wenn wir eine Garantie auf ewiges Glück bekämen, unser Leben auf Glück programmiert wäre, kämen wir uns doof vor. Weil wir unser Leben selbst bestimmen wollen! Im Zweifel ist Selbstbestimmtheit wichtiger als Glück. Wer will schon ein vorgefertigtes Leben leben?

Ich nicht.

Precht Ich auch nicht. Ich kenne keinen, der das will. Aber nur um das klarzustellen: Glück ist wichtig, ich strebe wie alle anderen danach.

Was macht Sie glücklich?

Precht Im Augenblick das Aquarium. Bald kommt mein Lieblingstier hinein, der Elefantenrüsselfisch. Er ist das einzige Tier, dessen Gehirn im Vergleich zur Körpergröße größer ist als beim Menschen.

Also ist das ein sehr schlauer Fisch?

Precht Vor allem ein unheimlich gefühlvoller Fisch, er hat nämlich ein sehr großes Kleinhirn. Vielleicht kann er keine mathematischen Aufgaben lösen, er ist aber seelisch dem Menschen überlegen. Man kann auch nicht nur einen von ihnen halten: Der stirbt an gebrochenem Herzen.

Constanze Kretzschmar führte das Interview.

(RP)
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