Solingen Ermittlungen im Jugendamt

Solingen · Staatsanwaltschaft untersucht Rolle des Amtes nach Verwahrlosungs-Fall von drei Kindern.

Es hätte ein weiterer Fall mit trauriger Berühmtheit wie der von Kevin, Jessica oder Lea-Sophie werden können: Doch die zwei Mädchen und der Junge eines Solinger Paares (24 und 26) sind — anders als diese drei — mit dem Leben davon gekommen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen zwei Stadtbedienstete.

Die Polizei rettete den völlig verwahrlosten Nachwuchs im Oktober 2006 aus einer heruntergekommenen und verdreckten Wohnung in einer Mangenberger Siedlung. Die Eltern hatten sich am Mittwoch vor dem Amtsgericht wegen dreifacher Verletzung der Fürsorgepflicht, Unterlassung, Körperverletzung und Missbrauch von Schutzbefohlenen zu verantworten und waren zu einjährigen Bewährungsstrafen verurteilt worden.

Familie stand unter Betreuung

Dabei hätte es so weit gar nicht kommen dürfen. Die Familie unterstand der Betreuung des Jugendamtes, das sagte eine Mitarbeiterin des Jugendamtes während des Prozesses gegen die Eltern aus. Einmal die Woche sei die Familie aufgesucht worden, um nach dem Rechten zu sehen. Doch dann war von Seiten des Amtes plötzlich im April Funkstille. Niemand kümmerte sich mehr um das Schicksal der Kinder, die in den darauf folgenden sechs Monaten vor sich hin vegetierten. Warum das so war, konnte die Mitarbeiterin vor Gericht nicht hinreichend beantworten: zu viel Arbeit, zu wenig Kollegen.

Diese Aussagen der Zeugin wurden bei der Staatsanwaltschaft in Wuppertal mit Interesse verfolgt. Umgehend wurden Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung aufgenommen, die sich aber gegen die Jugendamtsmitarbeiterin sowie den Leiter des Jugendamtes richten.

Im Laufe des gestrigen Nachmittags wurde der Erste Beigeordnete Hartmut Hoferichter von der Behörde über die Anzeige informiert. Schriftlich liege sie ihm noch nicht vor, so dass er noch keine Einzelheiten wisse, sagte er auf Anfrage unserer Zeitung: Zur Aufklärung des Geschehens habe er den städtischen Revisionsdienst eingeschaltet. Hoferichter geht davon aus, dass heute bereits erste Untersuchungsergebnisse vorliegen.

Eher zufällig war die Polizei im Oktober 2006 auf die verwahrlosten Kinder gestoßen. Der Vater hatte die Beamten informiert, weil er fürchtete, seine Freundin wolle sich umbringen. In der Mangenberger Wohnung bot sich den Einsatzkräften ein Bild des Grauens: alles war voll mit verschimmelten Essensresten und Müll, die Matratzen der Kinder, die zwischen zwei und fünf Jahre alt sind, waren völlig zerfetzt und verschmutzt.

Die Geschwister waren völlig verdreckt und hatten Kot in den Haaren. Die Polizei brachte die Kinder ins Klinikum. Dort diagnostizierten die Ärzte Unterernährung, Blutergüsse und Pilzerkrankungen sowie eine geistige und sprachliche Unterentwicklung. Inzwischen sind die beiden Mädchen und der Junge bei Pflegeeltern untergebracht. Selbst noch vor Gericht waren die leiblichen Eltern uneinsichtig, stritten ab, von der Verwahrlosung ihrer Kinder etwas mitbekommen zu haben.

Vor Gericht soll die Mitarbeiterin des Jugendamtes ausgesagt haben, dass sie 100 bis 200 Fälle auf dem Tisch habe. Zudem sei innerhalb des Amtes vieles nicht besonders gut organisiert, berichtete der zuständige Staatsanwalt im Interview mit dem WDR.

Vor einiger Zeit hatte es im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) der Stadt Überlastungsanzeigen von Mitarbeitern gegeben. Auf Anfrage unserer Zeitung hatte es dazu im Dezember geheißen, dass das auf krankheitsbedingte Ausfälle von Kollegen zurück zu führen gewesen sei. Aber auch im Forum "Jugend und Soziales" weiß man von "der chronischen Unterbesetzung" des Amtes. Jährlich werden in Solingen rund 60 Kinder und Jugendliche aus chaotischen Familienverhältnissen geholt werden — Tendenz steigend. Die Entwicklung von Fallzahlen und Kosten im Bereich des Allgemeinen Sozialen Dienstes zeigen seit 2003 stetig nach oben. Zugleich sind auch die Ausgaben je Fall überdurchschnittlich gestiegen.

(RP)
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