Solingen Eine musikalische Rakete geht durchs Kirchendach

Solingen · Mit Werken für Saxophon und Orgel ging der Gräfrather Orgelsommer in der sehr gut besuchten Klosterkirche zu Ende.

Musik ist bekanntlich eine Zeitkunst. Das Werk erklingt und verklingt in einer ablaufenden, vergehenden Spanne. Ein Bild kann man nochmal betrachten, ein Buch mehrfach lesen, aber wenn ein Musikstück verklungen ist, ist es eben vorbei. Unwiederholbar.

So hat auch das Zeitempfinden etwas Tückisches. Irgendwie ist es Sommer. Aber man hat nicht das Gefühl, das der sich wettertechnisch und damit gefühlmäßig besondere Mühe gibt. Der August ist angeknabbert, das Ende der Ferien kündigt sich an, im bald folgenden September beginnt der Herbst. Und wenn man genau hinsieht, winkt am Horizont schon der Weihnachtsmann mit dem Tannenzweig.

So eilen Zeit, Sommer und Sommerzeit. Ein weiterer Indikator für die zu Ende gehenden Ferien ist das letzte Konzert des Gräfrather Orgelsommers. Tatsächlich: Die sechs sonntäglichen Konzerte sind seit vorgestern vorbei. Aber hier scheint selbst Petrus gelauscht zu haben, denn ein strahlender Nachmittagshimmel lockte so viele Gäste in die Klosterkirche, dass der eine oder die andere mit einem Stehplatz Vorlieb nehmen musste.

Doch es hat sich gelohnt. Charlotte Zaun (Saxophon) und Ben David Ungermann (Orgel) zauberten ein beeindruckendes Abschlussprogramm. Wie eine Rakete, die durch das Kirchendach geschossen wird, endete das Konzert mit "African Song" von Abdullah Ibrahim. Eingängig und poppig und vor allem rhythmisch raffiniert gestalteten die Musiker das Thema, dass am Schluss witzig-charmant abhob.

Beglückend stellten Zaun und Ungermann das seltene Duo von Saxophon und Orgel in dem Mittelpunkt. Dabei wirkte das Blasinstrument wie wunderlich vielgestaltiges Soloregister der Orgel. Da bekam selbst ein Gassenhauerstück wie die Freischütz-Fantasie von Jerome Savari eine ganz besondere Note. "Durch die Wälder, durch die Auen zog ich leichten Sinns dahin."

So schön wehmütig hätte es kein Operntenor singen können. In dieser Fantasie übernahm das Saxophon den Gesangspart und die Orgel den des Orchesters - auch wenn es manchmal durchaus pfiffig nach Jahrmarktsorgel klang. Mit einem Leierkastenmann hat die g-moll-Sonate BWV 1020 von Johann Sebastian Bach nichts zu schaffen. Hier konnten die Musiker die Qualitäten der Orgel ebenso auskosten wie den warmen Gesang des Saxophons mit seiner großen Palette an Klangfarben und Tonlagen.

Sanft floss der erste Satz mit seinen wellenförmigen Motivbewegungen dahin. Eine schwebende Melodie entfaltete sich über einem feinen Klangteppich, bevor es ins Finale ging. Zwei Solostücke für Orgel ließen die Saxophonistin zwischendurch zu Atem kommen. Der Sonate des alten Bach stellte Ungermann die D-Dur-Sonate des Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach gegenüber. Was für ein Zusammentreffen: das verspielt Ernsthafte bei Bach Senior, das ernsthaft Verspielte bei Bach Junior. Am entzückend heiteren Allegro und am fast romantischen Stimmungsbild des Adagios hätte Mozart mehr Spaß gehabt als Vater Bach.

Rhythmisch spannend und putzig verspielt gestaltete Ungermann den Finalsatz. Ganz anders ließ er die Orgel in romantischen Klangfarben bei Mendelsohns 5. Orgelsonate aufblühen. Eingerahmt von einem beinahe schlichten Choral und einem dahinperlenden Postludium wird das Andante zur Kernstelle. Zauberisch schwebend wie die Musik zum Sommernachtstraum lässt der Organist das Thema den Registern entsteigen. Markant und zart zugleich wanderte der getupfte Bass im Pedal durch das Kirchenschiff. So kann man gespannt sein auf das nächste Jahr. Denn 2017 wird der Orgelsommer 30 Jahre alt.

(RP)
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