Solingen Eine Frage der Ehre

Solingen · 20 Freiwillige des Solinger DRK-Kreisverbandes übernahmen in dieser Woche am Düsseldorfer Flughafen eine ganz spezielle Aufgabe: sie transportierten kriegsverletzte Kinder in umliegende Kliniken.

Manchmal muss Stefan Nippes viel Überredungskunst aufwenden, wenn er seine Freiwilligen zu Einsätzen motivieren will. Ganz anders erging es dem Kreisbereitschaftsführer beim Roten Kreuz in dieser Woche. Auf eine Rundmail, in der er Freiwillige für einen Einsatz am Düsseldorfer Flughafen suchte, meldeten sich so viele Männer und Frauen, dass es den DRK-Mann nahezu überrollte. „Das Interesse war überwältigend“, sagt Nippes im Gespräch mit unserer Zeitung. Gesucht hatte er Helfer für einen ungewöhnlichen Einsatz. Am Tor 47 des Flughafens der Landeshauptstadt galt es, Kinder aus Afghanistan, Zentralasien und dem Kaukasus abzuholen und mit Rettungs- und Krankenwagen in umliegende und weiter entfernte Kliniken zu bringen. 20 Helfer mit acht Fahrzeugen nahmen 14 der 130 Kinder in Empfang, die am Abend auf der regennassen Landebahn in Düsseldorf in der soliden Tupolev 154 Maschine der „Tajik Air“ aus Tadschikistan aufsetzten.

Keiner der Solinger DRK-Helfer, die zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen anderer Kreisverbände auf die Ankunft der Maschine warteten, hatte einen ähnlichen Einsatz schon einmal hinter sich gebracht. Heike Neuenfeldt musste dennoch nicht lange überlegen. Den Umgang mit Verletzen ist die Rettungsassistentin gewöhnt. „Wir werden weniger sehen als bei einem Unfalleinsatz auf der Straße“, schildert sie ihre Erwartungen beim Anblick der Kinder aus Afghanistan, Usbekistan, Armenien und Georgien. Schade findet es die Berufsfeuerwehrfrau und gelernte Krankenschwester nur, dass sie mit ihren kleinen Patienten nicht kommunizieren kann. Und wenn sie noch einmal an das denkt, was sie und ihre Kollegen gleich erwartet, so ist sie bei nochmaligem Nachdenken sicher. „Wir werden eine Gänsehaut bekommen.“

Inzwischen ist Siegfried „Siggi“ Loth vom Oberhausener Friedensdorf, das für den Transport verantwortlich ist, zu der Solinger Helfergruppe gestoßen und stellt grundlegende Dinge klar. „Nehmt die Kinder, auch wenn sie weinen, meistens ist das eher Angst als Schmerz, in einer halben Stunde muss alles erledigt sein“, schildert der erfahrene Helfer und fügt noch etwas Profanes an: „Die letzte Zigarette wird geraucht, bevor wir aufs Rollfeld fahren.“

Nachdem die Maschine ausgerollt ist, wird das Tor 47 geöffnet und der Konvoi der Krankenwagen und Friedensdorf-Fahrzeuge setzt sich in Bewegung. Als sich die Türen des Flugzeugs öffnen, kommen die ersten Kinder die Gangway herunter. Irgendwie scheinen manche Helfer erleichtert, Kinder zu sehen, an denen auf den ersten Blick nichts auffällt, außer diesem ernsten Gesichtsausdruck, den alle haben. Doch die vermeintliche Erleichterung hält nicht lange an, dann kommen jene Kinder, deren Anblick selbst erfahrenen Helfern zusetzt. Verbrannte Gesichter, fehlende Gliedmaßen, offene Wunden. Stefan Nippes und Heike Neuenfeld kümmern sich um einen Jungen, der beide Oberschenkel und das Becken gebrochen hat, lagern ihn auf einer Vakuummatratze, damit er keine Schmerzen hat. „Dann haben wir ihm noch einen Teddy gegeben und er hat uns angelächelt“, schildert der Bereitschaftsführer. Insgesamt, so sagt er am Tag danach, war der Einsatz sehr beeindruckend und ist „supergut gelaufen“. Heike Neuenfelds Fazit: „Es ist schon etwas anderes, alles so geballt zu sehen, auch wenn man die Bilder aus den Fernsehen kennt.“

Dennoch, sie werden es wieder tun. „Die nächste Mail ist raus“, sagt Nippes, „am 9. November sind wir wieder am Flughafen. Schließlich ist das „eine Frage der Ehre“, wie es Andrea Hepp zu Beginn des Einsatzes auf den Punkt brachte.

(RP)
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