Solingen Ein Jahr an der Stadtspitze - eine Bilanz

Solingen · Der Oberbürgermeister trat am 21. Oktober 2015 sein Amt im Rathaus an. Eine Schonzeit gab's für Tim Kurzbach nicht. Dabei wird die Leistung des SPD-Manns nach 366 Tagen - 2016 ist ein Schaltjahr - durchaus unterschiedlich bewertet.

Der 21. Oktober 2015 war verregnet gewesen. Doch an dem Schmuddelwetter hatte es nicht gelegen, dass Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) an seinem ersten Arbeitstag zügig auf den Haupteingang des Rathauses zusteuerte. "Das ist ein neuer Job, aber es ist auch noch viel mehr. Es ist ein neuer Lebensabschnitt", sagte das Solinger Stadtoberhaupt, ehe der damals 37-Jährige um Punkt 7.59 Uhr seine neue Arbeitsstelle betrat und in Richtung seines Büros in Raum 129 des Rathaus-Altbaus schritt.

Dies ist auf den Tag genau ein Jahr her. Und doch kommt es nicht nur Tim Kurzbach so vor, als seien seit seinem Amtsantritt weit mehr als "nur" 366 Tage vergangen. Neben seiner Hochzeit und der Geburt von Zwillingen hatte der OB zwar auch schöne Amtstermine wie etwa - direkt zu Beginn - die Eröffnung des Zentrums für verfolgte Künste. Gleichzeitig türmten sich aber Probleme auf. Sanierungsbedürftige Schulen und Kitas, Gewerbegebiete, der Umbau der Verwaltung, die Schulden bei der Stadt sowie ihren Töchtern und nicht zuletzt die Flüchtlingskrise: Solingen hat sich in diesem einen Jahr verändert, wobei OB Kurzbach und seine Wegbegleiter aus der Politik zu durchaus unterschiedlichen Zwischenbilanzen kommen.

 Der Oberbürgermeister nahm viele Termine wahr: Etwa bei der Eröffnung des Zentrums für verfolgte Künste oder beim Antrittsbesuch bei der Feuerwehr.

Der Oberbürgermeister nahm viele Termine wahr: Etwa bei der Eröffnung des Zentrums für verfolgte Künste oder beim Antrittsbesuch bei der Feuerwehr.

Foto: Köhlen Stephan

Flüchtlingskrise Wohl kaum ein Thema hat die Bürger so bewegt wie der Zuzug von Menschen mit ganz unterschiedlichen kulturellen wie religiösen Hintergründen. Auch die Klingenstadt hatte binnen weniger Monate tausende Flüchtlinge aufzunehmen. Was angesichts einer gemeinsamen Kraftanstrengung gelungen sei, meint der Oberbürgermeister. Aus einem "Wir schaffen das" sei ein "Wir können das" geworden. Tim Kurzbach: "Solingen steht heute anders da als andere Städte. Es gibt keine gesperrten Turnhallen mehr oder unwürdige Massenunterkünfte." Eine Einschätzung, die viele teilen. Gleichwohl gibt beispielsweise Henning Pless, Fraktionssprecher der Grünen im Stadtrat, zu bedenken, dass auch die seit Monaten wieder abnehmenden Flüchtlingszahlen der Stadt halfen. Und zudem, so Pless, komme es nun darauf an, nächste Schritte anzugehen.

Wirtschaft Dazu müssen für die Neubürger, so sie in Solingen bleiben, jedoch unter anderem Jobs geschaffen werden. "Da ist es gut, dass der OB einen Koordinator für die Flüchtlingsfrage eingestellt hat", sagt Henning Pless. Was im Grundsatz auch von CDU sowie FDP geteilt wird. Allerdings reicht dies aus Sicht der Parteien allein nicht aus, soll Solingen wirtschaftlich blühen. "Wir müssen gegenüber Investoren offener werden", mahnt FDP-Fraktionschef Ulrich G. Müller an. Und Sebastian Haug, Vorsitzender der Solinger CDU, fürchtet, dass die Ausweisung neuer Gewerbegebiete zu kurz kommt. "Nur Rasspe reicht nicht", sagt Haug, der überdies kritisiert, es stünden zu wenig Flächen für neue Firmen zur Verfügung.

Umwelt Das sieht Oberbürgermeister Tim Kurzbach durchaus ähnlich. Die Stadt benötige "dringend Flächen für interessierte Unternehmen, die neu nach Solingen kommen oder aus engen Innenstadt-Lagen heraus expandieren wollen", sagt der OB. Allerdings dürfe auch der Umweltschutz nicht zu kurz kommen. So sei sehr früh klar gewesen, dass sich beispielsweise das Gebiet Buschfeld nicht für Gewerbe eigne. "Die Nutzung von Brachflächen hat, wo immer möglich, Vorfahrt", betont Kurzbach, wohingegen CDU-Mann Haug moniert, selbst solche Grundstücke würden inzwischen für Wohnungsbau zweckentfremdet.

Soziales Dabei ist gerade der Bau neuer Wohnungen für Kurzbach ein Zeichen dafür, dass Solingen attraktiv ist. Die Klingenstadt bringe auf Grund ihrer Lage die Voraussetzungen mit, "ein Magnet in der Metropolregion Rheinland" zu werden, sagt der OB, der deshalb unter anderem auf den Aus-, Um- beziehungsweise Neubau von Schulen und Kitas setzt sowie kulturelle und gesellschaftliche Einrichtungen wie etwa die Bergischen Symphoniker sowie die Sportstätten in der Stadt erhalten will.

Finanzen Gut, finden die anderen Parteien. "Es ist zu begrüßen, dass wir mit Hilfe von Krediten ein neues Hallenbad bekommen", betont der Grüne Pless. Gleichwohl sehen vor allem FDP und CDU bei der Finanzierbarkeit des städtischen Alltagslebens große Schwierigkeiten - und kaum Lösungen. "Der Haushaltsentwurf zeigt nicht auf, wie die Schieflage bei städtischen Beteiligungen beseitigt werden könnte", moniert CDU-Chef Sebastian Haug, der den bisher vorliegenden Haushalt 2017 als "sehr enttäuschend" bezeichnet. Immerhin, so Haug, dränge wegen des fälligen Haushaltsausgleichs 2018 die Zeit. Und selbst die Grünen, deren OB-Kandidat Kurzbach war, mahnen zur Sparsamkeit. "Es darf nicht dazu kommen, dass wir den Stellenplan im Rathaus aufblähen", sagt Fraktionssprecher Pless mit Blick auf Umbesetzungen im Rathaus.

Amtsführung Tatsächlich hat Tim Kurzbach in den vergangenen zwölf Monaten an etlichen Stellschrauben in der Verwaltung gedreht. So gibt es wieder vier Dezernenten. Was indes nicht nur Applaus einbrachte. "Wir würden uns bei Entscheidungen mehr Transparenz wünschen", sagt Martin Bender von der Bürger Fraktion Solingen, der Kurzbach parallel dazu aber für seine offene Art lobt. "Er geht auf Menschen zu", betont Bender, während Dieter Keller, Sprecher der Linken im Rat, konstatiert, die Stimmung im Rathaus sei seit Kurzbachs Amtsantritt besser. Allerdings, so Keller, habe der OB seinen Mitarbeitern - zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage - auch viel zu verdanken.

Was Kurzbach wiederum weiß. So besuchte er seit dem Start im Amt schon viele städtische Einrichtungen wie etwa die Feuerwehr. Und als Tim Kurzbach am 21. Oktober 2015 das erste Mal das Rathaus als Chef betrat, kündigte er zudem an, so oft wie möglich den Haupteingang zu nehmen, um auf den langen Gängen bis zum Büro ansprechbar zu sein - was er, wann immer es geht, bis heute so hält.

(or)
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