Solingen Ein Glockenspiel ist kein Industrielärm

Solingen · Am Mittwoch wurde am Solinger Amtsgericht über eine Klage gegen das Glockenspiel am Juweliergeschäft Leiber in der Fußgängerzone verhandelt. Der Richter sieht wenig Aussicht auf Erfolg der Klage eines Nachbarn. Die Betreiber wollen eine Einigung und sind bereit, die Spielzeiten anzupassen.

 Das Glockenspiel von Annette und Andreas Köster soll weg.

Das Glockenspiel von Annette und Andreas Köster soll weg.

Foto: mak

Nicht jeder findet "Morning has broken" von Cat Stevens schön oder summt beim Bergischen Heimatlied fröhlich mit. Doch viele Solinger lieben das Glockenspiel, das an der Hausfassade des Juweliergeschäfts Leiber in der Fußgängerzone seit dem 23. August 1955 erklingen darf, denn an diesem Tag hat die Stadt die Genehmigung ausgestellt. Alle 15 Minuten mit dem Westminsterschlag, wie Big Ben in London, zur vollen Stunden mit Liedern, von Beatles-Songs bis zu Heimatklängen. Doch es kann das beliebteste Glockenspiel nicht in Frieden schlagen, wenn es den Nachbarn stört. Daher gab es am Mittwoch vor dem Amtsgericht eine Verhandlung, bei dem es um die Klage eines Arztes ging, der sich vom Glockenklang gestört fühlt. Entschieden wird in 14 Tagen, so lange hat der Kläger Zeit, auf einen Kompromissvorschlag der Glockenspielbetreiber einzugehen. Ob er die Klage zurückzieht oder eine richterliche Entscheidung nötig wird, ist noch unklar.

Die Justizwachtmeister mussten noch Stühle heranschaffen, so groß war der Andrang zu der Verhandlung des Nachbarstreits um das Glockenspiel gestern Vormittag in Saal S 6 im Amtsgericht an der Goerdelerstraße. Richter Steinbring stellte gleich zu Beginn klar, dass es in der Güteverhandlung nicht um die emotionale, sondern allein um die rechtliche Seite des Falls gehe. Letztere stellt sich ziemlich eindeutig dar, denn Messungen der Stadt Solingen hatten ergeben, dass die Grenzwerte von 60 Dezibel, gemessen in der Wohnung des Klägers, nur selten und wenn dann nur geringfügig überschritten wurden. "Es muss bedacht werden, dass wir hier nicht um Maschinenlärm streiten, sondern um ein Glockenspiel", sagte der Richter und kam am Ende zu der Erkenntnis, dass die Klage des Arztes vermutlich unbegründet sei.

Der Mediziner, der jahrelang seine Praxis unweit des Glockenspiels betrieb und heute dort wohnt, erschien nicht vor Gericht. Seine Anwältin Verena Höfer bekundete die Bereitschaft, einen Vergleich zu schließen, führte aber auch weitere Nachbarn ihres Mandanten ins Feld, die sich ebenfalls gestört fühlen würden.

Der beklagte Andreas Köster, der mit seiner Frau Annette das Juweliergeschäft Leiber führt, versteht in erster Linie nicht, dass der Nachbar nie das Gespräch gesucht hat. "Es ist ein fast bedrohliches Szenario, wenn man gleich mit Klagen und Verfügungen behelligt wird", sagt Köster und verweist auf die vielen Solinger, die ihn nach Bekanntwerden der Klage unterstützten. "Das Glockenspiel ist ein Stück Solingen", sagt Köster, der die gestrige Verhandlung im Nachhinein als "fair und sachlich" empfunden hat.

Das Glockenspiel wurde inzwischen sonntags ausgeschaltet. Der Anwalt von Andreas Köster kündigte an, man werde außerdem über ein weiteres Anpassen der Spielzeiten nachdenken, morgens eine halbe Stunde später anfangen und abends 30 Minuten früher aufhören, dazu per Gerichtsentscheid verpflichten lassen wolle man sich aber nicht.

"Wenn der Kläger mit den leicht veränderten Spielzeiten einverstanden ist, muss es eventuell gar keine Gerichtsentscheidung mehr geben", sagte Gerichtssprecher Dr. Stephan Katerlöh nach Ende der Verhandlung. In den nächsten 14 Tagen wird sich entscheiden, wie es mit dem bald 58 Jahre alten Glockenspiel weitergeht. Dass es für immer schweigen muss, ist zum jetzigen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich.

(RP)
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