Horst Gabriel "Diese Fessel muss gelöst werden"

Solingen · Der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands freut sich über den wirtschaftsfreundlicheren Kurs der neuen Landesregierung.

 Horst Gabriel, Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes, sieht in der Industrie die Basis des Ganzen.

Horst Gabriel, Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes, sieht in der Industrie die Basis des Ganzen.

Foto: Melchior

Das "Entfesselungspaket" der neuen Landesregierung, sagt der Arbeitgeberverband Solingen, sei "ein gutes Signal für mehr Wachstum und Beschäftigung". An was denken Sie als Vorsitzender des Vereins da besonders?

Gabriel Ich möchte mehr Chancengleichheit mit den anderen Bundesländern. In NRW gab es das Kardinalproblem, dass die alte Landesregierung den Umweltminister vor den Wirtschaftsminister gesetzt hat. Die EU-Richtlinien zum Umweltschutz wurden nicht 1 : 1, sondern in übertriebenem Maß umgesetzt. Diese Fessel muss gelöst, die Alleingänge müssen gestoppt werden - ohne dass in Nordrhein-Westfalen Umweltpolitik vernachlässigt wird. Aber der erste Gedanke sollte der Wirtschaftspolitik gelten.

Also eine Rückbesinnung auf die industrielle Basis?

Gabriel Genau. Die Industrie ist die Basis des Ganzen. Aber es gibt weitere Punkte. Erstens muss die Infrastruktur am Leben erhalten werden. Es liegt nicht am fehlenden Geld, dass in NRW so viele Straßen und Brücken marode sind. Es liegt an der fehlenden Planungskapazität. Man war sich zu fein, Planungskapazität zuzukaufen. Anders in Bayern: Geld, das hier nicht genutzt wurde, floss dort in fertig geplante Projekte.

Und zweitens?

Gabriel Zweitens ist es gut, dass es jetzt wieder pragmatische Ansätze in der Schulpolitik gibt, dass beispielsweise Lehrer, die eine Ausbildung für die Sekundarstufe haben, auch zeitweise in der Primarstufe arbeiten.

Was begrüßen Sie als Unternehmer außerdem?

Gabriel Vor allem den geplanten Abbau von Bürokratie. Deregulierung ist bei den Gewerbeanmeldungen ebenso gefragt wie bei der "Hygieneampel" oder bei der Veröffentlichungspflicht von Investitionsanträgen im Internet. Da freut sich nur mein mitlesender Mitbewerber. Bei der Entfesselung geht es auch ums Gefühl: ums Empfinden, nicht immer nur Bremsklötze vorgesetzt zu bekommen. Es geht um eine neue Willkommenskultur für Unternehmen. Wir haben schon im Juni gesagt, wir wollen nicht länger auf Platz setzen, sondern auf Sieg spielen. Diese Ansätze sehe ich jetzt.

Sie kommen zu einer Zeit, wo es vielen Firmen nicht schlecht geht. Trotzdem klagen Chefs über eine Reihe von Problemen.

Gabriel Von denen der Fachkräftemangel sicher eines der größten ist. Das Problem ist eskaliert; vor einem halben Jahr sah es noch anders aus. Wer mir einen guten Werkzeugmechaniker vorstellt, dem zahle ich eine Prämie.

Wenn es keine Fachkräfte gibt, muss man sie ausbilden.

Gabriel Ich kann nicht verstehen, dass es immer noch Unternehmen gibt, die nicht ausbilden. Aber auch bei den Jugendlichen gibt es Vorbehalte. Um beim Beispiel Werkzeugmechaniker zu bleiben: Viele denken bei dem Beruf immer noch an den Blaumann, wollen ihn nicht ergreifen. Dabei macht bei neuen Werkstücken das Handwerkliche nur noch etwa 20 Prozent aus. Planung und Konstruktion erfolgen am Computer, und auch die Maschinen müssen programmiert werden. Bei uns verdient ein Werkzeugmechaniker deutlich mehr als ein Büroangestellter.

Und wenn das Programmieren die Lehrlinge überfordert?

Gabriel Sie meinen fehlende Eignung? Da haben ausbildungsbegleitende Hilfen schon immer ihren Sinn erfüllt. Da sehe ich überhaupt kein Problem. Auch wenn ich denke, dass Schule Jugendliche besser auf die Berufsausbildung vorbereiten sollte.

Was ist nötig, um Flüchtlinge zu Facharbeitern zu machen?

Gabriel Ohne Flüchtlinge wären wir ein sterbendes Land. Es gibt natürlich schwarze Schafe, aber die Zuwanderung ist eine Riesenchance. Es ist jedoch wichtig, dass es Schulungen gibt. In Neuss hat Werhahn beispielsweise extra eine Schule aufgemacht. Das ist bei uns nicht nötig. Wir haben die Schulen und eine IHK-Lehrwerkstatt, die auf Top-Niveau arbeitet. Flüchtlinge können an vielen Stellen eine große Hilfe sein.

Ein Thema aus den letzten Tagen: Viele Männer und Frauen haben noch einen Zweitjob, um über die Runden zu kommen.

Gabriel Man sollte vom normalen Job leben können. Aber das ist kein Thema der Metallbranche. Da geht niemand unter 13 Euro pro Stunde raus. Betroffen sind eher die Bereiche Gastronomie, Security und Gesundheit/Pflege.

Zurück zu speziellen Solinger Themen: Kämmerer Ralf Weeke sieht trotz hoher Gewerbesteuer-Einnahmen keine Chance, den Satz zu senken.

Gabriel Das ist in Ordnung. Wir tragen auch eine erhöhte Grundsteuer mit, auch wenn uns das im Standort-Wettbewerb weh tut. Die Stadt braucht ein bestimmtes Volumen, um in die Infrastruktur investieren zu können. Dazu stehe ich.

Denken Sie an bestimmte Aufgaben?

Gabriel Wir brauchen unter anderem einen vernünftigen Ausbau des Breitbandnetzes. Da müssen die Unternehmer aber mitziehen: Wer jetzt nicht in den Ausbau investiert, geht den Bach herunter. Nur wer schnell ist, gewinnt den Wettbewerb.

Dem Breitband-Ausbau ist eine von drei neuen Broschüren der Stadtverwaltung gewidmet. Eine andere listet freie Gewerbeflächen auf. Ist das mehr als Aktionismus?

Gabriel Die Broschüre, die vorrangig an Solinger Firmen gegangen ist, macht Sinn. Alleine schon deshalb, damit das Gerede aufhört, wir hätten nichts. Für die nächsten vier Jahre ist noch alles in Ordnung. Wir haben unter anderem Brachen wie Rasspe und Grossmann, die uns eine Zeitlang über Wasser halten. Aber wir müssen schon jetzt offen über weitere Flächen diskutieren. Niemand will das Ittertal bebauen. Aber ausgewiesene Gewerbegebiete wie Piepersberg und Fürkeltrath müssen zu Ende bebaut werden.

FRED LOTHAR MELCHIOR FÜHRTE DAS GESPRÄCH MIT HORST GABRIEL.

(flm)
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