Solingen "Die Täter kommen aus allen Schichten"

Solingen · Der Fall Edathy lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Verbrechensfeld, das größer ist als mancher glaubt: Kinderpornografie. Im Wuppertaler Präsidium ermittelt ein Spezialteam. 58 Fälle gab es 2012 im Gerichtsbezirk.

 Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert

Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert

Foto: MAK (Archiv)

Hatte der Jugendtrainer eines Remscheider Fußballclubs Pech oder war er nur zu blöd? Er hatte einen USB-Stick unterwegs verloren. Der ahnungslose Finder schaute rein, um den Besitzer zu identifizieren und fand neben Fotos einer Abschlussfahrt der U 17-Mädchenmannschaft auch brisantes Material: pornografische Fotos von Kindern. Für die Polizei war es nicht schwer, den Mann zu ermitteln. Kurz darauf erhielt er Post von der Staatsanwaltschaft.

Auf solche Zufälle will und kann sich die Polizei nicht verlassen. Im Wuppertaler Präsidium gibt es längst ein Team aus Spezialisten, das sich schwerpunktmäßig mit einem offenbar weltweit ausufernden Deliktbereich beschäftigt: Kinderpornografie. Die Zahlen für den bergischen Gerichtsbezirk Wuppertal, zu dem auch Solingen und Remscheid gehören, sprechen Bände: Exakt 100 Ermittlungsverfahren wegen illegaler Verbreitung pornografischer Inhalte hat Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert allein für das Jahr 2012 aufgelistet, in 58 Fällen geht es um Kinderpornografie. Aktuellere Zahlen liegen kurz vor Herausgabe der jährlichen Kriminalstatistik noch nicht vor. Tatort Internet — in 54 dieser bergischen Fälle wurden Fotos per Internet verbreitet beziehungsweise heruntergeladen. 26 Verfahren wurden eingestellt, nachdem es den Ermittlern aus unterschiedlichen Gründen nicht gelungen war, Beweise für eine persönliche, strafrechtlich begründete Schuld des Verdächtigen zu erbringen. 22 Verfahren laufen noch, zwei wurden an andere Strafbehörden abgegeben. In immerhin fünf Fällen ergingen Strafbefehle. Das Strafmaß, das sich nach der Schwere der Tat und möglichen Wiederholungsfällen richtet, kann nach Einkommen gestaffelte Geldbußen sowie Freiheitsstrafen bin bis zu einem Jahr. Bei besonders schwerwiegenden Delikten muss der Fall vor ein Gericht. Dann sind Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren möglich, erklärt Baumert.

In nahezu allen Fällen werden Strafbefehle von den Tätern akzeptiert, denn sie scheuen das Licht eines öffentlichen Prozesses. "Die Täter kommen aus allen Schichten", sagt Baumert. "Es kann der Sozialhilfeempfänger darunter sein ebenso wie der Oberarzt an der Klinik oder der nette Nachbar von nebenan." Manche dieser Männer seien verheiratet und hätten Kinder.

Der Job der Spezialermittler der Polizei ist ebenso schwierig wie hart. Akribisch verfolgen sie Spuren im Internet, immer wieder müssen sie kinderpornografisches Material sichten, bewerten und dabei auch ihre persönlichen Gefühle beherrschen, Widerwärtigkeitsgrenzen überwinden. Noch sind ihnen enge rechtliche Grenzen gesetzt: Reine Nacktbilder von Kindern sind nicht strafbar, erst dann, wenn sie "Posing-Charakter" haben, der erotische Bezüge betont. Den Spielraum der Ermittler will die Bundesregierung nun gesetzlich erweitern.

(RP)
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