Interview Ruth Deus "Kunden möchten ein Wohlfühlerlebnis"

Solingen · Die stellvertretende Geschäftsführerin des Handelsverbands blickt nach ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben zurück und sagt: „Zusammen kann man es schaffen.“

 „Kunden wollen heute den Erlebniseffekt beim Einkaufen“, sagt Ruth Deus – hier im Hofgarten in der Solinger City.

„Kunden wollen heute den Erlebniseffekt beim Einkaufen“, sagt Ruth Deus – hier im Hofgarten in der Solinger City.

Foto: Fred Lothar Melchior

Wie schlimm steht es um den Einzelhandel?

Deus Der Fachhandel ist in der Innenstadt zum großen Teil weggebrochen. Das ist kein Solinger Phänomen: Die Städte verändern sich überall, werden dadurch auch unattraktiver, auch was die Sauberkeit und die gefühlte Sicherheit angeht. Wer geht noch in die City, wenn das Sortiment nicht mehr deckend ist und es keine einheitlichen Öffnungszeiten gibt? Einkaufen ist heute eine Freizeitbeschäftigung geworden und dazu gehört der Erlebniseffekt – wie etwa in Hilden, wo es in der Fußgängerzone auch zahlreiche Verweilzonen und gastronomische Betriebe gibt. Wer Geld hat, der geht dorthin, wo es ein gutes Gesamtsortiment gibt, oder bestellt von zu Hause im Internet.

Also sind die neuen Anbieter in den Clemens-Galerien genau richtig für die City?

Deus Ja, das sehe ich so. Die neuen Mieter sorgen für eine höhere Frequenz und damit für eine neue Belebung der Clemens-Galerien. Die Discounter haben neue Konzepte entwickelt, die auch viele Kunden ansprechen, die dort früher nicht gekauft haben. Ebenso ist mit Rossmann ein Frequenzbringer eingezogen. Wenn Pizza Pazza kommt und die Gastronomie wieder stimmt, dann ist das ein wichtiger Schritt.

Von der auch das ehemalige Kaufhof-Gebäude profitieren könnte?

Deus Ich weiß nicht, ob es für Woolworth vorbereitet wird, ob Teile für Büros und Wohnungen umgebaut werden. Es darf auf keinen Fall ein Leerstand wie bei Appelrath & Cüpper werden. Das Gebäude in der Fußgängerzone wirkt wegen des Leerstands wie eine Ruine. Mit ihm fing der Niedergang an. Die Stadt hat viel versucht, leider mit mäßigem Erfolg. Ich wünsche mir, dass im Jahre 2020 der Eigentümer endlich seinen Pflichten nachkommt.

Wird der neue Masterplan City 2030 alles zum Besseren wenden?

Deus Ich denke, die Verantwortlichen haben erkannt, dass dies die letzte Chance für eine funktionierende Innenstadt ist. In Solingen ist immer nur punktuell etwas umgesetzt worden, wenn es gerade wieder Fördermittel gab. Das große Ganze wurde dabei nie beachtet. Viele Vorschläge und Konzepte, die durch das Innenstadtforum, den Initiativkreis und den Handelsverband gemacht wurden, zog die Stadtverwaltung leider nicht in Betracht. Jetzt werden durch externe Gutachter Vorschläge gemacht, die so schon auf dem Tisch waren.

Was läuft in Solingen besser als in anderen Städten?

Deus Die Zusammenarbeit der Einzelhändler in den verschiedenen Arbeitskreisen, die Art und Weise, wie die verkaufsoffenen Sonntage organisiert und ausgerichtet werden, die kurzen Kommunikationswege zur Verwaltung.

Deren Mühlen gelegentlich aber auch sehr langsam mahlen.

Deus Es war manchmal schwierig, die Verantwortlichen im Rat und in der Verwaltung dafür zu sensibilisieren, dass der Handel der drittgrößte Wirtschaftszweig ist. Als Verband haben wir beispielsweise kämpfen müssen, dass die Zufahrt zur Fußgängerzone morgens wenigstens bis 11 statt bis 10 Uhr erlaubt wurde. Vorher gab es bei Anlieferungen häufig Knöllchen. Dabei ist eine gut funktionierende Innenstadt ein wichtiger Baustein neben einer guten Infrastruktur, um neue Einwohner zu gewinnen.

Die Fußgängerzone verliert immer mehr Geschäfte. Die Discounter aber boomen.

Deus Auch Discounter sind ein wichtiger Versorgungsfaktor und nicht mehr wegzudenken, jedoch sollte die weitere Ansiedlung neuer Filialen besser gesteuert werden – was sich jedoch nur über eine frühzeitige Änderung der Bebauungspläne bewirken lässt, um weitere Gerichtsverfahren zu verhindern. Die Mitgliederstruktur unseres Verbandes hat sich ebenso verändert, viele Discounter gehören unserer Organisation an.

Discounter und Supermärkte bieten ihrer Kundschaft große Parkplätze an.

Deus Discounter und Supermärkte haben Ihre Sortimente ausgeweitet und decken weit mehr als nur den täglichen Bedarf. Gerade für Ältere oder Familien, die direkt vor den Geschäften parken wollen, bieten sich diese Handelsformen an. Manche Politiker möchten die Autos ganz aus der Innenstadt verbannen. Dies schadet meiner Meinung nach aber dem innerstädtischen Handel und fördert nur den Einkauf auf der grünen Wiese. Eine kundenfreundliche Verkehrsführung würde dem entgegenwirken und die City wieder beleben.

Handel funktioniert am besten mit engagierten Händlern.

Deus Der Zusammenschluss aller Werbegemeinschaften, unter Mitwirkung unseres Verbandes, unter dem Dach des Initiativkreises Solingen war ein großer Schritt in Richtung gute Zusammenarbeit. Die Kommunikationswege wurden verkürzt, Probleme und Entscheidungen konnten schneller gelöst und die Außenwirkung vergrößert werden. Ebenso wurde der Kontakt zu den Werbegemeinschaften verstärkt. In Wald sieht man, wie sich ein Stadtteil attraktiver machen lässt. Das gilt auch für Ohligs. In der Innenstadt ist es wesentlich schwieriger. Inhabergeführte Geschäfte sind weggefallen, und viele Filialisten dürfen oder wollen sich nicht an den Aktionen zur Belebung beteiligen.

In Ohligs fällt gerade Douglas weg. Ein großer Verlust?

Deus Natürlich ist es schade, wenn ein Frequenzbringer die Stadt verlässt. Anderseits hat Ohligs das Glück, dass man mit Flohr eine inhabergeführte Parfümerie hat. Der Weggang kann auch als Chance gesehen werden. Vielleicht siedelt sich ein Händler aus einem Bereich an, der in Ohligs noch fehlt.

Früher gab es den Sommer- und den Winterschlussverkauf. Hat der Wegfall der Wettbewerbsordnung den Händlern Vorteile gebracht?

Deus Ich sehe den Wegfall eher mit gemischten Gefühlen. Heute können Händler jeden Tag etwas veranstalten und so schneller die Lager leeren. Andererseits warten die Kunden heute auf den nächsten Sale, kaufen kaum noch regulär ein. Es ist für den Handel immer schwieriger, die Ware zu einem normalen Preis zu verkaufen. Schnäppchenjäger nutzen jede Chance, und wer sein Geld schon am „Black Friday“ ausgegeben hat, kommt nicht mehr groß fürs Weihnachtsgeschäft in Frage.

Kann ein Händler heute noch auf das Internet verzichten?

Deus Ich glaube, dass man nur noch zweigleisig fahren kann. Allerdings muss nicht jeder Händler seinen eigenen Internet-Shop haben – einen vernünftigen Auftritt im Web aber schon. Einen ersten Schritt in diese Richtung macht die Ohligs-App, die Solingen-App folgt.

2015 ist die Solinger Geschäftsstelle des Handelsverbands im IHK-Gebäude geschlossen worden. Wo bekommen Ihre Mitglieder jetzt Hilfe?

Deus Verbandsgeschäftsführer Ralf Engel und Rechtsanwältin Canan Klocke betreuen sie von Wuppertal aus, wie auch die Händler in den anderen Kommunen des Bergischen Landes.

Gibt es etwas in Ihrer Zeit beim Verband, an das Sie sich besonders gerne erinnern?

Deus Ich habe die gute Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedern geschätzt. Ebenso die Mitarbeit in den verschiedenen Gremien. Zu den schönen Erinnerungen gehören auch die Projekte „Fit für den Job“, „Upgrade“, „Generationenfreundliches Einkaufen“ und „Fairtrade town“. Ich erinnere mich auch gerne an die Zeit, als es in Solingen noch einen blühenden Einzelhandel und eine vielfältige Gastronomie gab. Das war die Zeit, als der Einzelhandelsverband im Zuge der Erneuerung der Fußgängerzone der Stadt den „Stein“ für die Hauptstraße gespendet hat. Ich hoffe, dass die Innenstadt nach dem Abschluss des Masterplanes 2030 wieder an Attraktivität gewinnt.

Was folgt auf Ihr Berufsleben?

Deus Ich engagiere mich als interkulturelle Vorlesepatin bei der Stadtbibliothek. Ich finde es wichtig, dass man jungen Migranten vorliest – in ihrer Heimatsprache und auf Deutsch. In dieser Woche habe ich auch meinen ersten Einsatz im Kindergarten Böckerhof. Und dann gibt es noch die Familie, den Haushalt sowie Garten und Hund. Ich ziehe mich auch nicht ganz ins Privatleben zurück, sondern bin weiter bei der Zertifizierung von generationenfreundlichen Geschäften dabei. Wenn ein Händler den Kontakt sucht, sage ich auch nicht nein. Außerdem bin ich nach wie vor am Arbeitsgericht als ehrenamtliche Richterin tätig.

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