Solingen Die Retter des Solinger Platt

Solingen · Im April zeigen die Bühnenspiele Höhscheid mit "Op jeden Pott 'nen Deckel" wieder ein Mundart-Stück. 2017 schien das Ende wegen Nachwuchsmangels nah. Nun ist die Theaterinstitution durch eine Kooperation mit dem Solinger Stadtensemble gesichert.

 Regisseur Alexander Riedel (r.) bei einer Probe zu "Op jeden Pott 'nen Deckel" im Dialog mit zweien seiner Schauspieler.

Regisseur Alexander Riedel (r.) bei einer Probe zu "Op jeden Pott 'nen Deckel" im Dialog mit zweien seiner Schauspieler.

Foto: Stephan Köhlen

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. In knapp zwei Wochen, am Freitag, 6. April, ist schließlich Premiere - und bis dahin müssen alle Texte und Szenen der Neuauflage von "Op jeden Pott 'nen Deckel" perfekt sitzen. Zumal es nach der ersten Aufführung im Pina-Bausch-Saal des Theater und Konzerthauses am 7. und 8. April zwei weitere Auftritte gibt. Was wiederum dazu führt, dass sich das Team der Höhscheider Bühnenspiele momentan besonders ins Zeug legt, um eine Art Gegenbeweis anzutreten.

 Sie kennt die Texte aller Schauspieler ganz genau: Autorin und Souffleuse Renate Kollig. Ulrike Hönemann und Ernst Seilheimer spielen tragende Rollen in der Neuaufführung von "Op jeden Pott 'nen Deckel".

Sie kennt die Texte aller Schauspieler ganz genau: Autorin und Souffleuse Renate Kollig. Ulrike Hönemann und Ernst Seilheimer spielen tragende Rollen in der Neuaufführung von "Op jeden Pott 'nen Deckel".

Foto: Köhlen Stephan

Ein Gegenbeweis zu der These, wonach Mundart-Theater irgendwie aus der Zeit gefallen ist. Sicherlich, die rund 2000 Zuschauer, die in diesem Jahr an insgesamt drei Abenden das Stück von Renate Kollig wahrscheinlich sehen werden, sind nicht mehr zu vergleichen mit jenen Massen an TV-Konsumenten, die noch bis in die 90er Jahre hinein die Aufzeichnungen von Aufführungen der Theatergruppe Wohlgemuth in Solinger Platt verfolgt haben. Aber trotzdem: Die Nachfrage nach den Karten zeigt, dass Mundart auf der Bühne sehr wohl eine Zukunft hat.

Wobei es um diese 2017 zunächst einmal gar nicht so gut bestellt schien. Die Bühnenspiele Höhscheid, die auf eine fast 100-jährige Tradition zurückblicken, standen vor dem Aus. Der Nachwuchs fehlte, weswegen die Theatergruppe um Chef Ernst Seilheimer eigentlich aufhören wollte. Doch dazu kam es nicht. Denn am Ende gelang es, mit dem Solinger Stadtensemble, dem Zusammenschluss der Theatergruppen in der Stadt, eine Kooperation zu schließen. Nun helfen das Stadtensemble und das Kulturmanagement nicht nur organisatorisch, sondern auch personell aus. Was sich bei der Neuaufführung von "Op jeden Pott 'nen Deckel" zum einen bei den Schauspielern zeigt. So sind unter den zehn Darstellern mit Karl-Heinz Stamm und Amira Kemperdick erstmals zwei Akteure aus anderen Theatergruppen aktiv.

Zum anderen spiegelt sich die Zusammenarbeit bei den "Bühnenspielen Höhscheid im Solinger Stadtensemble" aber auch in der Spielleitung wider. Mit dem Profan-Schauspieler Alexander Riedel hat nämlich ein Mann auf dem Regiestuhl Platz genommen, der aufgrund seiner Zeit bei Wohlgemuth (in den Jahren 2002 bis 2009) nicht allein Mundart-Erfahrung mitbringt, sondern gerade dadurch die Zukunft des Solinger Platt auf der Bühne verkörpert.

Denn der Mittdreißiger und gebürtige Ohligser gehört zu jener eher jüngeren Generation, die die Mundart nicht quasi direkt in die Wiege gelegt bekommen hat. Natürlich hat Riedel Verwandte, die das Platt nach wie vor gut beherrschen. Zum Beispiel sein eigener Vater - aber der spricht Solinger Mundart nur selten. Was wiederum zur Folge hatte, dass Alexander Riedel den traditionellen Dialekt seiner Heimatstadt bei der Theatergruppe Wohlgemuth erst mal richtig erlernen musste.

"Zunächst war es wichtig, viel zuzuhören", erinnert sich Riedel an die ersten Gehversuche in Platt, das für ihn damals zwar nicht wie eine Fremdsprache klang, doch auch nicht eben spielerisch über die Zunge ging. Im Gegenteil, Riedel blieb nichts anderes übrig, als mehr als einmal im "Picard" nachzuschlagen - jenes Standardwerk des Lehrers Rudolf Picard, der 1974 mit dem "Solinger Sprachschatz" ein Wörterbuch sowie eine Grammatik des Platts verfasst hat.

Ein Wunder sind solche Schwierigkeiten gleichwohl nicht. Während sich nämlich beispielsweise in Süddeutschland die Dialekte länger hielten und sich im Lauf der vergangenen Jahrzehnte daran anschließend eine jeweils ganz spezifische Sprachmischung aus Hochdeutsch mit unverkennbaren regionalen Klangbildern sowie Worten entwickelte, war der Bruch in Westdeutschland entschieden nachhaltiger.

Auch und gerade in mittelgroßen Städten wie Solingen, deren Mundarten - im Gegensatz zum Kölschen und zum Ruhrgebietsdeutsch - keinen Kultstatus in Kabarett beziehungsweise Musik zu erlangen vermochten. Einen im Singsang der Klingenstadt parlierenden Herbert Knebel oder gar eine bergische Rockgruppe BAP, die selbst für Eingeweihte schwer zu verstehen wäre, sucht man jedenfalls bis zum heutigen Tag in hiesigen Breiten vergebens.

Ist am Ende somit alles umsonst - und mit den Bühnenspielen Höhscheid kann der Niedergang des Solinger Platt lediglich verlangsamt, aber nicht aufgehalten werden? Alexander Riedel ist da nicht so pessimistisch. "Einige Mundart-Begriffe sind auch bei jüngeren Leuten immer noch bekannt", sagt der Spielleiter. So verwendete ein Bekannter von Riedel neulich erst das Wort "Knötterpitter" (Nörgler). Und "Örschel" (Sorge) gehört ebenfalls weiter zum Repertoire von Solingern der mittleren sowie der jungen Generation.

Sie werden also verstanden werden, die zehn Schauspieler, die Anfang April mit "Op jeden Pott 'nen Deckel" auf der Bühne stehen. In den Hauptrollen spielen dann Ernst Seilheimer und Karl-Heinz Stamm. Ein Ende ist jedenfalls erst einmal in weite Ferne gerückt. Denn schon jetzt steht fest, dass es im kommenden Jahr mit den Theaterstücken der Bühnenspiele Höhscheid weitergehen wird. "Es wird auch 2019 Aufführungen in Solinger Platt geben", verspricht Michael Tesch als Leiter des Stadtensembles.

(or)
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