Solingen Der Weg einer Familie zurück ins Licht

Solingen · Durch 1000-fach zu hoch dosierte Augentropfen wurden dem Solinger Frühchen Linus beide Augen verätzt. Viele Monate später ist klar: Linus kann sehen. Nun feiert Familie Ordowski erstmals gemeinsam Weihnachten.

 Familie Ordowski freut sich aufs erste gemeinsame Weihnachten: Der kleine Linus bringt Licht ins Leben der Eltern.

Familie Ordowski freut sich aufs erste gemeinsame Weihnachten: Der kleine Linus bringt Licht ins Leben der Eltern.

Foto: Stephan Köhlen

Nur wenige Tage, nachdem Linus das Licht der Welt erblickt hatte, wurde es ihm genommen. Ein 1000-fach zu hoch dosierter Zusatzstoff einer Augenlösung verätzte beide Sehorgane des Kindes. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen Oberarzt der Wuppertaler Klinik St. Anna und gegen mehrere Beschuldigte einer Kölner Apotheke.

"Wir waren damals schockiert, handlungsunfähig und fühlten uns völlig hilflos", erinnert sich Linus Vater Marcus Ordowski. Doch fast ein Jahr nach Linus' Geburt ist das Licht ins Leben der Familie zurückgekehrt. Durch zwei operative Eingriffe konnte das Augenlicht des kleinen Jungen zumindest auf der linken Seite gerettet werden. "Linus kann sehen", sagt seine Mutter Mirjam Ordowski. Das Kind, das so viel Licht in das Leben seiner Eltern und Großeltern gebracht hat, wird nicht blind bleiben. Gemeinsam feiert die junge Familie heute den ersten Heiligabend.

Es war der 7. Februar — der Tag, an dem ein vergessener Buchstabe höchst fatale Folgen haben sollte. Mirjam und Marcus Ordowski hatten bereits eine besorgte Zeit hinter sich, denn Linus wurde in der 28. Schwangerschaftswoche geboren und musste in den Brutkasten. Doch hatte das Frühchen sich gut entwickelt und sollte am 14. Februar entlassen werden.

"Es standen nur noch Routineuntersuchungen an", sagt Marcus Ordowski. Doch die Augentropfen, die für eine abschließende Untersuchung der Netzhaut eingeträufelt wurden, ließen den Jungen laut aufschreien. Als die Ärztin auf Drängen der Mutter die Behandlung stoppte, war es bereits zu spät.

Bisherige Ermittlungen ergaben: Ein Oberarzt soll zur Mischung der Lösung fehlerhafte Angaben gemacht haben. Für einen Konservierungsstoff, Benzalkoniumchlorid, soll er statt "mg" für Milligramm "g" für Gramm eingetragen haben. Benzalkoniumchlorid ist niedrigdosiert in Pharmazieprodukten wie Nasensprays enthalten, in hoher Dosierung wirkt es jedoch stark ätzend und wird in Desinfektionsmitteln verwendet. Der mutmaßliche Fehler des Arztes war in der Kölner Apotheke nicht aufgefallen.

"Den Fehler kann man verzeihen", sagt Linus Mutter. "Es ist schicksalhaft, dass es gerade uns passiert ist, doch sollte man aus diesen Fehlern lernen und die Kontrollen verbessern." Was sie aber nicht verstehen kann, ist das mutmaßliche Verhalten des beschuldigten Oberarztes. Denn der wird zudem verdächtigt, Krankenhausunterlagen nachträglich manipuliert und so den Verdacht auf Kollegen gelenkt zu haben.

"Es ist traurig, dass ein Arzt nicht zu seiner Schuld steht", sagt Mirjam Ordowski. "Er sollte die Courage haben, zu seinem Fehler zu stehen, täte er das, könnten wir ihm verzeihen, so hat es einen bitteren Beigeschmack." Linus kann sehen. Der Junge greift gezielt nach Gegenständen, kann vertraute von unbekannten Personen unterscheiden. "Er sieht uns an und lächelt", sagt Marcus Ordowski.

Das rechte Auge des Kindes wird blind bleiben. Eine Hornhaut-Transplantation brächte kosmetische Vorteile, birgt aber auch zahlreiche Risiken für die Entwicklung des Kindes, berichtet der Vater. Die Erfolgsaussichten, dass die neue Hornhaut angenommen werde, seien zudem gering.

So bleibt den Eltern die Möglichkeit, die Blicksymmetrie ihres Kindes später mit Hilfe einer farbigen Kontaktlinse auszugleichen, die auf den schwer verletzten Augapfel gesetzt wird. Welche Sehkraft das linke, weniger geschädigte Auge entwickeln wird, ist unklar. Weitere Eingriffe soll es vorerst nicht geben.

Linus wirkt munter und greift beherzt nach den grünen Zweigen des bereits geschmückten Tannenbaums. Sein erstes Weihnachten wird er im Kreis der Familie verbringen, zunächst mit Omas und Opas, Tante und Onkel, später dann allein mit seinen Eltern unter dem heimischen Weihnachtsbaum. "Wir genießen die Zeit mit ihm", sagt Linus' Mutter. "Man wächst in die Situation hinein, und wir wünschen uns, dass der Junge ein ganz normales Leben führen kann."

(RP/rl)
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