Solingen Der lange Schatten Eichmanns

Solingen · Morgen zeigt die ARD einen Film über den Nazimörder, der aus Solingen stammte. Viele Jahre erinnerten sich nur wenige an den Mann, der 1962 in Israel hingerichtet wurde. Erst mit dem Prozess nahm das Verdrängen allmählich ein Ende.

Die Leute vom Fernsehen wurden nicht fündig. Kurz vor dem Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem kam im Frühjahr 1961 ein Team von Kameramännern und Redakteuren nach Solingen. Das Drehbuch für ihren Film hatten sie bereits im Kopf: "Auf den Spuren des Henkers – Adolf Eichmann". Aber ausgerechnet in der Geburtsstadt des berüchtigten SS-Obersturmbannführers sowie lange untergetauchten Naziverbrechers verloren die TV-Macher die Fährte, noch ehe sie diese richtig aufgenommen hatten. Eichmanns Elternhaus in Krahenhöhe stand Anfang der 60er-Jahre schon nicht mehr. Und der Cheforganisator des Holocaust war längst aus dem Gedächtnis vieler Zeitgenossen verschwunden, nur noch ein dunkler Schatten der Vergangenheit. Jedenfalls, selbst ältere Passanten konnten damals in Solingen mit dem Namen Eichmann kaum mehr etwas anfangen – was die Autoren der Sendung, die schließlich am 12. April 1961 ausgestrahlt wurde, zu der Frage veranlasste: "Oder wollten sie sich nur nicht erinnern?"

1906 in der Klingenstadt geboren

Das war allerdings etwas unfair. Denn erstens hatte der Mann, der maßgeblich an der Ermordung von rund sechs Millionen Juden im "Dritten Reich" beteiligt gewesen war und der darum 1961 in Israel zum Tode verurteilt sowie im Jahr darauf hingerichtet wurde, nur kurz in Solingen gelebt. 1906 geboren, zog Eichmann noch als Kind mit seiner Familie aus der Klingenstadt weg. Gut möglich also, dass sich die Solinger 1961 wirklich nicht mehr explizit an den Massenmörder erinnerten. Und zweitens herrschte zu Beginn der 60er-Jahre noch in ganz Deutschland ein Klima des Verdrängens vor. Von dem Völkermord an den Juden und dem langen Schatten der Vergangenheit sprachen nur wenige.

Doch allmählich begann die Mauer des Schweigens zu bröckeln – wozu auch der Fall Eichmann beitrug, dem die ARD morgen ein Dokudrama mit Starbesetzung widmet. In "Eichmanns Ende" spielt Herbert Knaup den Schreibtischtäter, dem nach dem Krieg zunächst die Flucht nach Argentinien gelang, wo er erst 1960 von Agenten des israelischen Geheimdienstes aufgespürt und zum Prozess nach Jerusalem gebracht wurde.

Eine Rolle, die einer Gratwanderung gleichkam. "Eichmann war ja kein Monster", sagte Schauspieler Knaup unlängst in einem Interview. Und tatsächlich: Der Mann, der mit unfassbarer bürokratischen Akribie die Deportationszüge in die Vernichtungslager der Nazis zusammenstellte, der – ohne mit der Wimper zu zucken – millionenfach Kinder, Frauen und alte Menschen in den sicheren Tod schickte, wirkte als Privatmann eher bieder. Ein Familienvater, der sich zu Hause um Frau und Söhne kümmerte, der vor seiner Nazikarriere ein einfacher Verkäufer gewesen war – und der nach seiner Ergreifung alles daran setzte, die eigene Haut zu retten.

Hatte er sich nämlich kurz vor seiner Entdeckung sogar noch gegenüber einem anderen alten Nazi damit gebrüstet, einen großen Anteil an den Massenmorden gehabt zu haben, so versuchte Eichmann dann im Jerusalemer Prozess, seine Rolle möglichst klein zu reden. Er sei doch nur ein ganz winziges Rädchen im großen Getriebe der NS-Barbarei gewesen und habe sich den Befehlen seiner Vorgesetzten nicht entziehen können. Doch das hätte er sehr wohl gekonnt, wenn er nur gewollt hätte. Und vielleicht war es ja genau diese Banalität des Bösen, diese Mischung aus Spießertum und Brutalität, die die Deutschen schließlich Anfang der 60er-Jahre zwang, sich mehr mit ihrer jüngsten Geschichte auseinanderzusetzen. Alle Tageszeitungen hatten damals Korrespondenten nach Israel geschickt, seitenweise wurde über das Verfahren berichtet – und so kehrten allmählich neben Eichmann noch viele andere Naziverbrecher aus dem Schatten der Geschichte zurück.

Asche im Meer verstreut

Ein Prozess, der Jahrzehnte dauerte und mit dem Ausgang des Verfahrens gegen Adolf Eichmann noch lange nicht zu Ende war. Der gebürtige Solinger, der nur scheinbar keine Spuren in seiner Heimatstadt hinterlassen hatte, wurde am 15. Dezember 1961 zum Tode verurteilt sowie am 29. Mai 1962 gehenkt. "Eichmanns Asche im Meer verstreut", meldete die Morgenpost einen Tag später. Doch da hatte die Aufarbeitung gerade erst begonnen. Auch in Solingen, wo heute Stolpersteine an die Opfer Eichmanns erinnern.

(RP)
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