Der Ehrenpreis

Solingen · Die Literaturnobel- preisträgerin soll 2014 die Schärfste Klinge, den Ehrenpreis der Stadt, erhalten. Die zweite Frau und erste Schriftstellerin unter den Preisträgern ist "wortsüchtig".

Wie besessen sammelt Herta Müller Wörter. Sie schneidet sie aus Zeitungen aus, mit einer kleinen Klappschere, die sie stets bei sich trägt. So schnippelt sie munter, etwa wenn sie in Flugzeugen sitzt. Später dann legt sie die gesammelten Wörter aus, auf ihrem großen Küchentisch, fügt die Schnipsel neu zusammen, neue, teilweise skurrile Wortgebilde entstehen. Silbersack. Wolkenglatze. Die Wortgebilde klebt Herta Müller auf Karten und verschickt sie an Freunde. Oder sie sammelt sie in inzwischen ungezählten Karteikästen. Damit bloß kein Wort verloren geht. Scharf? Klinge? Ob auch diese beiden Wörter in ihrem Zettelkasten sind, wissen wir nicht. Doch spätestens seit dem Anruf von Solingens Oberbürgermeister Norbert Feith haben sie für die Literaturnobelpreisträgerin von 2009 einen neuen Sinnzusammenhang: Die Dichterin ist neue Trägerin der Schärfsten Klinge, dem Ehrenpreis der Stadt Solingen.

Herta Müller ist eine Wortakrobatin. Sie selbst bezeichnet sich als "wortsüchtig". "Das Kleben der Wörter ist so sinnlich", sagt sie in einem Spiegel-Interview, "die Wörter können und dürfen alles." Nicht nur ihre Wort-Collagen haben sie berühmt gemacht. Ihr Werk ist so vielschichtig, wie die Liste ihrer Literaturpreise lang ist. Es umfasst Romane, Gedichte, Kurzgeschichten. Doch in herkömmliche Gattungen lässt sich ihr Schaffen nur schwer einordnen. Untrennbar mit diesem Werk verbunden ist Herta Müllers Biografie. Geboren und aufgewachsen in rumänischen Banat, das von einer deutschen Minderheit bevölkert wird, gerät sie Anfang der 80er Jahre in die Fänge des Geheimdienstes Securitate, dessen Werben sie mutig widersteht. Sie wird heftig drangsaliert, bedroht und 1987 schließlich zur Ausreise nach Deutschland gedrängt.

"Der Teufelskreis der Diktaturen" zieht sich wie ein roter Faden durch das Schaffen der Preisträgerin. In dem 2009 erschienenen Roman "Atemschaukel" schildert sie das Schicksal eines 17-jährigen Siebenbürger Sachsen in einem sowjetischen Arbeitslager. Im selben Jahr erhält sie den Literaturnobelpreis. "Ja, wenn die Fahnen flattern, rutscht das Herz in die Trompete", zitiert sie ihren Großvater, der den Ersten Weltkrieg erlebte. "Diese Warnung passte auch auf die folgende Diktatur, die ich erlebte", sagte Herta Müller in ihrer Rede zur Nobelpreisverleihung. "Täglich sah man den Verstand der großen und kleinen Profiteure in die Trompete rutschen. Ich habe die Trompete nicht geblasen."

Herta Müller ist die zwölfte Preisträgerin der Schärfsten Klinge, die 1978 erstmals vergeben wurde. Nach der Verfassungsrichterin Jutta Limbach (2002) ist Herta Müller die zweite Frau und die erste Dichterin, die den Solinger Ehrenpreis erhält. Bisher waren es vornehmlich Politiker wie Bruno Kreisky (1980), Richard von Weizäcker (1982) Lothar Späth (2005) und Jean Claude Juncker (2008). Letzter Preisträger war der Bürgerrechtler, Stasi-Beauftragte und heutige Bundespräsident Joachim Gauck (2011), der die Laudatio halten soll.

Der Ehrenpreis soll Ende 2014 verliehen werden. Doch angesichts der Prominenz und Beschäftigung von Preisträgerin und Laudator werde es wohl schwierig sein, einen für alle passenden Termin zu finden, verlautete aus dem Büro des Oberbürgermeisters.

(RP)
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