Solingen Das Glockenspiel darf weiter erklingen

Solingen · Die Klage eines Arztes gegen das Glockenspiel in der Fußgängerzone wurde gestern vom Gericht abgewiesen.

Die Verkündung der Entscheidung dauerte keine fünf Minuten. Andreas Köster, der das Juweliergeschäft Leiber führt, an dessen Hausfassade das Glockenspiel erklingt, fiel ein Stein vom Herzen. Denn Andreas Köster war sich seiner Sache keineswegs sicher. Seit August vergangenen Jahres wusste er, dass ein Nachbar gegen das Glockenspiel klagt. Besonders der Beatles-Song "Yellow Submarine" strapazierte offenbar die Nerven des Zahnarztes, der sieben Jahre unweit des Glockenspiels praktizierte und der seit rund einem Jahr die ehemaligen Praxisräume zum Wohnen nutzt.

Genau diese Tatsache war für das Gericht einer der Gründe, die Klage abzuweisen. "Die Situation war dem Kläger seit langer Zeit bekannt, weil er jahrelang seine Praxis dort hatte", sagte Amtsrichter Steinbring. Er sah darüber hinaus keine "unzumutbare Beeinträchtigung" durch das Glockenspiel, das in einem Innenstadtbereich betrieben wird und einen für diesen Bereich zulässigen Lärmpegel nicht überschreitet. Dem Glockenspiel attestierte der Jurist in der Begründung seiner Entscheidung "einen prägenden Charakter für das Innenstadtbild in der Solinger Fußgängerzone". Glockenspiel werde von Menschen im allgemeinen nicht als lästiges Geräusch empfunden, schließlich handele es sich nicht um Industrielärm.

Nach der richterlichen Entscheidung, die beim Landgericht Wuppertal angefochten werden kann, dürfen Andreas und Annette Köster das Glockenspiel nun uneingeschränkt weiter betreiben, also auch an Sonn- und Feiertagen. Dass das Glockenspiel derzeit sonntags und an Feiertagen nicht erklingt, war ein freiwilliges Entgegenkommen von Andreas Köster. Auch nach der Entscheidung will er zunächst nichts an den Spielzeiten ändern. "Ich habe Respekt vor anderen Menschen und bin fair", sagt er. Vielleicht wird er später einmal die Bürger befragen, ob das Glockenspiel demnächst auch wieder sonntags spielen soll, von 12 bis 19 Uhr, so wie es früher war.

"Die Klage ließ sich nicht allein mit mathematischen Formeln über Lärmpegel lösen, das Glockenspiel ist ein Stück Solinger Kultur", sagt Gerichtssprecher Dr. Stephan Katerlöh nach der Verkündung. Der Kläger habe nun einen Monat Zeit, gegen das Urteil Einspruch einzulegen, so der Sprecher. Vor Gericht waren gestern weder der Kläger noch seine Anwältin Verena Höfer erschienen. Wie sehr die meisten Solinger das Glockenspiel mögen, hatte unlängst eine Unterschriftenaktion gezeigt. Auch von Nachbarn hat Andreas Köster in den vergangenen Wochen viel Zuspruch bekommen.

Gustav Leiber, dessen Geschäft Andreas Köster mit seiner Ehefrau führt, war bis zu seinem Tod im Jahr 1935 offizieller Zeitgeber der Stadt. Der Uhrmacher trug Verantwortung für das Aufziehen der städtischen Uhren mit Ausnahme derer, die sich auf Kirchtürmen befanden. Das Glockenspiel nahm seinen Betrieb im Jahr 1955 auf, inzwischen hatte sein Sohn das Geschäft übernommen, der Schwiegervater von Andreas Köster. Noch heute muss das Glockenspiel von Hand ausgestellt werden, wenn es an Sonn- und Feiertagen nicht spielen soll. Und trotz des gestrigen Urteils: Karfreitag wird es keine Glockenspielklänge geben, ebenso nicht von Karsamstag nach Geschäftsschluss bis Dienstagmorgen, wenn Andreas Köster seinen Laden wieder öffnet. Dann wird der Westminster-Schlag alle 15 Minuten zu hören sein und sechs Mal pro Tag ein Lied, so, wie es viele Solinger seit Jahren gewöhnt sind und mögen.

(RP)
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