Solingen Das Gericht als Erziehungshelfer

Solingen · Der Jugendrichter beschäftigt sich im Alltag in erster Linie mit Schwarzfahrern, Ladendieben und Kiffern. Sorge bereitet die Tendenz, dass bei Schlägereien unter Jugendlichen immer mehr Messer zum Einsatz kommen.

Auf lange Sicht wird es im Bergischen Land weniger Straftaten von Jugendlichen geben. Das bringt alleine der demografische Wandel mit sich. Straftaten von Jugendlichen beschäftigen aber weiterhin die Gerichte. "Die Jugendkriminalität ist ein großes Problem", sagte Markus Asperger, Direktor des Amtsgerichtes Solingen, gestern bei der Jahrespressekonferenz des Landgerichts Wuppertal.

Sein Remscheider Kollege, Jugendrichter Peter Lässig, pflichtete ihm bei. In der alltäglichen Arbeit beschäftigt sich der Jugendrichter in erster Linie mit Schwarzfahrern, Ladendieben und Kiffern. Allerdings bereitet eine Tendenz den Richtern größere Sorgen: "Wenn es zu einer Schlägerei kommt, sind immer häufiger Messer im Einsatz", sagte Jugendrichterin Annette Spormann aus Wuppertal.

Prozesse vor dem Jugendschöffengericht finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. So schreibt es das Gesetz vor. Der Grundgedanke der Jugendgerichtsbarkeit heißt: "Erziehung statt Strafe." Die Richter versuchen ein Stück Erziehungsarbeit zu leisten. Spormann lässt sich von der Frage leiten: "Was braucht der Jugendliche, damit er in Zukunft straffrei leben kann?" Gesucht wird eine Entscheidung, die dazu beiträgt, dass der Delinquent wieder in die Spur kommt.

Manche Urteile sorgen zunächst für Kopfschütteln. Zwei Brüder, 23 und 16 Jahre alt, zerstören Autos, klauen Navis, zerstechen Reifen. Der 23-Jährige wandert für ein Jahr in den Knast, der 16-Jährige muss fünf Entschuldigungsbriefe schreiben und 40 Stunden bei der Essensausgabe der "Tafel" helfen. "Ich berücksichtige bei den Maßnahmen die persönliche Entwicklung", sagte Spormann. Wie wächst der Junge auf? Wie ist sein Elternhaus? Geht er zur Schule? War er bereits auffällig? Zusammen mit den Mitarbeitern der Jugendgerichtshilfe entwirft die Richterin ein Persönlichkeitsprofil. Im Vergleich zum Prozess mit Erwachsenen erzählen Jugendliche bereitwillig. "Sie taktieren nicht", sagte die Richterin.

Als misslich bezeichnete Jugendrichter Lässig, dass häufig eine zu große Zeitspanne vergeht, bis die Strafe für die Tat verhängt wird. Der erzieherische Nutzen verpufft. Lässig verdeutlichte die Problematik an einem Beispiel: Wenn eine Mutter zu ihrem Sohn sagt, er habe zwei Wochen Handyverbot, und der Sohn fragt: "Warum?" - dann lautet die Antwort der Mutter in der Logik der langsamen Mühlen der Jugendgerichte: "Weil du vor einem Jahr dein Zimmer nicht aufgeräumt hast."

Einen Ausweg aus dem Dilemma schafft der "Staatsanwalt vor Ort". In Remscheid wird dieses System bereits seit Jahren erfolgreich erprobt. Das Prinzip lautet: Die Strafe folgt auf den Fuß. Innerhalb von wenigen Tagen kommt es zur Hauptverhandlung. Wenn notwendig, wandert der Jugendliche direkt in die Jugendarrestanstalt. "So etwas spricht sich schnell in der Jugendszene herum", sagte Lässig. Für Richterin Spormann ist das Prinzip "Erziehung statt Strafe" das einzige, was für Jugendliche etwas bringt.

(RP)
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