Solingen Coco und sein Keller

Solingen · Das Solinger Urgestein erklärt bei zwei Tassen Kaffee, warum er Coco und nicht Wolfgang genannt wird, erzählt aus seinen Erfahrungen in der Musikszene der Stadt und erinnert sich an seine Hassliebe zum „Kellerkino“.

Musiker Coco Teuber schlürft Kaffee. „Ich glaube nicht an Horoskope, aber ich bin Stier. Und ein Stier ist heimatverbunden.“ Nie hat es ihn weit weggezogen von der Klingenstadt. Nur einige Zeit hat er in England gelebt und ein paar Monate im Oberbergischen. Aber in Solingen fühlt er sich zuhause. Hier leben die Menschen, die ihn kennen, die ihn mögen. Coco Teuber ist bekannt in Solingen. Er hat das Kellerkino gut 16 Jahre geleitet, er war Sänger der „Mods“, der Rolling Stones Solingens, und hat immer in der Kulturszene der Stadt mitgemischt.

An diesem Tag wirkt der 60-Jährige jugendlich. Mit langen Haaren, die er seit den 60ern so trägt, Kapuzenjacke und einer „stone-washed“ Jeans in Größe S sitzt das zierliche Solinger Urgestein an einem der Orte, die er häufiger aufsucht: eine Kneipe in der Ohligser Fußgängerzone. „Das Siezen mag ich nicht“, sagt er gleich zu Beginn des Gesprächs mit kratziger, aber vergnügter Stimme. Also lassen wir den „Herr Teuber“ bei Seite. Und Wolfgang? „Keiner nennt mich Wolfgang!“ Schön, dann eben Coco.

Den Spitznamen Coco ist der Musiker seit Beginn der 70er nicht mehr losgeworden. Am Anfang mochte er den Namen nicht. Aber wie vieles in Cocos Leben, entwickelte auch dieser Spitzname eine Eigendynamik. „Ein Freund gab ihn mir. Mit meiner Rod-Stewart-Frisur erinnerte ich ihn an einen Comic-Raben, dem die Federn am Kopf hoch standen. Und der hieß Coco.“

Wenn Coco erzählt, dann reiht sich eine Anekdote an die nächste. Als der Fan Coco Teuber die Rolling Stones bei ihrer ersten Deutschlandtour 1965 am Düsseldorfer Flughafen empfing, fand er sich am nächsten Tag als Schrecken des Bürgertums in einer Tageszeitung wieder. Unter der Überschrift „Was ist von dieser Jugend zu erwarten? Die Bundesrepublik steht vor einem unlösbaren Problem“ prangte das Bild des langhaarigen Coco. Er selbst sah sich nicht als Problem, sondern begriff die Musik als Chance. „Als ich die Beatles in England gesehen hatte, stand für mich fest: reich und berühmt wollte ich werden“, erinnert sich der Sänger. Mit „The Mods“ wird er der Mick Jagger Solingens, bevor es ihn 1981 in den Keller der ehemaligen Beckmann-Brauerei an der Schützenstraße verschlägt.

Die Idee zum Kellerkino wurde auf dem Dürpelfest geboren. Aus dem ehemaligen Jazzkeller sollte eine „Programmkneipe mit Kino“ ein Paar Stufen unter Straßenniveau werden. „Wir hatten immer drei Standbeine: das Programmkino, die Kneipe und Live-Musik-Abende.“ Besonders die Live-Musik war zunächst Coco Teubers Anliegen. Aber es war die Melange aller drei Dinge, die den Keller zum Keller machten. „Wenn ein Bein weg gebrochen wäre, hätten auch die anderen beiden den Keller noch tragen können.“ In dieser Zeit holte Coco Tony Sheridan in den Keller, der nicht nur als Begründer der Beatmusik gilt, sondern auch als Entdecker der Beatles gehandelt wird. „Es kamen nur 20 Zuschauer“, erinnert sich Coco an den Auftritt. Die Einsicht, dass der Keller allein von Solinger Publikum nicht überleben würde, setzte sich bei ihm schnell durch. „Ich habe jede Programmzeitung im Umkreis von 20, 30 Kilometern abgeklappert.“

Es kamen gute Zeiten und weniger gute. Aber der Keller mit seinem muffigen Geruch nach abgestandenem Bier, nach Zigaretten, das mitunter gammlige Sammelsurium der Einrichtung, die sich Coco auf Flohmärkten zusammensuchte, und das verruchte Flair zog Publikum auch aus der Umgebung an. „Beim Film rauchen, sich mit ’nem Bierchen in den Sessel fläzen, das hatte irgendwie ’was Gemütliches. Das war wie ein Wohnzimmer.“ In den Jahren des Kellerkinos hatte Coco kaum Freizeit. Alles drehte sich um den Keller, mit dem ihn eine Hassliebe verband. Mitunter schmiss er Abend für Abend die Filmrolle auf die Vorführmaschine, um dann wieder vorne den Tresen zu machen. „Dieser Stress ging mir an die Substanz.“

Der Brand am Düsseldorfer Flughafen 1996 war Auslöser für das Ende des Kellerkinos. „Die Bauaufsicht der Stadt griff stärker durch. Der Keller hatte zwar Notausgänge. Aber sie entsprachen nicht den Auflagen. Eine Änderung wäre zu aufwändig gewesen“, spult Coco Teuber die Umstände von damals herunter. Zwei Tage vor Silvester 1997 stieg die letzte Party im Kellerkino. Motto:„Ballermann 6“.

Wenn Coco heute am ehemaligen Keller vorbeifährt, dann werden seine Augen feucht. Viel verbindet er mit diesem Gebäude – um genau zu sein: 16 Jahre seines Lebens. Und fast hätte es den Keller und diese 16 Jahre nicht gegeben. Coco schmunzelt gegen Ende des Gesprächs, als er diese letzte Anekdote erzählt. Die Rockband Nazareth, die später den Welthit „Love hurts“ sang, wollte Coco Anfang der 1970er als Tourmanager für den ganzen Globus engagieren, nachdem er die Auftritte in Deutschland schon organisiert hatte.

„Ich habe der Liebe wegen abgelehnt. Sonst säße ich heute vielleicht in Kalifornien“, sagt er in einem gelassenen Tonfall und nimmt den letzten Schluck Kaffee in der Ohligser Kneipe.

(RP)
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