Solingen Bis in alle Fasern ein Wollmensch

Solingen · Das Wülfingmuseum in Radevormwald-Dahlerau erzählt die Geschichte der Textilindustrie des Bergischen Landes an der Wupper. Dort lässt Museumsführer Wolfgang Masanek Gäste den Geist der textilen Produktion der Vergangenheit spüren.

 "Fühlen Sie mal", fordert Wolfgang Masanek die Museumsbesucher auf, Proben verschiedener Wollsorten auf der Haut zu spüren.

"Fühlen Sie mal", fordert Wolfgang Masanek die Museumsbesucher auf, Proben verschiedener Wollsorten auf der Haut zu spüren.

Foto: Jürgen Moll

Wolfgang Masanek nennt den kleinen Kosmos an der Wupper in Dahlerau sein Zuhause. Obwohl er aus Cottbus kommt und in Aachen studiert hat, ist das Gebiet um die alte Tuchfabrik Johann Wülfing & Sohn zu seinem Bezugspunkt geworden. Der Textilingenieur war von 1962 bis 1996 an der Wupper beschäftigt und lässt die Vergangenheit immer, wenn er durch die alten Fabrikräume schlendert, aufleben.

Dabei trägt er ein qualitativ hochwertiges Jackett, das seinen Körper atmen lässt, ihn gut anzieht und Teil seiner Biografie ist. "Ich bin ein Wollmensch. Ich liebe Textilien und gebe diese Begeisterung gerne weiter", sagt er. Während die ersten Strahlen der Mittagssonne in das Wülfing-Museum fallen, wartet der 81-Jährige auf die ersten Besucher des Tages, denen er alles über tierische, pflanzliche und synthetische Fasern beibringen kann. Vom Ursprung bis zum fertigen Produkt.

 Leinen hat ganz andere Eigenschaften als Schafwolle. Wolle lässt sich gut einfärben, wie diese Proben zeigen. Ob Glencheck oder Pepita - Wülfing-Tuche standen einst für erstklassige Qualität. Die Stoffe waren sehr strapazierfähig (v.l.).

Leinen hat ganz andere Eigenschaften als Schafwolle. Wolle lässt sich gut einfärben, wie diese Proben zeigen. Ob Glencheck oder Pepita - Wülfing-Tuche standen einst für erstklassige Qualität. Die Stoffe waren sehr strapazierfähig (v.l.).

Foto: Moll Jürgen

Obwohl er die vielen Wollproben schon unzählige Male zwischen seinen Händen gefühlt hat, kann Wolfgang Masanek nicht an der ausgestellten Wolle vorbeigehen. "Man fühlt die Qualität und bekommt ein Gefühl für den Rohstoff", sagt er und greift zu einem kleinen Wasserglas und lässt einige Wassertropfen auf mehrere Stoff- und Wollproben fallen. An manchen Stoffen perlen die Wassertropfen ab, andere saugen das Wasser gierig auf. "Ein sehr schönes Experiment, das uns viel über unsere Rohstoffe verrät", sagt Masanek.

Er nutzt seine Stimme, um Wolle wieder populärer zu machen und ihre Fähigkeiten in den Vordergrund zu stellen. "Wolle klimatisiert unsere Körper und unsere Räume. Wenn wir schwitzen, trägt Wolle die Flüssigkeit nach außen und wenn uns kalt ist, wärmt die Wolle. Es gibt keinen besseren Rohstoff für Kleidung." Im Bergischen Land wurden Wollwebereien entwickelt, weil sich das Mittelgebirge für die Schafzucht eignet.

Solingen: Bis in alle Fasern ein Wollmensch
Foto: Moll Jürgen

Neben der robusten Wolle der einheimischen Schafe gibt Wolfgang Masanek aber auch einen Einblick in die Wolle aus anderen Regionen der Welt. "Fühlen sie mal, wie weich diese Wolle ist", sagt er und reicht ein weißes Bündel weiter. Die Alpakawolle schmiegt sich an und entlockt den meisten Besuchern einen Seufzer der Begeisterung. "In den Anden sind die Nächte kalt und der Wind ist sehr stark. Das alles macht die Wolle weich und locker", erklärt der Textilingenieur. Während Museumsbesucher die verschiedenen Stationen auf eigene Faust erkunden, ruht er sich hin und wieder auf einer halbrunden Sitzgelegenheit in der Mitte des Museums aus.

Die Transmissionen der alten Dampfmaschine waren früher der Motor der Tuchfabrik. "Diese Bauteile versorgten alle Stockwerke mit Energie", sagt Masanek. Wenn er jetzt in dem stillen Museum sitzt, hört er die Webstühle immer noch rumpeln. "Diese Geräuschkulisse vergisst man nicht."

Solingen: Bis in alle Fasern ein Wollmensch
Foto: Moll Jürgen

In seiner Themenführung erklärt er den Gästen auch die Architektur der Fabrik und führt sie an einen historischen Webstuhl heran. Bis die Wolle an dieser Stelle verarbeitet werden kann, muss sie gewaschen und gekrempelt werden. Der fettige Charakter der heimischen Schafwolle geht dann verloren. Nach diesem Schritt folgt das Spinnen und Zwirnen. Wolfgang Masanek erläutert auch den Unterschied zwischen Streich- und Kammgarn und geht auf die einzelnen Produktionsschritte ein.

Er könnte den ganzen Tag über die Qualität von Wolle und verschiedene Verarbeitungsmethoden reden. Dank ihm und den anderen Experten des Wülfingmuseums wird ein großes Stück Heimatgeschichte wieder lebendig und erfahrbar. Der Industriestandort Wupper hat die Erinnerungen und Errungenschaften der bergischen Industrie konserviert und gibt sie behutsam an seine Besucher weiter. Heimat ist auch ein geschärftes Bewusstsein für die Historie eines Ortes.

Damit die Erinnerung nicht verblasst, kommt Masanek fast täglich in die alte Fabrik zurück, und wenn sich die Tür mal hinter ihm schließt, verbringt er seine Freizeit an der freien Luft. "Ich nenne das meine Riviera von Radevormwald."

(RP)
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