Solingen Angst aushalten

Solingen · Kennen Sie das Gefühl? „Angst essen Seele auf“! Dieser Titel eines Filmes von Rainer Maria Fassbender hat ein Eigenleben bekommen, weil er ein Grundproblem des Menschen anspricht und treffender als irgendeine lange Abhandlung auf den Punkt bringt, was das Gefühl Angst bewirken kann. Vom Wortsinn hat Angst etwas mit Enge, mit Eingeschnürtsein zu tun. Das Gefühl der Angst schnürt uns die Kehle zu.

Meist haben wir Angst vor Verlust, verbunden mit der Sorge um die Zukunft. Als Krankenhausseelsorgerin treffe ich Menschen, die sich Sorgen um ihre Gesundheit machen. Oft komme ich in Situationen, in denen den Menschen die Angst z.B. vor einem Befund den Schweiß auf die Stirn treibt und ich merke: Angst ist nicht nur ein seelischer, sondern auch ein leiblicher Zustand. Angst an sich entstammt natürlichen Wurzeln und ist im Grunde sinnvoll. Sie hat eine lebenswichtige Funktion: Angst ist wie Schmerz. Beide sind nicht schön, aber notwendig.

In unserer Gesellschaft jedoch ist kein Gefühl so sehr tabuisiert wie das der Angst. Alle anderen Gefühle, wie z.B. Freude und Liebe aber auch solche wie Wut und Trauer scheinen attraktiver als Angst. Und darauf reagiert der Psychomarkt: Ein kurzer Blick ins Internet bietet mir viele Möglichkeiten, mich meines Problems der Angst scheinbar schnell zu entledigen: „Angstfrei in Minuten – befreien sie sich endgültig von Ängsten“ oder „Nie mehr Angst haben ... Selbstheilung leicht gemacht“. Gefährlich daran ist, dass Angst abgewehrt und verleugnet wird. Uns wird eine Welt suggeriert, in der wir dauerhaft angstfrei leben könnten. Dagegen heißt es in der Bibel „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“.

So verabschiedet sich Jesus im Evangelium nach Johannes von seinen Freunden am Abend vor seiner Festnahme (Johannesevangelium Kapitel 16 Vers 33). Jesus leugnet nicht, dass es viele Gründe gibt, in der Welt Angst zu haben. Er selbst war nach anderen biblischen Zeugen voller Angst, wenn er im Garten Gethsemane betet: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen“ oder am Kreuz schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Aber Jesus sagt uns etwas darüber, wie wir mit der Angst umgehen können: „Seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Am Kreuz hat er die Macht des Bösen und in der Auferstehung die Macht des Todes besiegt.

Jesus hat mit uns unsere Angst ausgehalten, und er gibt uns Stärke und Halt, damit wir standhalten können. Unsere Bedrohung durch Krankheit und Tod kann zum schlimmsten Engpass unseres Lebens werden. Doch Jesus ist damit fertig geworden, und er will uns nach sich ziehen. Deshalb dürfen wir in aller Angst getröstet sein. Ich denke, Jesus macht uns gerade auch Mut, in unserer ach so coolen, aufgeklärten Welt offen Angst zu zeigen. Und wenn wir sie zeigen, wenn wir sie vor einen anderen – vielleicht vor Gott – bringen, dann schafft sie es nicht mehr, die Seele aufzuessen.

Pfarrerin Astrid Klumb ist Krankenhaus-Seelsorgerin in der St. Lukas Klinik in Ohligs.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort