Regierungsbildung SPD-Zoff um die Groko - ein alter Zopf

Rheinberg · Schon 1966, vor der Bildung der ersten großen Koalition, waren insbesondere die Jusos entschiedene Gegner dieser Lösung. Der Rheinberger Siegfried Zilske verweist auf ein Schreiben des damaligen Juso-Vorsitzenden Friedel Neuber.

 Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt und CDU-Kanzlerkandidat Kurt Georg Kiesinger beantworten am 24. November 1966 nach einem Gespräch der Verhandlungsdelegationen ihrer Parteien Fragen über die Möglichkeit einer großen Koalition.

Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt und CDU-Kanzlerkandidat Kurt Georg Kiesinger beantworten am 24. November 1966 nach einem Gespräch der Verhandlungsdelegationen ihrer Parteien Fragen über die Möglichkeit einer großen Koalition.

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Die SPD ist gespalten. Während Martin Schulz und weitere Spitzen-Genossen die Werbetrommel für eine große Koalition rühren, regt sich an anderen Fronten Widerstand. Allen voran bei den jungen Genossen. Die SPD steht also vor einer richtungsweisenden Entscheidung: Morgen geben 600 Delegierte beim Bundesparteitag in Bonn ihre Stimme für oder gegen Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU ab.

Vor 52 Jahren gab es schon mal eine ähnliche Situation. Damals stand die Gründung der ersten großen Koalition unmittelbar bevor. Auch damals gab's Widerstand insbesondere aus dem Juso-Lager.

 Jürgen Schmude hat 1966 auch an Fritz Büttner geschrieben.

Jürgen Schmude hat 1966 auch an Fritz Büttner geschrieben.

Foto: kdi

Siegfried Zilske, ehemaliger Vorsitzender der Rheinberger SPD-Ratsfraktion, hat alte Dokumente, die daran erinnern. "Ein Parteifreund hat mir Unterlagen aus seinem Privatarchiv überlassen", erzählt Zilske. "Er wusste, dass ich 2013 eine kleine Arbeit über die Geschichte der Rheinberger SPD geschrieben habe. Bei Durchsicht seiner Ordner bin ich auf zwei Schreiben aus dem November 1966 gestoßen. Bekanntlich war damals die Regierung Erhard gestürzt worden, und es stand die Bildung der allerersten Groko unter Kiesinger und Brandt an."

Im ersten Schreiben vom 28. November 1966 - fein säuberlich mit Schreibmaschine getippt - wandte sich der damalige Unterbezirksvorsitzende der Jusos, Friedel Neuber, an den Moerser Bundestagsabgeordneten Fritz Büttner. Zur Erinnerung: Der Rheinhauser Neuber, damals 31, war später langjähriger Vorstandsvorsitzender der West-LB und war 1966 schon vier Jahre Landtagsabgeordneter.

Als Vorsitzender der Jusos im alten Kreis Moers informierte Neuber Büttner damals darüber, dass der UB-Vorstand einstimmig beschlossen habe, "Dir für die morgen in Bonn fallende Entscheidung in der Bundestagsfraktion folgende Empfehlung mitzugeben: 1. Wir lehnen eine große Koalition aus sachlichen und personellen Gründen ab. 2. Wir sehen eine große Gefahr für unsere Partei und die demokratische Entwicklung unseres Staates. 3. Strauß in einer von unserer Partei mitverantworteten Bundesregierung ist für uns undenkbar." Weiter dann: "Wir fordern Dich als unseren Bundestagsabgeordneten auf, die Fraktion von der Empfehlung in Kenntnis zu setzen und unseren Standpunkt zu vertreten."

Tags darauf antwortete Fritz Büttner (1908-1983), dass er die Standpunkte 1 und 2 nicht vertreten könne, mit Punkt 3 erkläre er sich solidarisch. Der Moerser bemerkte: "Was mir leid tut, ist, daß Ihr so wenig Vertrauen zu mir habt. War es die Sache nicht wert, dass ich als Euer Vertreter im Bundestag in Eurer Unterbezirksvorstandssitzung gehört worden wäre?"

Siegfried Zilske sagt: "Natürlich ist die politische Situation im Herbst 1966 nicht heute zu vergleichen. Aber schmunzeln darf man schon über gleichartige Reflexe in unserer Partei und über die Unterschrift von Friedel Neuber. Und wer würde heute noch mit ,Freundschaft!' unterzeichnen. Denn mit "Freundschaft!" hatten sowohl Neuber als auch Büttner ihre Briefe unterschrieben.

Für den Moerser Dr. Jürgen Schmude, ab 1969 viele Jahre SPD-Bundestagsabgeordneter und Bundesminister im Kabinett Helmut Schmidt, sind die beiden Dokumente "eine hilfreiche Erinnerung", wie er gestern sagte. "Denn ich habe, ich glaube mit den Moerser Jusos, Fritz Büttner einen Brief mit gleicher Zielsetzung geschickt. Dass er solchen Aufforderungen nicht gefolgt ist, konnte ich 1969 dankbar begrüßen. Mit Willy Brandts Kanzlerschaft wäre es ohne die voraufgehende Koalition nichts geworden, meine Mitgliedschaft im Bundestag, wenn überhaupt, wäre nicht so erfreulich verlaufen."

(up)
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