Stadtgeschichte Was Kiew und Rheinberg verbindet

Rheinberg · Rheinberg erhielt sein Stadtrecht im Jahre 1233, gehörte einst mit Rees und Xanten zur Neusser Stadtrechtsfamilie. Das Magdeburger Stadtrecht verbreitete sich unter sogenannten ostelbischen Städten bis in den osteuropäischen Raum.

Drei Sehenswürdigkeiten in Kiew auf einen Blick: im Vordergrund das Denkmal für Wladimir den Heiligen (er hält ein Kreuz in der Hand), unten links die Parkovy-Brücke und dahinter der Fluss Dnepr. 
  Archivfoto: M. Korb

Drei Sehenswürdigkeiten in Kiew auf einen Blick: im Vordergrund das Denkmal für Wladimir den Heiligen (er hält ein Kreuz in der Hand), unten links die Parkovy-Brücke und dahinter der Fluss Dnepr. Archivfoto: M. Korb

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Selten lag die Ukraine mit ihrer Hauptstadt Kiew näher an Europa, an Deutschland, als seit Ausbruch des Krieges im Februar. Stimmt das wirklich? „Kiew war schon im Mittelalter ganz eng mit Deutschland und Europa verbunden“, sagt Rheinbergs Heimatkenner und -forscher Werner Kehrmann. Denn Kiew hatte das Magdeburger Stadtrecht. „Recht und Sicherheit für alle Bürger und Händler waren damals wie heute die zentralen Motive“, so Kehrmann, der dazu einen Beitrag verfasst hat:

Beim Wort Stadtrecht denkt jeder zunächst an seine Heimatstadt. Rheinberg erhielt sein Stadtrecht im Jahre 1233, verliehen durch den Kölner Kurfürsten, der dieses Recht als Landesherr ausübte. Doch was ist das eigentlich – das Stadtrecht? Damit verbunden waren im Grunde Privilegien wie etwa das Marktrecht, Handelsrecht, Befestigungsrecht oder das Zollrecht. In einer Stadt ohne Stadtrecht lief, salopp betrachtet, handelsmäßig nichts. In den Städten verlangten Bürger und Händler gleichermaßen Rechtssicherheit und die war mit der Verleihung des Stadtrechts gegeben. Das dazu gehörende Paragrafenwerk wurde je nach Territorium im jeweiligen Hauptort verfasst und vom Landesherrn an die nächste junge Stadt im Territorium vergeben. Viele Rechtsgebiete des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) haben ihren Ursprung im mittelalterlichen Stadtrecht.

 Werner Kehrmann kennt die Rheinberger Geschichte.

Werner Kehrmann kennt die Rheinberger Geschichte.

Foto: Armin Fischer ( arfi )

Im 19. Jahrhundert fanden die Historiker bei ihren Forschungen in vielen deutschen Städten gleiche Gesetze. Jetzt ging es nicht mehr nur um mittelalterliches Stadtrecht, es ging um neue „Stadtrechtsfamilien“. Rheinberg gehörte mit Rees und Xanten zur Neusser Stadtrechtsfamilie, wobei Rheinberg als einzige Stadt im ehemaligen Kurköln zudem Militärrechte besaß. Neuss war also die „Mutter“ und Rheinberg die „Tochter“. Und wie kam nun die osteuropäische Stadt Kiew zu deutschem Stadtrecht, zu einer der größten deutschen Stadtrechtsfamilien in Magdeburg?

Magdeburg hatte sich im Mittelalter zu einer wichtigen Handelsstadt gemausert. Ihr Stadtrecht verbreitete sich blitzschnell unter vielen sogenannten ostelbischen Städten bis in den osteuropäischen Raum. Im Mittelalter wollten die Bürger und Händler Rechtssicherheit. Das Magdeburger Recht bot genau diese Sicherheit, es gelangte über die Handelswege nach Kiew. So kam es, dass vor Abschluss eines Handelsvertrages Händler dort fragten, nach welchem Recht der Vertrag geschlossen werden sollte. Das Wort Magdeburg allein reichte aus. Dabei wussten die wenigsten Kiewer Bürger und Händler überhaupt, wo Magdeburg lag.

Hatte ein Mieter in Kiew Streit mit dem Hauseigentümer, sandte man die Akte zum Schöffengericht nach Magdeburg, wenn der Rechtsfall in Kiew nicht geregelt werden konnte. Denn die Stadtrechtsmutter war auch der Oberhof für die Rechtsstreitigkeiten seiner „Töchter“. Die Rheinberger klärten ihre Rechtsstreitigkeiten natürlich bei ihrer „Mutter“, der Stadt Neuss.

„Das Schlüsselwort ist also Rechtssicherheit“, betont Kehrmann. Der Eindruck, der in den osteuropäischen Städten entstanden sei, sage klar: Wir gehören zum rechtssicheren Raum der Europäischen Region. „Die Hauptstadt der Ukraine arbeitete bis 1857 nach und mit dem Magdeburger Stadtrecht. Eine andere ukrainische Stadt, Poltawa, bekam Ende des 19. Jahrhunderts als letzte Stadt das Magdeburger Stadtrecht verliehen“, weiß Kehrmann.

(nmb)
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