Rheinberg Unterricht im Wald und auf der Wiese

Rheinberg · Maria Gerlach ist Grundschullehrerin mit einer Zusatzausbildung als Naturerlebnispädagogin. Seit drei Jahren leitet sie die Naturtage für Erstklässler an der Grundschule am Rheinbogen in Orsoy und Budberg.

 Maria Gerlach erklärt den Kindern, welche Blätter sie vor sich haben.

Maria Gerlach erklärt den Kindern, welche Blätter sie vor sich haben.

Foto: Armin Fischer (arfi)

Das Wort ist fürchterlich: Naturdefizit-Syndrom. Was es meint, ist fast noch schlimmer. Kinder lernen nicht mehr, sich in der Natur zu bewegen, Wind und Wetter zu akzeptieren, den Regen so zu lieben wie die Sonne, auf Bäume zu klettern, feuchten Waldboden in die Hände zu nehmen und Eichen- von Buchenblättern zu unterscheiden. Das kann und will Maria Gerlach nicht hinnehmen. Sie ist Grundschullehrerin, hat sich über mehrere Jahre zur Naturerlebnispädagogin fortgebildet und ist die einzige Pädagogin an einer Grundschule im Kreis Wesel, die den Jungen und Mädchen regelmäßig Natur beibringt. In der Natur. Maria Gerlach unterrichtet Wald- und Wiesenkunde an der frischen Luft und nicht im Klassenraum. Drei Stunden pro Woche kommen die Klassen in den Genuss dieses Fachs, das schlicht und einfach „Naturtage“ genannt wird. Seit drei Jahren gehört die zweifache Mutter zum Kollegium der Grundschule am Rheinbogen in Budberg und Orsoy.

„Ich möchte, dass Kinder Naturerlebnisse haben, dass sie eine emotionale Bindung zur Natur aufbauen“, erzählt Gerlach. „Wenn wir in Drießen bei Orsoy mit den Kindern in den Wiesen oder in Budberg im Wäldchen unterwegs sind, kann man zuschauen, wie sich ihre Wahrnehmung verändert. Und es ist jedes Mal faszinierend für mich zu sehen, dass sich plötzlich auch die wildesten Kerle ganz vorsichtig eine Kellerassel anschauen und sie nicht mutwillig zertreten.“ Auch von Kolleginnen bekommt sie die Rückmeldung: Die Naturtage verändern die Kinder. Dass sie mal am Niederrhein als Naturerlebnispädagogin unterrichten würde, war lange Zeit nicht klar.

„Ich habe nach dem Abitur zunächst eine Erzieherinnenausbildung begonnen, habe später Lehramt studiert und dann in Mathe promoviert“, so Maria Gerlach. „Elf Jahre lang habe ich an der Uni gearbeitet, habe neue Formen des Mathematik-Unterrichts und Fördermöglichkeiten entwickelt. Aber ich habe irgendwann gemerkt: Das ist nichts für mich.“ Gerlach wollte zurück an die Basis, wollte den direkten Kontakt zu Kindern haben. Nach Stationen an mehreren Schulen, zuletzt im Kreis Viersen, ist sie nun an der Grundschule am Rheinbogen und möchte dort auch bleiben. Maria Gerlach dokumentiert ihre Arbeit. Sie hofft, dass das ursprüngliche Ziel ihrer Mission irgendwann in die Tat umgesetzt wird – dass ihre naturpädagogische Konzeption auch von anderen Kollegen an anderen Schulen umgesetzt wird.

 Blätter werden auf Baumwolle gehämmert.

Blätter werden auf Baumwolle gehämmert.

Foto: Armin Fischer (arfi)

Wichtig ist ihr dabei das freie, unstrukturierte Spielen und Lernen in der Natur. Gerade für Erstklässler sei das wichtig. Maria Gerlach: „Sie sind gerade erst in der Schule angekommen und sollen nicht gleich überrannt werden.“ Die Lehrerin ritualisiert ihren Unterricht stark. Die Kinder gewöhnen sich an die Freiluft-Klassenzimmer, es gibt feste Wege und Stationen dorthin.

Es gibt den Räuberwald und den Papa-Baumwald, es wird die Beschaffenheit der Baumrinde untersucht, die Schüler lernen die Blätter zuzuordnen und kennen mit der Zeit die verschiedensten Bäume, Pflanzen und Tiere aus eigener Anschauung.

„Beiläufiges Lernen ist mir sehr wichtig“, so die Naturerlebnispädagogin, die ihren Schülern manchmal auch Spiegel gibt, damit sie in die Baumwipfel blicken können wie die Vögel. „Wenn wir unterwegs sind, schauen wir uns nicht nur einfach eine Eiche an, sondern ich erzähle dann auch Geschichten dazu, etwa die Geschichte vom Teufel und der Eiche, in der die Eiche dem Teufel ein Schnippchen schlägt.“

Wir haben uns einen Naturtag an der Budberger Grundschule angeschaut. Die drei Schulstunden mussten ausnahmsweise auf dem weitläufigen Schulgelände stattfinden, weil die Wälder ringsum vorübergehend gesperrt waren. Der Grund: Der Eichenprozessionsspinner hat sich dort ausgebreitet. 22 Jungen und Mädchen der Klasse 1a bilden zunächst einen Begrüßungskreis und singen gemeinsam mit ihren Lehrerinnen – Klassenlehrerin Susanne Willeke ist mit dabei – ein Sommerlied. Dann werden Blätter, Blüten und kleine Äste gesammelt. „Heute machen wir Sommerbilder“, verkündet Maria Gerlach.

„Dazu brauchen wir kein Papier, wir nehmen Stoff.“ Der wird später auf Frühstücksbrettchen gelegt, mit Hämmern werden die gesammelten Stücke aus der Natur mit Transparentpapier als Zwischenlage bearbeitet, bis sie sich auf dem Stoff abgedrückt haben.

Erstaunlich, mit welcher Begeisterung und wie konzentriert die Kinder zu Werke gehen. Zum Abschluss werden kleine Johannisfeuer entzündet. Die Jungen und Mädchen sind begeistert.

Das Lernen im grünen Klassenzimmer findet übrigens bei fast jedem Wetter statt. „Wenn es nicht gerade stürmt oder Starkregen fällt, sind wir draußen“, unterstreicht die Klassenlehrerin der 1a, Susanne Willeke. Auch die erfahrene Pädagogin stellt fest: „Der Unterricht im Freien, der Umgang mit der Natur, verändert die Kinder. Er tut ihnen gut.“

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