Solokonzert Nur Kirchenglocken störten das sprechende Cello

Orsoy · Wenn Musik in einer Kirche erklingt und man eine Stecknadel fallen hören könnte, dann spricht das dafür, dass der Künstler das Publikum mit seinem Beitrag vollkommen in seinen Bann gezogen hat.

 Christina Meißner spielte eigenwillige, aber das Publikum fesselnde Musik auf dem Cello.

Christina Meißner spielte eigenwillige, aber das Publikum fesselnde Musik auf dem Cello.

Foto: Alfons Winterseel

So erging es auch den Zuhörern, die das Solo-Konzert der Violincellinstin Christina Meißner in der evangelischen Kirche Orsoy verfolgten – das erste Cello-Konzert überhaupt dort. Meißner ist eine besondere Musikerin, die als ehemalige Schülerin der Weimarer Hochschule für Musik heute dort lehrt, das bekannte Ensemble „klangwerkstatt“ mitbegründete und mit vielen zeitgenössische Komponisten zusammen gearbeitet hat. Als Oberthema hatte sie „Hildegards Gesänge im Spiegel der Zeiten“ gewählt. „Ich konzipiere die Programme so, dass sie als ein Stück gemeint sind“, erklärte die Künstlerin.

Mit der Cellobearbeitung des einstimmigen Gesangs der Hildegard von Bingen „O frondens virga“ (O grüner Zweig) unterstrich Meißner, wie sehr das Cello „singend“, atmosphärisch und fast meditativ-schwebend der menschlichen Stimme nahe kommen kann.

Danach spielte sie eine fibrige, von Bingens Visionen inspirierende modernere Komposition von Sofia Gubaidulina mit spannenden Halbtonschritten, zwei „sprechenden“ Klangstimmen und summenden Bogenklängen. Im direkten Anschluss daran bot sie eine klassische, venezianisch geprägte „Capriccio Nr.4“ aus dem 18. Jahrhundert von Joseph Marie Clément Freidnand Dall´Abaco.

Danach erfolgte wieder der Ausflug in die Moderne - aus dem gemeinsamen Projekt mit Kompositionen, die von Bingens Gesänge in ein neues Bett kleideten, hatte sie „I am a clock“ von Joseph Andrew Lake ausgesucht. „Es ist lang, leise und langsam. Man kann die Uhr vergessen hören, zu ticken“, beschrieb sie selbst treffend die elegischen Klangräume, den sie mit den gedehnten, kaum vernehmbaren Einzeltönen Raum und Atem gab. Das Stück geriet zur Konzentrationsübung für die Musikerin und ihr Publikum, dass sich auf diese virtuos dargebotene, intensive und besondere Klangwelt erstmal einlassen musste.

Johann Sebastian Bachs „Suite Nr.3 in C-Dur“ brach diese innere, stille Musik auf - virtuos, technisch hochanspruchsvoll, temporeich und dabei genauso intensiv im Spiel wie ein paar Minuten zuvor. Die „Bewegung der Luft im Raum“ machte sie in dem sehr atmosphärischen, hochminimalistischen „The air from afar“ des Norwegers Martin Rane Bauck hörbar. Lisa Streichs „Fleisch“ über die Kreuzigung Jesu wirkte in den ersten Sekunden verschreckend, zum Ende fast ver-söhnlich. Und „De Sacta Maria“ - korrespondierend mit Stimme – unterstrich die ganz eigene Klang-Sprache dieses Konzerts. Richtiggehend „klangstörend“ waren leider nur die Kirchenglocken beider Kirchen zur vollen Stunde.

Die Besucher schwankten nachher bei ihrer Beurteilung des Konzerts zwischen „Quatsch“ und „hochanspruchsvoller Musik.“ Pfarrer Uwe Klein konstatierte bei der Verabschiedung der Gäste am Kirchenausgang: „Kunst ist nicht nur Main-stream und sie soll unterschiedliche Reaktionen hervorrufen.“

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