Wirtschaftsgeschichte in Menzelen Das einstige Mekka für Käse Holländer Art

Menzelen · Heft 11 der Schriften zur Dorfchronik widmet sich der „Milchwirtschaft im alten Menzeln“. Es geht um die Geschichte der Molkerei.

Die Geschichte der Molkerei in Menzelen
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Die Geschichte der Molkerei in Menzelen

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Foto: NN

Als vor 40 Jahren der Sprengmeister den Schornstein der Molkerei in Menzelen-Ost in sich zusammen fallen ließ, ging ein stolzes Kapitel im bäuerlich geprägten Dorf sichtbar zu Ende. Dass die Erinnerung an die Zeit, in der fast jede Familie irgendwie mit der Molkerei verbunden war, nicht auf dem Schutthaufen der Geschichte landet, dafür haben Robert Moog und Fritz Nühlen gesorgt. Die Männer vom gerade mit dem Alpener Heimatpreis ausgezeichneten Verein für Geschichte und Brauchtum haben Heft Nr. 11 in der Schriftenreihe zur Dorfchronik der „Milchwirtschaft im alten Menzelen“ gewidmet. Entstanden sind 50 lesenswerte Seiten niederrheinisch-ländlicher Wirtschaftsgeschichte.

Robert Moog hat diese hautnah erlebt. „Ich bin die ersten zehn Jahre in unmittelbarer Nachbarschaft zur Molkerei aufgewachsen“, sagt der 62-jährige Mediziner. Und als Junge habe er später seinen Vater, der Tierarzt war, häufig bei Visiten auf die Höfe begleitet und so früh die Milchviehhaltung kennen gelernt.

Die ist mit heutigen Verhältnissen, bei denen Kuhställe mit weit über 100 Tieren üblich sind, kaum vergleichbar. Bis Ende des 18. Jahrhunderts deckte die Milch, die die drei bis vier Kühe im Stall täglich gaben, in der Regel den Eigenbedarf der Familien. Die Bäuerin machte Butter und Käse, manche Bauern verkauften überschüssige Milch und Molkereiprodukte für kleines Geld auf Märkten der Umgebung. Der Rest wurde ans Vieh verfüttert.

Um die Jahrtausendwende schlossen sich Bauern zu ersten Genossenschaften zusammen, um in professionellen Vermarktungsstrukturen höhere Erlöse zu erzielen. Auch in Menzelen. 1898 fand sich in „Menzelen, Haus Nr. 19“ (heute Ringstraße) ein Grundstück, so dass die Genossen mit dem Bau der Molkerei beginnen konnten. Das Backsteingebäude hatte auch zwei Wohnungen im Obergeschoss für Buchhalter Theo Nakath und Käsemeister Wilhelm Hussmann.

Zehn Jahre später kauften die Gebrüder Alfons und Theo Maas das Haus samt Molkereirechte. Vorausgegangen waren Meinungsverschiedenheiten unter Genossen. Die Maas-Brüder betrieben in den Niederlanden bereits einen florierenden Käse-Großhandel und ein großes Lager in der Kaas-Metropole Alkmaar. Mit rund 140 Außendienstmitarbeitern waren die beiden weit vor der freundlichen „Frau Antje“ Deutschlands bedeutendste Importeure für Käse aus Holland.

Sie entwickelten fortan Menzelen zu einer wichtigen Produktionsstätte für „Käse nach Holländer Art“. Die Rezeptur hatte Maria Reymer in den Kreis Kleve geholt. Ihre Tochter Mechthild Awater brachte sie mit in die Ehe mit Friedrich Wilhelm Remy auf den Weyershof nach Menzelen.

Das Geschäft florierte. Anfangs brachten Bauern die Milchkannen auf der Pferdekarre zur Molkerei, später mit dem Traktor. Zu besten Zeiten verarbeiteten rund 40 Beschäftigte, meist Frauen, täglich bis zu 60.000 Liter Milch. Für ein Kilogramm Käse brauchte es 15 Liter Milch. Für den Vertrieb des Käses – zudem gab’s die Lizenz für „Deutsche Markenbutter“ – war der Gleisanschluss an die Boxteler Bahn ein Segen. Der weiße Rohstoff wurde in drei große Käsewannen gepumpt, keimfrei erhitzt und „eingelabt“, so dass er fest wurde. Der Käser brauchte „Fingerspitzengefühl“, um nach rund drei Stunden mit der Hand die Bruchfestigkeit des Käses zu prüfen. Anschließend füllten Frauen die Rohmasse in unterschiedliche Formen: ein Rad für Gouda, ein Brotkasten – die Schnittgröße entsprach einer Stulle – und ein „Pondje“. Fünf Tage wurden die in ein Leinentuch eingewickelten und mit einem Deckel verschlossenen Holzformen ins Salzlake-Bad gelegt.

Anschließend kam der Käse zum Reifen in den Keller. Die rund zehn Kilo schweren Laibe mussten täglich gewendet werden. „Ein hartes Brot für die Frauen“, schreibt Moog. Bis 1955 lag der monatliche Lohn für die 48-Stunden-Woche – nur sonntags war frei – bei 140 DM. Der Beitrag für die Krankenkasse (13,43 DM) sowie für Käse und Butter zum Eigenbedarf wurden abgezogen.

Für die Produktion des Käses brauchte es nicht nur Milch, sondern auch die vierfache Menge an Wasser. So gehörte zur Molkerei auch ein zwölf Meter tiefer Kesselbrunnen mit einem Durchmesser von sechs Metern, um die Wasserversorgung sicherzustellen. Der Betondeckel unter den fünf Rosskastanien war übrigens über viele Jahre der Platz für die Musiker beim Vogelschießen der Schützen.

Es existierten unterschiedliche Entsorgungswege. Die Molke, ein Abfallprodukt bei der Käseherstellung, wurde an Bauern verkauft, die damit die Schweine fütterten. Für den unverkäuflichen Rest wurden in der Molkerei eigene Schweine gehalten. Die Tröge gab’s noch bis zum Abbruch der Gebäude 1979.

Das meiste Abwasser wurde über ein Grabensystem versickert. Die von Bäumen und Sträuchern bewachsenen Gräben zogen sich durchs ganze Dorf. „Die Watt“ war für Kinder ein natürliches Spielgelände mit stetig wechselnden Wasserständen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie trocken gelegt, das Wasser auf dem Molkereigelände geklärt, ehe es in die Flöth geleitet wurde. Auch die trockenen Gräben, so erinnert sich Autor Moog, blieben für die Dorfjugend „ein herrlicher Abenteuerspielplatz“.

Bis dahin hatte die Molkerei diverse Irrungen und Wirrungen mehr oder weniger gut überstanden. Während der Inflation in den 1920er Jahren verkauften die Maas-Brüder die Molkerei an die namhafte französische Gervais AG. Alfons Maas blieb Verwalter in Menzelen. Am 1. Januar 1930 übernahm die Niederrheinische Molkerei Wöhrmann mit Sitz in Wesel den Betrieb. Betriebsleiter blieb Alfons Maas, der die Stelle seinem Sohn Alfons Junior vererbte.

Ende des Zweiten Weltkrieges brannte die Molkerei ab. Die näheren Umstände sind nicht bekannt. Käsereserven in den Familien reichten aber, um in kargen Kriegstagen die Bevölkerung zu ernähren. „Auch wenn’s sonst kaum was gab, kam einem irgendwann der Käse aus den Ohren“, erinnert sich Fritz Nühlen (85) an diese Zeit. Die Molkerei wurde eingeschossig wieder aufgebaut, verputzt und leuchtend weiß angestrichen. 1947 ging’s mit der Produktion weiter. Das Zimmer im Obergeschoss bewohnte Maas’ Schwager Karl Otten, zuständig für die Butter. Käser war bis Mitte der 1950er Jahre Wilhelm Hussmann.

Letzter Leiter der Molkerei in Menzelen war bis zur Einstellung des Betriebes Paul Heek, der später bei der Margarine Union in Kleve in Rente ging und vor drei Jahren verstorben ist. Bis zur Schließung wurden immerhin noch bis zu 30.000 Liter Milch verarbeitet. Für einen Liter (3,5 Prozent Fett) bekamen Bauern um 1960 im Schnitt 31,5 Pfennige. Im September 2019 lag der Preis für den Liter Milch (4,2 Prozent Fett und heute wichtigeren 3,4 Prozent Eiweiß) bei 31 Cent.

Auch als der Betrieb in Menzelen schon stand, wurde weiter Milch angeliefert, in Tanks abgefüllt und von Fuhrunternehmer Theo Mosters zu den Milchwerken Wöhrmann nach Appeldorn gefahren, dort zu Pulver und Kondensmilch verarbeitet. Das Inventar der Molkerei wurde Stück für Stück ausgebaut, zum großen Teil verschrottet. Die 5000 Liter fassende Käsewanne stand noch eine Zeitlang neben dem Schornstein an der Schützenwiese und wurde als Swimming-Pool geschätzt. Am 30. September 1968 wurde nach knapp 70 Jahren in „Menzelen, Haus Nr. 19“ die letzte Milchkanne geleert. Die Molkerei wurde fortan allenfalls noch als Lager für Milchpulver benötigt. Später wurden hier säurebeständige Gerätschaften für die chemische Industrie gebaut. 1979 war endgültig Schluss. Der Kamin fiel am 10. März, das Molkereigebäude wurde abgerissen und machte Platz für Doppel- und Reihenhäuser. Geblieben ist die „Molkereistraße“, vier Rosskastanien und das Heft 11 der Schriften zur Dorfchronik.

Das Heft kostet neun Euro und kann telefonisch bestellt werden bei Robert Moog (Tel. 02802 6635), Leo Raskopp (Tel. 02802 2481 und Fritz Nühlen (Tel. 02802 2499).