Serie Politiker berichten Ein Tag, der so ganz anders war

Kreis Wesel · Wie sieht der Alltag der Parlamentarier im Bundestag und im Landtag aus? Wir haben Politiker aus dem Kreis Wesel um Protokolle gebeten. In der dritten Folge berichtet René Schneider (SPD) von einem besonderen Tag.

 René Schneider spricht auf einer Demonstration gegen Rechts in Kamp-Lintfort.

René Schneider spricht auf einer Demonstration gegen Rechts in Kamp-Lintfort.

Foto: NN

Wir wollten von den örtlichen Abgeordneten im Kreis Wesel wissen, wie sich ihr Alltag gestaltet, wie sie arbeiten, was sie umtreibt. Natürlich haben auch Abgeordnete einmal ruhigere Tage – insofern muss der gewählte Tag nicht zwingend repräsentativ sein. In dieser Folge erzählt René Schneider von einem bewegten Arbeitstag, der noch nicht so lange zurückliegt.

Der Wecker klingelt um halb sechs. Noch im Bett liegend, blättere ich durch die digitalen Ausgaben der Lokalzeitungen, um zu sehen, was aktuell anliegt. In den vergangenen Tagen war bekannt geworden, dass ein Bürgermeister aus dem Rheinland zum Selbstschutz einen Waffenschein beantragt hatte. Heute Morgen macht die RP damit auf, dass es sich bei dem Bürgermeister nicht um irgendeinen handelt, sondern um den Bürgermeister meiner Heimatstadt Kamp-Lintfort. Das Thema, die Bedrohung von engagierten Menschen nicht nur in der Politik, ist ernst.

Mit einem flauen Gefühl im Magen stehe ich auf, um Frühstück zu machen. Das ist der einzige Moment des Tages, an dem ich verlässlich eine Viertelstunde zusammen mit meiner Familie verbringe: am Frühstückstisch. Danach beginnen hier zu Hause alle ihren Tag – für mich stehen heute Gespräche mit einer Bürgerinitiative, die Beerdigung eines lieben Genossen und schließlich das Grünkohlessen der SPD in Neukirchen-Vluyn an. Denke ich zumindest noch, als ich um Viertel vor acht in Laufklamotten auf die Straße trete. Sieben Kilometer Joggen helfen mir dabei, den Kopf frei zu kriegen für den Tag.

Doch dieser Tag ist anders: Nach zwei Kilometern schellt zum ersten Mal das Handy – danach noch weitere drei Mal. Immer sind es Menschen, die mir mitteilen wollen, dass man jetzt ganz dringend für den Bürgermeister demonstrieren müsse. Gerade weil eine Gruppe rechter Spinner für tags drauf eine Demo in Kamp-Lintfort angemeldet hat. Genau die Gruppe, wegen derer sich Mandatsträger bedroht fühlen, gibt nun vor, Angst vor einem vermeintlich bewaffneten Bürgermeister zu haben. „Völlig absurd“, denke ich und biege auf die Schlussgerade ein. Mittlerweile bin ich überzeugt: Wir müssen was tun!

Noch in verschwitzten Sportklamotten fange ich an zu telefonieren. Erst mal den Kalender freiräumen, um Zeit zu gewinnen. Darum kümmert sich mein Team – genauso wie um alle anderen Aufgaben, die heute eigentlich angelegen hätten. Dann die Kreispolizei, bei der ich die erste Demo meines Lebens anmelde. Wie viele Leute wohl kommen? Ich schätze mal 300 und fühle einen Knoten im Magen. Nicht, dass wir nur eine Handvoll Menschen gegen diesen rechten Mob mobilisieren.

Um das zu verhindern, telefoniere ich mir in den kommenden Stunden die Finger wund: Parteien, Kirchen, Gewerkschaften – alle sollen sie dabei sein. Die Zustimmung, die mir in den Gesprächen entgegenschlägt, lässt mich auf rege Beteiligung hoffen. Die zahllosen Nachfragen der Medien tun ihr Übriges. Ich fühle mich wie in einem Schnellzug, der langsam Fahrt aufgenommen hat und nun nicht mehr zu stoppen ist.

14 Uhr: Im Rathaus der Stadt Kamp-Lintfort kommen Vertreter aller demokratischen Parteien zusammen, der Kirchen und vieler weiterer Organisationen. Wir sprechen ab, was noch organisiert werden muss. Ordner und Ansprechpartner, Redner und Pressegespräche – wir brauchen auf jeden Fall noch Musik. Mit einem Sack voller Aufgaben kehre ich ins Wahlkreisbüro zurück.

Die Räumlichkeiten befinden sich während der geplanten Demo genau zwischen den beiden Lagern. Wir besprechen kurz, ob wir Sicherheitsvorkehrungen treffen sollten, entscheiden uns aber dagegen. Meine Büroleiterin hat dann noch etwas Zeit, mich auf den neuesten Stand zu bringen, was sich heute sonst noch ereignet hat.

Dann muss ich schon wieder los und mich in Schale werfen: Am Abend hat die SPD Neukirchen-Vluyn zum Grünkohlessen eingeladen. Erstmals wird Bürgermeisterkandidat Ralf Köpke vorgestellt – ein Überraschungscoup. Der parteilose Gewerkschafter hat Charisma und dazu noch klare Vorstellungen davon, wie sich die Stadt entwickeln sollte. Davon erzählt er vor großer Runde und unter kräftigem Applaus.

Danach habe ich noch Zeit, für die Solidaritätskundgebung am nächsten Tag zu werben. Hier haben schon alle mitbekommen, was los ist. Wieder zeigt sich, wie sehr das Thema bewegt. Gegen 22 Uhr fahre ich nach Hause. Möchte vor dem Schlafengehen noch darüber nachdenken, was ich morgen sage. Gegen Mitternacht sinke ich müde in die Kissen. Zwecklos, jetzt noch zum Krimi zu greifen, der auf meinem Nachttisch liegt.

Heute war wieder mal so ein Tag, der ganz anders lief als ursprünglich geplant. Die Aufgabe als Landtagsabgeordneter ist kein Nine-to-five-Job. Man steht permanent in der Öffentlichkeit und kann nicht einfach den Schalter schließen. Das muss man wollen. Ich will das, und schlafe über diesem Gedanken ein.

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