Rheinberg "Kinder leiden, wenn die Eltern streiten"

Rheinberg · Die Awo-Beratungsstelle für Paare und Familien in der Begegnungsstätte Reichelsiedlung besteht seit 20 Jahren.

 Gisela Török (links) und Cornelie Groß-Thomas protokollieren die in den Mediationen getroffenen Vereinbarungen auf Flip-Charts. Entscheidend sei, dass diese Vereinbarungen auch eingehalten werden, sagen sie.

Gisela Török (links) und Cornelie Groß-Thomas protokollieren die in den Mediationen getroffenen Vereinbarungen auf Flip-Charts. Entscheidend sei, dass diese Vereinbarungen auch eingehalten werden, sagen sie.

Foto: Armin Fischer

Die Geschichte der Beratungsstelle für Paare und Familien des Awo-Kreisverbandes ist eine Geschichte der Überzeugung. Dass es sie überhaupt gibt, ist Cornelie Groß-Thomas zu verdanken. "Ich habe damals in einer Erziehungsberatungsstelle gearbeitet. Weil ich davon überzeugt war, dass der Bedarf Paare und Familien zu beraten, da ist, habe ich die Einrichtung aufgebaut und in den ersten beiden Jahren ehrenamtlich geleitet", erzählt die Pädagogin, die systemische Familientherapeutin, Mediatorin und Supervisorin für Mediationen ist.

Sie sollte recht behalten. Das Büro in der Begegnungsstätte Reichelsiedlung wurde angenommen. So entschloss sich der Kreisverband Wesel der Arbeiterwohlfahrt (Awo), die Beratungsstelle auf professioneller Basis laufenzulassen. Nun gibt es die für den gesamten Kreis Wesel zuständige Stelle seit 20 Jahren. Ein Geburtstag, der am Montag im internen Kreis gefeiert wird.

Weil schon bald klar war, dass eine Frau allein die Arbeit nicht mehr bewältigen kann, stellte die Awo vor 16 Jahren mit Gisela Török eine zweite Fachkraft ein. Die Diplom-Sozialwissenschaftlerin hat eine Ausbildung zur Sozialtherapeutin absolviert, ist systemische Familien-, Kinder- und Jugend- sowie Paartherapeutin.

Im Schnitt bearbeiten die beiden Frauen 100 bis 120 Fälle pro Jahr. Zwei Drittel davon kommen aus Rheinberg. Die Stadt trägt auch die meisten Kosten der Einrichtung: fünf Sechstel, ein Sechstel zahlt der Kreis Wesel. Von der Awo kommt ein Eigenanteil für Sachkosten.

In der Beratungsstelle spielen Alter oder Herkunft keine Rolle. "Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Eltern, Arbeiter und Handwerker ebenso wie Professoren oder Ärzte - zu uns kommen alle", sagt Gisela Török. Sie ist für Familien und die Kindergruppen zuständig, Cornelie Groß-Thomas für die Trennungs- und Scheidungsberatung.

Ein vielseitiges Beschäftigungsfeld: Manche Paare - durchaus auch jüngere - suchen nach neuen Perspektiven für ihr Zusammenleben, andere wollen Konflikte bewusst unter professioneller "Aufsicht" klären, wieder andere haben eine Trennung bereits hinter sich und fragen sich, wie ihre Kinder damit klarkommen. Dass Gisela Török und Cornelie Groß-Thomas in allem, was sie tun, der Schweigepflicht unterliegen, versteht sich von selbst. "Trennung und Scheidung sind immer noch tabuisiert", weiß Groß-Thomas. "Aber", so Török. "in den vergangenen Jahren kommen immer mehr Familien, die lernen wollen, mit dieser Situation umzugehen."

Die Beraterinnen müssen in den Gesprächen gut zuhören und die richtigen Fragen stellen. Sie brauchen Fingerspitzengefühl, weil sie es nicht selten mit Menschen in emotionalen Extremsituationen zu tun haben. "Wir sind nicht neutral in unserer Arbeit", sagt Cornelie Groß-Thomas und weiß, dass dieser Satz beim Gegenüber ein Stirnrunzeln hervorruft. "Wir sind allparteilich, das ist etwas anderes. Man ist natürlich emotional beteiligt."

Wichtig sei es, eine professionelle Distanz zu wahren und nicht zu bewerten, was bei den Treffen und Gesprächen vereinbart wird. Der Erfolg ihrer Arbeit lasse sich im Wesentlichen daran messen, ob diese in den Mediationen getroffenen Vereinbarungen halten.

Gisela Török erlebt jeden Tag, dass Kinder die wirklich Leidtragenden einer Trennung sind. "Kinder leiden, wenn die Eltern streiten. Für sie ist es wichtig, dass sie in eine neue Perspektive schauen, dass durch die Situation etwas Neues entsteht." Zum Beispiel, dass sie den Vater plötzlich ganz anders und intensiver erleben, wenn sie an jedem zweiten Wochenende bei ihm sind. Die Sozialwissenschaftlerin leitet seit 2005 zusammen mit einem männlichen Betreuer Gruppen für Kinder und Jugendliche, die lernen müssen oder wollen, mit der Trennung der Eltern klarzukommen. Eine neue Gruppe für Elf- bis 13-Jährige beginnt im Januar.

Seit 20 Jahren gibt es nun die Awo-Beratungsstelle für Paare und Familien. Cornelie Groß-Thomas, die in einem Jahr in den Ruhestand gehen wird, und Gisela Török, stellen immer wieder fest: Familienstrukturen verändern sich. Die Wertschätzung der Beraterinnen für Familien, die sich Hilfe suchen, ist groß. Wenn sie einen Beitrag dazu leisten können, dass Konflikte gelöst werden, sei das erfüllend, sagen sie.

(up)
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