Alpen Gold für Torwart-Legende aus Bönninghardt

Alpen · Historiker Thomas Ohl erinnert in einem VHS-Vortrag im Alpener Rathaus an den Handball-Nationalspieler Heinz Körvers.

 Geschichtsklitterung hinterlässt Spuren: Der Strich vorm Torwart des Lintforter SV zeigt einen NSDAP-Funktionär, der später bei Verwendung des Bildes für die Vereinschronik weggeknickt worden ist.

Geschichtsklitterung hinterlässt Spuren: Der Strich vorm Torwart des Lintforter SV zeigt einen NSDAP-Funktionär, der später bei Verwendung des Bildes für die Vereinschronik weggeknickt worden ist.

Foto: bp

14. August 1936. Olympia-Stadion, Berlin. Fritz-Walter-Wetter. 14 Grad. Es gießt wie aus Kübeln. Im Tor steht Körvers. Körvers müsste halten. Körvers hält. Das Spiel ist aus. Deutschland hat Gold. 100.000 Zuschauer, so viele wie nie mehr wieder bei einem Handballspiel, jubeln. Mit 10:6 (5:3) hat die deutsche Elf, deren Trikots am Ende auf tiefem Rasen längst nicht mehr blütenweiß sind, die Österreicher bezwungen. Die "Ösis" hatten lange deutlich zurückgelegen, waren dann aber durch drei Treffer in Folge auf einen Zähler rangerückt, mussten dem Kraftakt aber Tribut zollen und sich in die Niederlage fügen. Körvers, der Mann in Schwarz zwischen den Pfosten der Weißen, hatte eine klasse Partie abgeliefert. Über das erste und einzige Gold einer gesamtdeutschen Handball-Mannschaft darf man sich - ein ganz klein wenig - auch auf der Bönninghardt freuen. Hier hat Heinz Körvers, der Held von Berlin, am 3. Juli 1915 das Licht der Welt erblickt, als Sohn der Eheleute Albert und Johanna Körvers.

Dass die Handball-Legende nicht in Vergessenheit geraten ist, ist das Verdienst eines Historikers, den neben seiner wissenschaftlichen Neugierde die Liebe zum Handballsport auszeichnet. Thomas Ohl, Referent im Weseler Preußen-Museum, hat lange selbst Handball gespielt, wenn auch hauptsächlich in der Halle. Und er hat sich intensiv mit dem Leben des Handball-Torwächters beschäftigt. Bereits 2010 hat Ohl im Jahrbuch des Kreises Wesel einen Aufsatz veröffentlicht unter der Überschrift "Heinz Körvers - ein Olympia-Sieger aus Lintfort".

 Vorbereitung (v.l.): Historiker Thomas Ohl, Uschi Hüsch vom Gemeindearchivs und Werber Grosch (74), Sohn des Deutschen Meisters Franz Grosch.

Vorbereitung (v.l.): Historiker Thomas Ohl, Uschi Hüsch vom Gemeindearchivs und Werber Grosch (74), Sohn des Deutschen Meisters Franz Grosch.

Foto: BP

Am Mittwoch, 17. Januar, hält der Historiker aus Moers um 19.30 Uhr im Alpener Rathaus für die VHS einen Vortrag über den Goldmedaillen-Gewinner, dessen Wiege eben auf der Bönninghardt stand und der erst später mit seiner Familie nach Kamp-Lintfort umgezogen ist, wo sein Vater als Maschinenmeister, vermutlich auf der Zeche Friedrich Heinrich, gearbeitet hat.

Ohls Aufsatz endete seinerzeit mit der lapidaren Feststellung, dass Körvers sportliche Laufbahn zwar nahezu lückenlos nachzuzeichnen sei, aber die Quellen nur wenig über den Menschen Körvers hergeben würden und so auch künftig "nur wenig Neues" über ihn in Erfahrung gebracht werden könne.

Das wiederum war Ansporn für Uschi Hüsch, die im Rathaus Alpen das Gemeindearchiv betreut, ihrerseits Nachforschungen anzustellen. Da Geburtsurkunden ewig lange lange geschützt sind, hat sie es über Bauakten im Rathaus geschafft, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, wo der Handballer, der als Junge im Fußball-Tor gestartet war, laufen gelernt hat. In der Mühle, Bönninghardt 165, in der Opa Körvers Korn gemahlen hatte und die später als Jugendherberge genutzt wurde. Dokumente, Bilder, ihr Olympiabuch von 1936 mit Sammelbildern zum Einkleben, das sie in einem Antiquariat erworben hat, und originale Zeitungsausschnitte will sie im Rathaus in einer kleinen Ausstellung präsentieren.

In der Wirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre wurde auf der Zeche in Lintfort gut ein Drittel der Belegschaft entlassen. Auch der 19-jährige Körvers verlor dabei vermutlich seinen Job. Ihm bot sich aber eine Chance: Der hochtalentierte Handballer wechselte zum Militärsportverein nach Minden, wo sich damals die Besten der Handball-Nation sammelten. Körvers wurde mit den Ostwestfalen 1935 zunächst Deutscher Vizemeister, eine Empfehlung für höhere Aufgaben. Er feierte noch im Herbst des Jahres als 20-Jähriger sein Debüt in der Nationalmannschaft mit einem 17:9-Erfolg in Bern über die Schweiz.

Ein Jahr später sicherte sich der MSV Hindenburg Minden mit Körvers zwischen den Pfosten in einem hart umkämpften Finale gegen den haushohen Favoriten MTSA Leipzig den nationalen Titel. In einer wahren "Verteidigungsschlacht" in Hälfte zwei, so das Fachmagazin, reichte es am Ende zum Sieg. Die Kritiker adelten den Torhüter als ,man of the match', der trotz eines gebrochen Fingers hielt, was zu halten war.

Den Handball-Experten gefiel seine "unerschütterliche Ruhe" und sein schnörkelloses Spiel sowie seine vorzüglichen Abwürfe, die stets beim eigenen Mann ankamen. Tugenden, die heute dem besten Fußballer-Torhüter der Welt, Manuel Neuer, zugeschrieben werden.

Mit herausragenden Leistungen empfahl sich der Bönninghardter Junge für den Olympiakader. Nach intensiver Bestenauslese wurde der junge Mann vom Niederrhein, der im Trainingslager zunächst nur für die D-Mannschaft im Tor stand, im Juli '36 zu Vorbereitungsspielen fürs olympische Turnier eingeladen, bei denen ihm in der Arena des Lintforter SV gut 2000 Fans zujubelten.

Beim Olympia-Turnier musste Körvers in der Vorrunde beim 29:1- Sieg über die US-Boys nur ein einziges Mal hinter sich greifen. Dass er dann im Finale ran durfte, war dennoch Glück. Der Trainer setzte bei drei gleich guten Keepern konsequent auf Rotation. Körvers war im Finale gegen Österreich schlicht an der Reihe, das schwarze Dress überzustreifen - und rechtfertigte das Vertrauen von Bundestrainer Otto Günter Kaundinya.

In der folgenden Saison setzte das strahlende Olympia-Gold Patina an. Verletzungen und hohe Niederlagen des Mindener Teams warfen Körvers sportlich zurück. Folglich blieben weitere Nominierungen für die Nationalelf aus. Schließlich kehrte der inzwischen 22-jährige "Olympia-Torwächter" 1937 in seine Heimat zurück, schloss sich dem Lintforter SV an und kehrte in die Erfolgsspur zurück. Aber der Olympiasieg wirkte noch nach. Körvers wurde mit dem Team zur Uraufführung des Olympia-Films von Leni Riefenstahl eingeladen, obwohl darin keine Handball-Szenen zu sehen sind. Die Premiere fand am 20. April 1938, zum Geburtstag Adolf Hitlers, im Ufa-Palast in Berlin statt.

Thomas Ohl kann beim Vortrag dennoch bewegte Bilder vom Finale zeigen, die inzwischen digitalisiert sind und die er aus dem Bundesarchiv aus Berlin mitgebracht hat. Damals - heute unvorstellbar - filmte nur eine Kamera am Spielfeldrand. Glücklicherweise stand der Kameramann hinterm Tor des deutschen Teams, so dass Körvers im Bild ist.

Der legendäre Keeper arbeitete nach seiner Rückkehr in die Heimat wieder auf der Zeche Friedrich Heinrich bei der Grubenfeuerwehr. Sein Chef, Oberbrandmeister Friedrich Achterberg, Präsident des Lintforter SV, war Trauzeuge, als Körvers 1938 die Kindergärtnerin Karin Diekmann heiratete, mit der er eine Tochter hatte.

Mit den Lintforter Handballern ging's nun steil bergauf. 1939 unterlagen die Mannen um Keeper Körvers noch im Finale der Deutschen Meisterschaft mit 4:6 gegen MTSA Leipzig. Doch ein Jahr später, der Krieg hatte längst begonnen, bestiegen die Lintforter mit ihrem modernen Spielsystem, das Schule machen sollte, und einem Torhüter in bestechender Form nach einem hart umkämpften 9:6 über den PSV Magdeburg den Meister-Thron. Für Körvers folgten zwei weitere Länderspiele, ehe der Krieg den Höhenflug der Handballer stoppte.

Im Dezember 1941 wurde Körvers zum Militärdienst eingezogen. Dass dahinter eine Fehde mit seinem Trauzeugen Achterberg, auch NSDAP-Ortsgruppenleiter, steckte, lässt sich nicht belegen. Wenige Tage vor Weihnachten '41 wurde Körvers mit seinem Bataillon nach Russland in Marsch gesetzt. Im Mai '42 taucht er als Verwundeter in der Genesenden-Kompanie in Erfurt auf, wo er erst fünf Monate später wieder an die Front entlassen wird. Im Kessel von Stalingrad verliert sich seine Spur. Sein letztes Lebenszeichen stammt vom 29. Dezember 1942. Die genauen Todesumstände sind ungeklärt. Am 31. März 1954 erklärt ihn das Amtsgericht Rheinberg offiziell für tot - Todeszeitpunkt: 31. Dezember 1945, 24 Uhr.

Auch sein Lintforter Sportkamerad aus der Meistermannschaft, Franz Grosch, ist nicht vom Russlandfeldzug zurückgekehrt. Sein Sohn Werner Grosch (74) - er hat seinen Vater nie kennengelernt - lebt seit 53 Jahren in Alpen. Er hat die Zeitungsartikel, die damals sein stolzer Opa Anton über das Team von Rechtsaußen Franz gesammelt hat, all die Jahre sorgsam aufbewahrt. Er stellt sie gern für die Ausstellung zur Verfügung.

(bp)
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