Rheinberg Gericht: Mit der Situation überfordert

Rheinberg · "Wer trägt denn nun für den tragischen Tod die Verantwortung?" Eine Frage, auf die das Schwurgericht in Kleve bei der Urteilsbegründung im Prozess gegen zwei Frauen aus Rheinberg gestern eine ganz klare Antwort hatte: Die 41-Jährige Schwiegertochter habe ihren pflegebedürftigen Schwiegervater vor fünf Jahren in seiner Wohnung in Rheinberg lange gequält. Nicht etwa durch aktive Gewalteinwirkung, sondern durch Unterlassen.

Katastrophale Verhältnisse

Das Urteil gegen die siebenfache Mutter: Zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen. "Sie waren mit der Situation komplett überfordert", folgerte der Richter und sprach von katastrophalen Verhältnissen. Als ihr Mann noch lebte, hatte er den Vater selber betreut, sein plötzlicher Tod stellte die 41-Jährige vor eine scheinbar unlösbare Aufgabe. Statt sich die Hilflosigkeit einzugestehen, hatte sie immer öfter dem Alkohol zugesprochen und den alten Mann vernachlässigt. Das Pflegegeld kassierte sie trotz allem. Wochen vor dem Tod des Mannes hatte ein Mitarbeiter der Pflegekasse die Familie aufgesucht und die unzureichende Pflege bemängelt. Die Frau solle dringend mit Hilfe des Hausarztes eine bessere Betreuung organisieren. Auch das hatte sie nicht geschafft. Die von der Pflegekasse gesetzte Kontrollfrist erlebte der Patient nicht mehr. Zwar zeigte sich die Frau im großen und ganzen geständig, einen Teil der Verantwortung wollte sie jedoch auf den selber überforderten damals 15 Jahre alten Sohn abschieben. Der wollte sich gestern vor Gericht nicht dazu äußern. "Der Mann hätte nicht sterben müssen, wenn er nur hinreichend gepflegt worden wäre", das hatte auch ein Sachverständiger gestern ausgeführt. Der Pflegebedürftige hatte nicht genügend Flüssigkeit und Nahrung bekommen. Da er nicht regelmäßig umgebettet wurde, hatten sich Druckgeschwüre gebildet, aus denen Maden herauskrochen. Als der Mann schließlich nach Moers ins Krankenhaus kam, war es schon zu spät: Der geschwächte Körper konnte nicht mehr auf Rettungsmaßnahmen reagieren.

Überlange Verfahrensdauer

Wegen überlanger Verfahrensdauer gelten drei Monate der Bewährungsstrafe schon als verbüßt. Sollte die Frau also erneut straffällig und die Berufung zurückgezogen werden, werden ihr drei Monate angerechnet. Der Tochter des Verstorbenen konnte das Gericht keine Schuld am Tod ihres Vaters nachweisen. Der Staatsanwalt hatte für beide Frauen eine zweijährige Bewährungsstrafe gefordert.

Der Anwalt hatte einen Freispruch gefordert und eingeräumt, seine Mandantin habe sich möglicherweise moralisch, nicht aber rechtlich schuldig gemacht.

(RP)
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