Flüchtlinge in NRW Geht das gut?

Rheinberg/Grevenbroich · Bisher werden die Asylbewerber überwiegend freundlich in Deutschland aufgenommen. Doch wenn Politiker und Bürger nicht aufpassen, könnte die Stimmung kippen – die ersten Anzeichen gibt es bereits.

Asylbewerber in Orsoy
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Bisher werden die Asylbewerber überwiegend freundlich in Deutschland aufgenommen. Doch wenn Politiker und Bürger nicht aufpassen, könnte die Stimmung kippen — die ersten Anzeichen gibt es bereits.

In Orsoy ist es auch mittags ruhig genug, um den Hahn krähen zu hören. Nur wenige Leute gehen um diese Uhrzeit durch den historischen Ortskern. Die Sonne knallt an diesem Mittwoch vom Himmel. Knapp 3000 Einwohner hat Orsoy, das zur niederrheinischen Stadt Rheinberg gehört. Auf der anderen Seite des Rheins beginnt Duisburg, aber hier ist die Welt noch in Ordnung. Noch.

Es wäre übertrieben zu sagen, der Ort sei in Aufruhr. Aber seit einigen Tagen gibt es Unsicherheit. Erst erfuhren die Orsoyer, dass ein Investor aus ihrem St.-Marien-Hospital, das der aktuelle Betreiber verkaufen möchte, möglicherweise eine Erstaufnahmestelle für bis zu 500 Asylbewerber machen möchte. Dann gab die Stadt Rheinberg bekannt, dass in den nicht mehr genutzten Containern der Grundschule vorübergehend bis zu 24 Flüchtlinge unterkommen könnten, sollte anderswo kein Platz mehr sein. Bis in der ersten Augustwoche der nächste Bauabschnitt am Melkweg in Rheinberg fertig wird, wo rund die Hälfte der 240 Asylbewerber der Stadt untergebracht sind. Nun sorgen sich einige Anwohner, ob der Ort mit so vielen Flüchtlingen klarkommen wird, bei Facebook machen einige wenige User Stimmung.

Überall ist Orsoy

In diesen Wochen und Monaten ist überall in Deutschland Orsoy. Asylbewerber kommen nach Deutschland in der Hoffnung auf ein zumindest vorübergehend sichereres und besseres Leben. Und die Kommunen haben, finanziell unterstützt von den Bundesländern, die Aufgabe, diese Flüchtlinge unterzubringen. Manchmal erfahren sie erst am Tag vorher, dass wieder Neue kommen. Bisher haben sie das ordentlich hinbekommen, auch durch das Engagement von Bürgern und Organisationen. Bisher hat sich bis auf einige Ausnahmen und Internet-Communitys auch noch keine flächendeckende Stimmung breitgemacht, die sich gegen die Flüchtlinge richtet. In Orten wie Orsoy wird sich entscheiden, ob das so bleibt. Denn es werden noch mehr Flüchtlinge kommen.

Kaum wurden die Pläne für die Erstaufnahmestelle bekannt, verschickte die CDU-Ortsverbandsvorsitzende von Orsoy aus dem Urlaub eine Pressemitteilung, in der sie diesen Plan ablehnte: "So kann man eine wirklich gute und von Herzen kommende Unterstützung durch die Rheinberger Bürgerinnen und Bürger, durch Rat und Verwaltung mit einem Schlage zunichtemachen. Jeder Ortsteil Rheinbergs wäre mit einer eigenen Bevölkerungsdichte von circa 4000 Einwohnern viel zu klein, um solch eine Herausforderung bewältigen zu können." Sie spricht sich für die Pläne eines anderen Investors aus, im St.-Marien-Hospital eine Altenpflege einzurichten.

Die Ratsfraktionen gaben Erklärungen an die Stadt ab, die ihre Haltung wiederum an die Bezirksregierung in Düsseldorf weitergab. "Die Zahl 500 ist zu hinterfragen", sagt Dieter Paus, 1. Beigeordneter der Stadt Rheinberg. Erich Weisser, Fraktionsvorsitzender der CDU sagt, der Rat müsse in die Standortfrage eingebunden werden. Weil 500 Flüchtlinge in einem so kleinen Ort Probleme bereiten könne, müssten auf eigenem Stadtgebiet Alternativen überprüft werden. Heißt also: Erstaufnahmestelle in Rheinberg ja, nur nicht unbedingt im St.-Marien-Hospital. Weisser ist es wichtig zu betonen, dass er den Flüchtlingen wirklich helfen wolle. Er betont auch, wie viel die Stadt schon gemacht habe, obwohl sie im Haushaltssicherungskonzept sei. Paus spricht davon, dass die Versorgung der ihnen zugewiesenen Flüchtlinge ein großes finanzielles Problem ist, weil die Pauschalen des Landes nicht reichen. Wie andere Städte muss er einen schwierigen Spagat schaffen: Das Land NRW stärker um Unterstützung auffordern, gleichzeitig aber jenen kein Material liefern, die sagen, wir könnten uns keine weiteren Flüchtlinge leisten.

Ein Mann fordert, dass schneller abgeschoben wird

Fragt man an diesem sonnigen Mittwochnachmittag Orsoyer, was sie von den Containern neben der Grundschule und den Plänen fürs St.-Marien-Hospital halten, erhält man unterschiedliche Antworten. Fremdenfeindlich ist keine, eher unsicher oder besorgt. Auf dem Spielplatz direkt vor den Containern sitzt eine Gruppe von Müttern mit ihren Kindern. Dass Rheinberg auch Flüchtlinge aufnehmen müsse, da sind sie sich einig. "Wo sollen die sonst hin?", sagt eine. Die Zwischenlösung mit den Containern findet sie aber deshalb nicht ideal, weil die Flüchtlinge dort so eng aufeinanderhocken. Sie glaubt nicht, dass es bei der Zwischenlösung bis August bleibt. "Wo sollen die denn dann hin?" Schwieriger aber finden die Mütter die Pläne fürs St.-Marien-Hospital. Aus Sorge um die Flüchtlinge. "Vom Platz her ist das machbar, aber nicht von der psychologischen Betreuung", sagt eine. Jeden zweiten Freitag gebe es um zwölf Uhr einen Probealarm für die Feuerwehr. Das könne den Flüchtlingen Angst machen. Eine sagt, sie habe auch fremdenfeindliche Stimmen im Ort gehört. Vorbehalte gegen die Flüchtlinge sind höchstens am Rande herauszuhören, in Sätzen wie "Man weiß aber nicht, wer reinkommt" und "Man hat Vorurteile, aber es sind Menschen wie du und ich."

Ein paar Hundert Meter weiter steht gerade ein Rentner am Kofferraum seines Autos. Er hat nichts gegen den Container und die Pläne fürs Hospital. "Ich gehe davon aus, dass sie sich einigermaßen verhalten." Er wünscht sich, dass die Asylberechtigten hier eine Perspektive bekämen. Doch wer kein Recht auf Asyl hat, muss wieder abgeschoben werden. Das geht ihm momentan zu langsam. Eine ältere Frau, die ihren Hund spazieren führt, ist dagegen, dass Flüchtlinge in Orsoy unterkommen. "Der Ort ist zu klein." Sie sollten in die größeren Städte. Sie sorgt sich um die Kriminalität, sagt aber: "Auch unter den Deutschen sind Ganoven."

Allen Befragten ist eines gemeinsam: Sie haben kein wirkliches Vertrauen in die Politik und sie fühlen sich nicht ausreichend durch die Stadt informiert. Und hier ist einer der Punkte, an denen es kritisch wird. Und kompliziert. Es ist nicht so, dass die Stadt nicht informiert hätte. Die Sache mit den Containern hat ein paar Tage zuvor in der Lokalzeitung gestanden. Doch sonst muss man schon suchen. Eine Facebook-Seite hat die Stadt nicht, auf der Website ist auch nichts zu finden. Dass eine der Mütter fragte, wo die Flüchtlinge hin sollten nach der Zeit im Notcontainer, zeigt jedenfalls, dass sie nicht über die Bauarbeiten am Melkweg informiert war. Noch schwieriger ist die Sache bei der Erstaufnahme-Einrichtung. Die Stadt wartet nun auf Rückmeldung der Bezirksregierung, sagt der Beigeordnete Paus, es gibt also wenig, worüber die Stadt ihre Bürger bereits informieren könnte. Aber wäre es nicht doch besser, sich schon einmal an die Bürger zu richten? Zum Beispiel mit der Information, dass die Erstaufnahme-Einrichtung vom Land finanziert wird, den Haushalt von Rheinberg also nicht belastet. Sollte eine Stadt nicht viel offensiver vermitteln "Liebe Bürger, wir bekommen das schon alles hin"?

Bei Facebook machen User Stimmung

Aber so entstehen eben Informationslücken. Und die können genutzt werden. Wie sich auf einer privaten Orsoy-Facebook-Seite nachlesen lässt. Werden dort Artikel zum Thema Flüchtlinge aus der Lokalpresse gepostet, machen einige kräftig Stimmung.

Einer schreibt: "Alle ,Gutmenschen', die jetzt so heftig für die Aufnahme dieser Leute in einem so kleinen Nest wie Orsoy sprechen, haben offensichtlich noch niemals ein Asylantenheim und seine nähere Umgebung gesehen, nachdem es 3 Monate ein solches war." Eine Frau schreibt: "Einfach nur lachhaft! Asylantenheim zwischen Reha und neuem Kindergarten...abgesehen von der Sparkasse. UPS! Was haltet Ihr von einer Moschee anstatt Schützenzelt?" Ein weiterer Kommentar: "Nix gegen ,Ausländer' aber da konnten die sich was besseres fürs Krankenhaus einfallen lassen ..." Und einer droht sogar: "Wenn dann kauf ich mir ne scharfe Waffe! !!!!"

Andere User halten allerdings dagegen: "Es hat noch keinem Ort geschadet, offen für Neues zu sein und Veränderungen zu begrüßen" und "Warum ist Orsoy zu klein? Infrastruktur ist doch ausreichend vorhanden, Ärzte, Kindergarten, Post, Bank, Bäcker, Edeka..".

Was sind sachliche Gründe gegen ein Flüchtlingsheim?

Doch wenn die Stimmung erst einmal gekippt sein sollte, ist es schwer, diese wieder zu drehen. Wenn dann die Pläne fürs Hospital umgesetzt werden, könnte es Ärger geben. Da muss jeder Politiker seine Äußerungen abwägen, damit sie nicht von Rechten genutzt werden können. Menschen wie Horst Seehofer, der regelmäßig vor den Flüchtlingen warnt, die das Asylrecht missbrauchen, lassen Zweifel aufkommen, ob das jeder Politiker verstanden hat.

Denn es gibt ja Widerstand oder zumindest Vorbehalte gegen Flüchtlingsheime und es ist nicht klar zu benennen, wann es sachliche Gründe sind, wann die sachlichen Gründe nur vorgeschoben sind und ab wann es Fremdenfeindlichkeit ist. Bei einer Bürgerversammlung in Neuss sagte ein Anwohner, die Konfrontation mit dem "Luxus" vor Ort sei den Flüchtlingen nicht zuzumuten. In Haan möchte der Vorsitzende eines Kleingartenvereins keine Container-Siedlung auf dem Kleingärtner-Parkplatz. Begründung: "Eine solche Anlage passt nicht in die Zeit und nicht in die Landschaft." Andere begründen ihre Ablehnung mit der Sorge um die Flüchtlinge. Fehlendes Sozialangebot, starker Verkehr und so weiter.

Und dann gibt es Bürgerinitiativen. "Rettet das Jahnstadion" in Neuss will kein Übergangswohnheim für Flüchtlinge auf der Sportanlage, weil man damit eine intakte Infrastruktur mit hohem Freizeitwert zerstöre. Die Bürgerinitiative ist schon seit 2008 aktiv, damals ging es noch nicht um ein Flüchtlingsheim. In Aachen wehrt sich eine Bürgerinitiative ebenfalls dagegen, Flüchtlinge auf einem Sportplatzgelände unterzubringen. In Oberhausen bildete sich eine Bürgerinitiative aus Anwohnern, weil sie sich von der Politik überrumpelt fühlten. Bei Facebook benennen sie als eine ihrer Aufgaben "die Förderung und der Schutz dieses Wohnumfeldes". Von der Hilfe für Flüchtlinge ist dort nichts zu lesen. Später legten sie mit einem Gutachten nach, nach dem der Boden dort arsenhaltig sein soll. Plötzlich wirkt es wie Sorge um die Flüchtlinge. Bei vielen Bürgerinitiativen klingt es schnell nach: Flüchtlinge ja, aber doch bitte nicht hier.

Was passiert, wenn die Stimmung kippt

So viele sich auch für Flüchtlinge engagieren — eine Stimmung kann kippen, wenn Menschen empfänglich werden für rechtes Gedankengut.

Was passiert, wenn die Stimmung kippt, ließ sich in Deutschland in diesem Jahr besonders an zwei Orten beobachten. In Hamburg und Freital. Im Hamburger Stadtteil Jenfeld ist auf einer Wiese ein Zeltlager für Flüchtlinge entstanden, viele Anwohner stellten sich aber zuvor dagegen und verzögerten den Aufbau. Es gibt sogar eine Facebook-Gruppe mit dem Namen "Gegen Flüchtlinge im Jenfelder Moorpark". Die "Taz" berichtete von einer Frau, die sagte: "Ich kann noch hundert Mal erklären, dass ich nichts gegen diese Kanaken habe. Aber das hier ist einfach der falsche Ort." Nach außen hin gaben viele einfach nur vor, dass sie sauer waren, weil die Stadt ihnen eine Wiese genommen hatte. Auf der Facebook-Seite der Gruppe äußern sich einige offen fremdenfeindlich: "ganz erlich alle wieder raus hier".

In der sächsischen Stadt Freital gab es vor einem damals noch nicht bezogenen Flüchtlingsheim, einem ehemaligen Hotel, tagelang Kundgebungen, die in Krawalle umschlugen. Doch es gab auch viele Menschen, die sich dagegenstellten.

Aber auch die Statistiken machen große Sorgen. 176 Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte zählte das Bundesministerium des Innern in diesem Jahr bereits (Stand 29.06.), davon 151 mit rechtem Hintergrund, davon wiederum 17 Gewaltdelikte. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 198. In der Nacht zum 18. Juli brannte ein leerstehendes früheres Vereinsheim in Remchingen (Baden-Württemberg), in das nach 2016 Flüchtlinge einziehen sollten. In Waldaschaff (Unterfranken) brannte am frühen 18. Juli ein Papiercontainer in der Garage eines Flüchtlingsheims. In der Nacht zum 16. Juli brannte es in Reichertshofen (Oberbayern) an zwei Eingängen des Gebäudekomplexes. Im September sollten dort 67 Asylbewerber einziehen.

Viele Bürger schauen sich die Container an

Auch in Grevenbroich werden bald neue Container bezogen. Ärger gab es noch nicht. Im Gegenteil. An einem Mittwochabend im Juli hat die Stadt die Bürger eingeladen, sich die Flüchtlingsunterkunft anzuschauen, quasi ein Tag der offenen Tür. Die drei Container, in denen 48 Menschen unterkommen können, stehen im Stadtteil Gindorf, nahe des Tagesbaus Garzweiler. Wenn die ersten Flüchtlinge, 40 Männer aus Syrien, Afghanistan, Iran und Irak, am 1. August mit dem Bus eintreffen, werden sie möglicherweise rauchende Schlote sehen. Die Stadt brauchte eine große Fläche, und die war zentraler nicht zu haben. In der Nähe gibt es mehrere Supermärkte und eine Bushaltestelle.

Viele Besucher schlendern an diesem Abend neugierig durch die Container, die noch fast leer sind, weil sie erst eingerichtet werden, wenn die Flüchtlinge eintreffen. Jeder Container hat eine Küche, Toiletten, Duschen und Schlafzimmer für zwei und vier Personen. Eine Frau sagt, man müsse darauf achten, dass bei Sonne nicht die "Festtagsbeleuchtung" eingeschaltet sei, das koste ja Strom.

Im Flur steht Hartmut Deußen, Fachdienstleister Soziale Dienste, um ihn herum haben sich einige Bürger versammelt. Er erzählt von den Leuten, die hier mit einer Plastiktüte ankommen, in denen ihr ganzes Leben steckt. Sie hören gebannt zu. Eine Frau sagt: "Es bereichert ja uns ja auch, wenn Flüchtlinge kommen." Eine andere: "Wir müssten uns mal vorstellen, wenn wir Flüchtlinge wären und mit einer Plastiktüte in den Irak fliehen."

Ein Rentner misst die Zimmergröße

Deußen hat bereits die Flüchtlingswelle Anfang der 90er erlebt. Damals, so erzählt er später, habe es im Gegensatz zu heute kaum Ehrenamtler gegeben. Ohne die wäre es für die Stadt deutlich schwieriger. 461 Flüchtlinge sind momentan in Grevenbroich untergebracht. Er sagt aber auch: "Es wird auch hier nicht-gutgesinnte Menschen geben."

Draußen steht ein Rentner-Ehepaar an einem der Tische, die die Stadt aufgestellt hat. Aus Neugier sei sie gekommen, sagt sie. "Den Leuten muss geholfen werden, aber Ex-Jugoslawen müssen schneller raus." Ihr Mann sagt: "Mit den Containern könnten sie dicke zufrieden sein." Er habe eben nachgemessen, das Vierbettzimmer habe 36 Quadratmeter. "Bei der Bundeswehr früher war das kleiner." Die beiden haben aber Sorge, dass auf dem Gelände bald überall der Müll herumliegt.

Und dann erzählen sie plötzlich von der Bronzestatue, die ihnen kürzlich aus dem Vorgarten gestohlen wurde. Eine osteuropäische Bande, vermutet die Frau. "Aber das hat hiermit nichts zu tun."

(seda)
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