Vor einem Jahr starb der Alpener Michael Paßmann Trauer und quälende Ungewissheit bleiben

Alpen/Rheinberg · Vor fast einem Jahr ist Michael Paßmann bei einem Unfall an der Ulrichstraße Alpen gestorben. Wie es zum tragischen Unglück gekommen ist, ist bis heute nicht aufgeklärt. Das macht den Angehörigen sehr zu schaffen.

 Judith Aldenhoff, die langjährige Freundin von Michael Paßmann, hat an der Unfallstelle ein Kreuz aufgestellt.

Judith Aldenhoff, die langjährige Freundin von Michael Paßmann, hat an der Unfallstelle ein Kreuz aufgestellt.

Foto: Armin Fischer/Armin Fischer (arfi)

Grausam. Den Morgen wird Dorothee Paßmann (53) nicht vergessen. Nie. Der Schmerz hat sich tief in ihr Herz gebohrt. Es tut so unsagbar weh. Auch ein Jahr danach. Es ist der 15. Juli 2017. Ein Samstag. Sie ist draußen auf dem Hof an der Saalhoffer Straße in Millingen, hackt Disteln. Ein Nachbar bringt eine Zucchini. Sie unterhalten sich. Gegen 9.30 Uhr erscheinen zwei Männer, bitten, mit ihr ins Haus gehen zu dürfen. Sie soll ihren Mann rufen. Landwirt Hans-Peter Paßmann ist auf dem Feld. Die Polizisten in Zivil möchten, dass Dorothee Paßmann im Wohnzimmer Platz nimmt. Sie spürt, dass was nicht stimmt. Sie sagt, dass ihr Sohn Michael gleich komme. Er wolle die Erntemaschine startklar machen. „Ihr Sohn kommt nicht mehr.“

Michael Paßmann ist tot. Schock beschreibt die Gefühlslage nur unzureichend. Die Kripo geht noch  davon aus, dass der junge Mann Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist. Der Fahrer eines Bäckerei-Fahrzeugs, der die Filiale in Alpen mit frischen Brötchen beliefern will, findet den 25-Jährigen gegen 5 Uhr kurz hinterm Ortsausgang von Menzelen-West schwer verletzt an der Ulrichstraße. Die macht an der Stelle eine lang gezogene Kurve. Michael Paßmann wird mit dem Hubschrauber in eine Klinik geflogen. Die Ärzte können sein Leben nicht retten.

„Den kriegen wir“, hätten die Beamten morgens gesagt. Nach der Obduktion am Nachmittag steht  fest: Der junge Mann ist Opfer eines Verkehrsunfalls geworden. Wie’s dazu kam, ist bis heute ein  Mysterium. Die Polizei konnte den Fahrer nicht ermitteln. Die Hoffnung, dass ihn das Gewissen antreibt, sich zu offenbaren, hat sich nicht erfüllt. Noch nicht.

Dorothee und Hans-Peter Paßmann, die Geschwister Marion (24) und Jonas (20) sowie Lebensgefährtin Judith Aldenhoff haben nur die schreckliche Gewissheit, dass Michael nie mehr zurückkehren wird. Aber mindestens so schlimm ist für sie das schwarze Loch, in dem sich das nächtliche Geschehen abgespielt hat. „Wir wollen niemanden anklagen“, sagt Dorothee Paßmann mit tränenerstickter Stimme, „wir wollen doch alle nur ein bisschen mehr wissen.“

Die Staatsanwaltschaft hat die Akte Michael Paßmann im Herbst geschlossen: „Das Verfahren ist eingestellt worden, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte.“ Michaels Mutter ist weit davon entfernt,  den nüchternen Fakt zu akzeptieren. Sie hofft immer noch darauf, dass  Licht ins unbegreifliche Dunkel kommt. „So lange das  ein großes Rätsel bleibt“, sagt Angelika Aldenhoff, Mutter von Michaels langjähriger Freundin Judith (26), „laufen bei jedem im Kopf immer wieder andere albtraumhafte Filme ab.“

Klar ist, dass Michael Paßmann, auf der Mallorca-Party der St.-Heinrich-Schützenbruderschaft Bönning-Rill gefeiert hat. Dort will man den jungen Mann gegen 3 Uhr mit dem „Bierkönig“-Aufdruck auf dem T-Shirt  im letzten Shuttle-Bus gesehen haben. Er hat sich dann wohl entschieden,  zu Fuß  zu gehen. Die Route, so hat’s hinterher auch der Spürhund erschnüffelt, war weit abseits des Heimweges.

Seine Freundin Judith, mit der er in Alpen in einer gemeinsamen Wohnung gelebt hat, hat so gegen 1 Uhr das letzte Mal mit ihm telefoniert. Sie war am Abend mit Freundinnen zur Kegeltour nach Holland aufgebrochen. „Da war noch alles in Ordnung“, sagt sie. Eine halbe Stunde später habe er noch mal geschrieben. Als sie morgens aufwacht, sieht sie, dass ihr Freund um 3.30 Uhr zum letzten Mal am Handy war. Schon da beschleicht sie ein mulmiges Gefühl. „Sonst schickt er vorm Schlafengehen oft einen Gruß.“

Wenig später erreicht auch sie die furchtbare Nachricht. Sie besteht darauf, dass man ihr am Telefon die Wahrheit sagt. Sie fährt sofort nach Hause. Die schlimmste Autofahrt ihres Lebens. Die Polizei, so sagen es alle, sei seelisch keine große Stütze gewesen. Mit dem Hinweis auf  laufende Ermittlungen sei sie Antworten schuldig geblieben. „Man hat uns  nicht mal gesagt, in welchem Krankenhaus Michael liegt“, sagt seine Mutter. Auch die Notfallseelsorger haben sie nicht als besonders hilfreich in Erinnerung. Dankbar sind sie besonders Dietmar Heshe, Pastor an St. Ulrich, für seinen persönlichen Beistand. „Bei ihm haben wir uns gut aufgehoben und nicht so allein gefühlt“, sagt Dorothee Paßmann.

Sie hat sich professionelle Hilfe gesucht, findet Halt in der Selbsthilfegruppe „Verwaiste Eltern“. Auch Judith Aldenhoff wird psychologisch betreut, um ihre Trauer zu bearbeiten. Sie wohnt wieder bei ihren Eltern in Drüpt. So lange, bis sie sich stark genug fühlt, in die Wohnung in Alpen zurückzukehren. Die beiden wollten heiraten. „Die Verlobungsringe waren gekauft.“

Zur Trauerarbeit gehört das mit Blumen geschmückte weiße Kreuz an der Unfallstelle, das unter Eichenbäumen etwas abseits der Fahrbahn an „Michi“ erinnern soll. Anfangs war sie täglich da, nun einmal die Woche. Mindestens. „Anfangs lagen hier Bierdeckel und Glasscherben“, erzählt die junge Frau, die bei der Firma Lemken im Büro arbeitet. Sie ist davon überzeugt, dass jemand die „Erinnerungsstätte“ gezielt besucht hat. Nur wer? Vielleicht derjenige, den jemand nachts von der Unfallstelle hat weglaufen sehen.

Vater Hans-Peter Paßmann wirkt äußerlich gefasst. „Michael hatte es geschafft“, sagt er. Messdiener, Realschul-Abschluss, Fachabitur, Ausbildung zum Industriemechaniker, Konstrukteur bei Siemens. Er hatte Pläne. Dabei wollte er eigentlich immer wie sein Vater Landwirt werden. „Du bist schuld, dass ich nicht Bauer geworden bin.“ Das habe er ihr im Scherz immer vorgehalten, erzählt seine Mutter, kaum merklich lächelnd. Sie wollte, dass er’s mal besser hat. Den Berufswunsch hatte er noch nicht begraben. „Ein toller Junge, der alle Möglichkeiten hatte“, sagt seine Mutter. Und der für jeden immer ein offenes Ohr hatte – und der als Jungschütze davon geträumt hat, einmal in seinem Leben König zu werden, erzählt seine Freundin.

 Michael Paßmann galt als sympathischer Mann.

Michael Paßmann galt als sympathischer Mann.

Foto: Armin Fischer/Armin Fischer (arfi)

Sie weiß, dass dieser Traum nicht in Erfüllung geht. Begreifen kann sie’s nicht. Sie ist in ihrer Trauerarbeit ein Stückchen weiter als Dorothee Paßmann. Die hat’s auch nach einem Jahr noch nicht geschafft, die Stelle zu besuchen, wo das weiße Kreuz steht. „Ich kann’s einfach nicht.“ Ihre Stimmer versagt. Dann spricht sie weiter. Leise sagt sie: „Wir möchten nicht, dass Michael vergessen wird.“ Niemals.

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