Fit für den Schulstart Wo i-Dötzchen das Lesen lernen

Wie aus der "Bildungskatastrophe" neue Lehren gezogen wurden: Eine kurze Geschichte der Grundschule in Nordrhein-Westfalen

 Fleißig und brav: Blick in die Klasse einer Volksschule im Rheinland 1934. Im Hintergrund wacht der "Herr Lehrer" über seine Schüler.

Fleißig und brav: Blick in die Klasse einer Volksschule im Rheinland 1934. Im Hintergrund wacht der "Herr Lehrer" über seine Schüler.

Foto: NGZ

"Also lautet ein Beschluß: Daß der Mensch was lernen muß. Nicht allein das Abc bringt den Menschen in die Höh, nicht allein im Schreiben, Lesen übt sich ein vernünftig Wesen; nicht allein in Rechnungssachen soll der Mensch sich Mühe machen; sondern auch der Weisheit Lehren muß man mit Vergnügen hören." W. Busch

Rhein-Kreis Neuss Der Ernst des Lebens: Der sollte auch für Max und Moritz gelten. Welch ein Pech nur für Lehrer Lämpel, der es mit den beiden Lausebengels zu tun bekam. Das Schicksal des armen Pädagogen, dem bei einem von Max und Moritz gespielten Streich die Feierabendpfeife explodierte, hat Wilhelm Busch trotz aller Dramatik in witzige Verse gepackt.

Lehrer wie Lämpel, Schüler und Schulen, wie sie der Dichter Wilhelm Busch vor Augen hatte, gehören lange der Vergangenheit an. Wer heute eingeschult wird, geht in die Grundschule. Die Großeltern wiederum sprechen in diesem Zusammenhang noch von der Volksschule, die sie besucht haben. Denn als eigenständige Institution ist die Grundschule in ihrer heutigen Gestalt eigentlich noch recht jung.

Die Ursprünge der Grundschule in Deutschland reichen jedoch zurück bis in die Zeit der 1920er Jahre. Die Verfassung der so genannten Weimarer Republik vom August 1919 machte Vorgaben für eine Neuordnung des deutschen Schulwesens. Am 28. April 1920 beschloss die Verfassunggebende Nationalversammlung schließlich das Grundschulgesetz. Die Pflichtschulzeit wurde durch die achtjährige Volksschule abgedeckt, in der die Grundschule als eine für alle Kinder gemeinsame Schulform, auf der sich das mittlere und höhere Schulwesen aufbauen sollte, integriert wurde. Zuvor war es allgemein üblich gewesen, Kinder für den Besuch der höheren Schulen in so genannten Vorklassen zu unterrichten, wobei erst 1936 durch ein Reichsgesetz die letzten verbliebenen Vorklassen tatsächlich aufgelöst wurden.

Als Grundschule galten demnach die vier unteren Jahrgänge der Volksschule. Auf den Lehrplänen der 1920er Jahre standen für die Grundschule Fächer wie Religion, Heimatkunde beziehungsweise heimatkundlicher Anschauungsunterricht, Deutsch, Rechnen, Zeichnen, Gesang, Turnen, "Nadelarbeit" (für Mädchen). In der Volksschuloberstufe kamen noch Geschichte und Staatsbürgerkunde, Erd- und Naturkunde, Raumlehre und Werkunterricht (für Jungen) hinzu.

Voll ausgebaute Volksschulen mit acht Jahrgangsklassen gehörten damals zur absoluten Ausnahme. Noch Anfang der 1940er Jahre waren rund 60 Prozent ein- bis zweiklassig, was bedeutete, dass Schüler mehrerer Jahrgänge gemeinsam in einer Klasse unterrichtet wurden. Das Schüler-/Lehrerverhältnis lag im Durchschnitt bei 50:1. Zur Einflussnahme der nationalsozialistischen Machthaber auf den Unterricht in den 30er und 40er Jahren sei an dieser Stelle nur bemerkt, dass über eine Flut von Erlassen dafür gesorgt wurde, den Nachwuchs im Sinne der Ideologie zu erziehen.

"Mit dem vollständigen Zusammenbruch des politisch-gesellschaftlichen Lebens bei Kriegsende war auch das Schulwesen in Deutschland in Unordnung geraten", schreibt Bruno Hamann in seiner "Geschichte des Schulwesens" über 1945 und die Folgen. Das Grundgesetz (1949) wies in der Bundesrepublik Deutschland die Kulturhoheit den einzelnen Bundesländern zu: Schulpolitik war und ist damit Ländersache, wobei die schon 1948 geschaffene "Ständige Konferenz der Kultusminister" (KMK) als gemeinsames Abstimmungs- und Lösungsinstrument schnell an Bedeutung gewann. Inhaltlich knüpfte die Grundschule in der Zeit des Wiederaufbaus da an, wo sie 1933 mit Beginn der nationalsozialistischen Machtergreifung aufgehört hatte. Ende der 1950er Jahre verstärkte sich die Bildungsdiskussion und wurde in der Folgezeit zunehmend ausgeweitet. Damals vollzog sich in Erziehungsverständnis und Sinngebung der Schule ein gewisser Wandel: Aus der Überzeugung heraus, der Mensch in einer modernen, technischen und vielgestaltigen Gesellschaft bedürfe anderer Inhalte zur Lebensgestaltung als der Mensch früherer Epochen speisten sich diese Bemühungen zur Neugestaltung des Schul- und Lehrbetriebs, der von dem bis dato üblichen Ideal der "volkstümlichen Bildung" zugunsten einer stärkeren Sach- und Fachorientierung abrückte. Seit 1953 gab es den Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen, der Mitte der 60er Jahre vom Deutschen Bildungsrat abgelöst wurde. In diese Zeit fällt das Schlagwort von der "Deutschen Bildungskatastrophe", die als Schreckensszenario das als dramatisch aufgefasste Fehlen hochqualifizierter Arbeitskräfte an die Wand malte.

Zu den Neuerungen, die schließlich in Gang gesetzt wurden, gehörte die Einführung von Mittelpunktsschulen, die in Zusammenhang mit einer Landschulreform standen, die Mitte der 60er Jahre zur Auflösung der "Zwergschulen" führte.

Ein wichtiger Aspekt der Bildungsdebatte war auch die Aufwertung der Volksschuloberstufe zur "Hauptschule", so dass Ende der 60er Jahre die Grundschule als Primarbereich des Bildungssystems eine eigenständige Kontur bekam. Die Neuordnung der Volksoberschulreife erfolgte zwischen 1964 und 1970, die Hauptschule umfasste demnach neun, fakultativ auch zehn Schuljahre, zudem wurde ab der fünften Klasse eine Fremdsprache — in der Regel Englisch — unterrichtet. Im Jahre 1968 kam dann das Ende der Volksschule alten Stils.

(RP)
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