Rhein-Kreis Neuss Wer Fachkräfte braucht, muss investieren

Rhein-Kreis Neuss · Interview Zukunftsberufe, die Folgen des demografischen Wandels für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aber auch Kritik an der Vermittlung Langzeitarbeitsloser – Themen für Gespräch mit Johannes-Wilhelm Schmitz, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Mönchengladbach.

 Johannes-Wilhelm Schmitz ist Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Mönchengladbach: "Unternehmen müssen bereit sein, auch Menschen eine Chance zu geben, die nicht auf den ersten Blick der Olympionike sind."

Johannes-Wilhelm Schmitz ist Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Mönchengladbach: "Unternehmen müssen bereit sein, auch Menschen eine Chance zu geben, die nicht auf den ersten Blick der Olympionike sind."

Foto: AA MG

Herr Schmitz, welche Branchen im Rhein-Kreis entwickeln sich besonders positiv, welche machen Ihnen Sorgen?

Johannes-Wilhelm Schmitz Auf Dauer werden sich die gewerblichen und produzierenden Bereiche schwertun. Wachsen werden vor allem Dienstleister, im unternehmensnahen wie im privaten Sektor – und dabei rede ich von mehr als geringfügiger Beschäftigung.

Welche Berufe haben Zukunft?

Schmitz Als Beispiel nenne ich einmal Dienstleistungen am Anfang und am Ende des Lebens, etwa den Beruf der Erzieherin oder des Erziehers. In diesem Bereich gibt es heute schon Engpässe – und der Bedarf wächst mit der Forderung nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch der Notwendigkeit, die Erwerbsbeteiligung der Frauen noch zu erhöhen.

Dienstleistungen zum Lebensende sind vor allem Pflegedienste?

Schmitz Natürlich – einerseits brauchen wir mehr Dienstleistungen in Heimen und in der ambulanten Betreuung, aber auch Unterstützung für Menschen, die zu Hause selbst Angehörige betreuen. Nur mit solchen Dienstleistungen schaffen wir es, die nach wie vor vorhandene klassische Rollenverteilung in der Gesellschaft zu durchbrechen. Das ist – angesichts der demografischen Entwicklung und dem damit drohenden Fachkräftemangel – nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung, sondern auch der wirtschaftlichen Notwendigkeit.

Werden diese Berufe überhaupt nachgefragt? Oft gelten sie als unattraktiv.

Schmitz Es wird darauf ankommen, wie diese Berufe in Zukunft bewertet werden. Derzeit dominieren Frauen in Erziehungsberufen. Experten diskutieren aber längst, ob die Sozialisation von Kindern nicht einseitig erfolgt. Müssten wir nicht auch mehr Männer als Erzieher haben?

Auch wenn es Frauen, die bereits in diesen Bereichen arbeiten, als ungerecht empfinden werden: Da stellt sich doch sofort die Frage nach den Verdienstmöglichkeiten...

Schmitz Erziehungs- und Pflegeberufe müssten attraktiver werden - mit Blick auf die Einkommen wie auf die Arbeitszeiten. Diskutieren und entscheiden müssen das aber Fachleute, da halte ich mich zurück. Gerade die Alten- und Krankenpflege gilt als "harter" Beruf mit hoher Belastung.

Wie passt das zu Modellen, die eine längere Lebensarbeitszeit vorsehen?

Schmitz Die Verweildauer im Beruf ist in diesem Bereich in der Tat ein Problem, aber auch daran kann man arbeiten. Es wird darum gehen, intelligente Schicht- und Teilzeitmodelle zu entwickeln. Erfahrungen, etwa aus einigen Krankenhäusern, zeigen, dass dies möglich ist, wenn man von 08/15-Tarif- und Arbeitszeitplänen abgeht.

Das gilt in allen Berufen?

Schmitz Arbeitgeber müssen lernen, Angebote vorzuhalten, die die Mitarbeiter in die Lage versetzen, ihren Beruf lange auszuüben. Das gilt in Pflegeinrichtungen genauso wie in Handwerksberufen oder anderswo.

Sie sprechen den drohenden Fachkräftemangel an. Ist die Wirtschaft ausreichend vorbereitet?

Schmitz Ich glaube nicht. Zu viele Unternehmen setzen noch allein darauf, dass es schon gelingen wird, Menschen aus anderen Regionen als Arbeitskräfte zu gewinnen. Das allein wird aber nicht die Lösung sein.

Das heißt Firmen müssen auch mit schlechten Schulabgängern leben?

Schmitz Unternehmen müssen bereit sein, auch Menschen eine Chance zu geben, die nicht auf den ersten Blick der Olympionike sind. Es gibt Firmenchefs, die bereits heute erklären, mit Fachkräftmängel kein Problem zu haben, weil sie sagen: Wir bilden auch schwächere Bewerber aus, nutzen vorhandenen Kompetenzen und geben andere dazu. So gewinnen wir Fachkräfte, die wir brauchen, und binden sie langfristig an unser Haus.

Der Rhein-Kreis wollte Optionskommune werden und damit Langzeitarbeitslose zu 100 Prozent selbst betreuen. Dies hätte auch für die Arbeitsvermittlung gegolten. Das Land hat dem nicht zugestimmt. Agentur und Kreis werden im Jobcenter weiter kooperieren müssen. Ist die Zusammenarbeit mit dem Kreis aus Ihrer Sicht belastet?

Schmitz In der Phase der Antragstellung für das Modell Optionskommune durch den Rhein-Kreis haben wir, die Agentur, der Kreis, die Arge, weiter gut zusammengearbeitet. Das war uns allen wichtig, auch wenn wir an dieser Stelle unterschiedlicher Auffassung waren. So sind wir ohne eine Restriktion in das Jahr 2011 hineingegangen.

Der Kreis argumentiert, er sei näher bei den Menschen und könne deshalb besser vermitteln. Wie sehen Sie das?

Schmitz Das ist ja teilweise richtig, zum Beispiel beim Bildungspaket. Da sind die Kommunen näher bei den Menschen. Für den Arbeitsmarkt sehe ich das anders. Der Rhein-Kreis Neuss lebt zu einem großen Teil von seinem Umland. Eine Vermittlung, die sich nur im eigenen Saft bewegt, ist zu eingeschränkt. Mitarbeiter werden nicht eingestellt, weil sie über die Agentur, das Jobcenter oder eine Kommune kommen, sondern weil sie die passende Qualifikation haben. Um dies zu unterstützen, verfügt die Agentur für Arbeit über vielfältige Möglichkeiten, lokal, regional und überregional.

Manche Kreistagsfraktion kritisiert immer wieder die angeblich nicht ausreichenden Bemühungen zur Vermittlung Arbeitsloser. Was antworten Sie?

Schmitz Nicht jede Entscheidung wird von der Arbeitsagentur und auch nicht von den Kommunen getroffen. Wenn etwa der Bundestag als Haushaltsgesetzgeber eine Richtung vorgibt, müssen wir uns daran halten.

Das heißt zum Beispiel?

Schmitz Wenn wir Ein-Euro-Jobs zurückfahren, dann geschieht das, weil die Erfolgsquote, gemessen am Übergang in eine Dauerbeschäftigung mit rund 20 Prozent, als zu gering gewertet wird. Angefangen hat man mit Ein-Euro-Jobs aber, um für Langzeitarbeitslose wieder Teilhabe an gesellschaftlichem Leben zu organisieren, die sich nach dem Sozialwort der Kirchen auch als Teilhabe an Arbeit definiert. Das ist eine Verschiebung: Nicht mehr der Teilhabegedanke steht im Vordergrund, sondern die Erfolgsquote.

Was bedeutet das für kritische Stimmen aus Politik?

Schmitz Entscheidend ist doch: Der Volkssouverän, der Deutsche Bundestag, hat gesprochen – und auf den hat Politik Einfluss. Vielleicht sollten die Kreistagsfraktionen das nicht allein mit der Geschäftsführung des Jobcenters, sondern auch mit ihren Vertretern im Bundestag diskutieren.

Frank Kirschstein führte das Gespräch.

(NGZ)
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