Umfrage Was Parteien im Rhein-Kreis bewegen wollen
Der „Energie-Kreis“ Neuss mit Tagebau und Braunkohlenverstromung steht vor einem Strukturwandel. Welche Weichen müssen in der nächsten Wahlperiode gestellt werden, damit der Kreis seine wirtschaftlich starke Position auch in Zukunft behaupten kann?Dieter Welsink (CDU): Die Braunkohle ist und bleibt ein wichtiger heimischer Energieträger, der nicht nur verlässlich und preiswert zur Verfügung steht, sondern auch Arbeitsplätze in unserer Industrie sichert. Wir müssen unsere gute Infrastruktur erhalten und weiter ausbauen, Gewerbeflächen für neue Unternehmen, beispielsweise in der Logistikbranche, verlässlich zur Verfügung stellen sowie die hohe Lebensqualität in unserem Kreis weiterhin sicherstellen.
Rainer Thiel (SPD): Der Rhein-Kreis Neuss ist Bestandteil der Innovationsregion Rheinisches Revier, kurz IRR. Dort geht es um den vorbeugenden Strukturwandel, Verbesserung der Infrastruktur und konkrete Projekte für neues Gewerbe. Dazu brauchen wir regional bedeutsame Gewerbegebiete, die interkommunal entwickelt werden. Moderne Logistik mit vertiefender Wortschöpfung hat hohes Zukunftspotential, auch Agrobusiness bietet Chancen.
Bijan Djir-Sarai (FDP): Unser Ziel ist eine sichere und bezahlbare Energieversorgung vor Ort. Durch den Einsatz modernster Technologien kann die Braunkohle bei der Umsetzung der Energiewende eine wichtige Rolle spielen. Für die Standortentscheidung von Unternehmen sind die Rahmenbedingungen (z.B. Infrastruktur, Fachkräfte) entscheidend. Auf dem jetzigen Erfolg ausruhen bedeutet Rückschritt. Wir müssen diese daher kontinuierlich analysieren und weiterentwickeln.
Erhard Demmer (Grüne):Der Rhein-Kreis Neuss befindet sich bereits mitten im Strukturwandel. Wir setzen uns auch weiterhin energisch dafür ein, dass dem Kreis die Transformation vom Braunkohle- hin zum Erneuerbare-Energien-Kreis gelingt. Wir wollen dazu eine Strukturkonferenz durchführen, die „Innovationsregion Rheinisches Revier“ dafür nutzen und die Fläche des nicht mehr benötigten Kraftwerks Frimmersdorf für die Ansiedlung von umweltfreundlichem Gewerbe herrichten.
Carsten Thiel (UWG): Der Aktionismus der jetzigen Landesregierung ist nicht nachvollziehbar. Bevor man Überlegungen anstellt, die Braunkohleförderung zurückzufahren, muss erstmal eine Ersatzversorgung zu annehmbaren Bedingungen sichergestellt sein. Eine wichtige Frage ist u.a. die Speicherung. Wir vertreten die Auffassung, dass die vorhandenen Kohlekraftwerke auf den neuesten Stand gebracht werden müssen, damit diese effizient sind und die Umwelt mehr schonen.
Wie kann der Kreis seine Kommunen finanziell weiter entlasten und ihnen politische Gestaltungsfreiheit zurückgeben?Dieter Welsink (CDU): Der Kreis entlastet die Kommunen bereits in erheblichem Maße. So senkt der Doppelhaushalt 2014/2015 die Kreisumlage von 40,9 auf 39,8 Prozent – dieses Jahr sogar auf 39,6 Prozent bei gleichzeitiger Entschuldung. Dagegen macht die rot-grüne Landesregierung das Gegenteil: Sie überträgt den Kommunen immer neue Aufgaben, enthält ihnen gleichzeitig finanzielle Ressourcen vor und beschränkt ihre politische Gestaltungsfreiheit mit immer neuer Bürokratie.
Rainer Thiel (SPD): Die Kreisumlage ist der höchste Belastungsposten unserer Städte und Gemeinden. Darauf muss der Kreis Rücksicht nehmen. Der Kreis leistet sich Luxus, den Kommunen verordnete er Sparsamkeit und das vor allem bei den „freiwilligen“ Aufgaben. Der Kreis entschuldet sich, bei den Kommunen wachsen die Schulden. Sparen, Aufgabenkritik, Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung – das ist Kreisaufgabe. Es gilt: Sparsamer Kreis – starke Kommunen.
Bijan Djir-Sarai (FDP): Durch eine niedrige und planbare Kreisumlage. Erreichbar u.a. durch weiteren kontinuierlichen Schuldenabbau und damit Senkung der Zinsbelastung. Weiterhin sollte die interkommunale Zusammenarbeit zwischen den Städten und Gemeinden untereinander und dem Kreis in allen Bereichen, nicht nur in der Verwaltung, gestärkt werden, um Kosten einzusparen und Einnahmen zu generieren (Stichwort: Interkommunale Gewerbegebiete).
Erhard Demmer (Grüne): Der Rhein-Kreis darf sich bei einer finanziellen Notsituation nicht auf Kosten der Kommunen weiter entschulden, sondern muss solidarisch die Höhe der Kreisumlage als Entlastungsinstrument nutzen und sich zudem dafür einsetzen, dass der Bund zu 100 Prozent die von ihm beschlossenen Leistungen finanziert. Auch eine konsequente Aufgabenkritik steht an. Der Landrat hat bis heute die groß angekündigten Einsparungen im IT-Bereich nicht verwirklicht.
Carsten Thiel (UWG): Kreis und Kommunen müssen die Zusammenarbeit ausbauen! Dort gibt es noch erhebliches Einsparpotenzial wie z.B. eine Kreiskasse anstatt vieler Stadtkassen oder eine Verwaltung für alle Musikschulen. Wir sind gegen Luxusprojekte wie das Kreisarchiv in Zons. Eine Zukunftsvision für uns ist, dass sich der Kreis über Realsteuerhebesetze finanziert und die Kreisumlage abgeschafft wird. Der Kreis darf sich nicht auf Kosten der Kommunen entschulden.
An der Wirtschaftsförderung des Kreises entzündet sich regelmäßig Kritik: Welche Aufgaben haben aus Kreisebene Vorrang und was ist verzichtbar?Dieter Welsink (CDU): Berechtigte Kritik an der Wirtschaftsförderung des Kreises ist unbekannt. Unabhängige Experten loben die erfolgreiche Wirtschaftsförderung. Davon zeugen das Zertifikat „Mittelstandsfreundliche Kommunalverwaltung“ sowie der Preis „Kommune des Jahres 2013“. Künftige Schwerpunkte sind Gründungsoffensiven, der Ausbau internationaler Kontakte, die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Region wie auch der Gesundheits- und Tourismusbereich.
Rainer Thiel (SPD): Statt Dienstreisen in alle Welt – China, Japan, Amerika, Brasilien, Kanada, Vietnam, Türkei, usw. – um die Wirtschaft vor Ort kümmern. Statt Golfen mit Boris Becker, z.B. der Wirtschaft helfen, europäische Fördermittel zu bekommen. Beratungsangebote zu Themen der Energiewende oder zu Klimaschutz und Klimaanpassung fehlen komplett. Um Ausbildungsplätze und Weiterbildung kümmern. Vor Ort gibt es viel zu tun.
Bijan Djir-Sarai (FDP): Die Kreiswirtschaftsförderung darf nicht in Konkurrenz zu den städtischen Wirtschaftsförderern stehen, sondern muss diese unterstützen und Aufgaben übernehmen, die von den Kommunen nicht erbracht werden können und für den gesamten Kreis von Nutzen sind. Dazu zählt z.B. die überregionale Präsentation der kreisweiten Gewerbeflächen auf Messen; erster Ansprechpartner sein und Lotsenfunktion bei Unternehmensneuansiedlungen.
Erhard Demmer (Grüne): Oberstes Ziel aller Wirtschaftsfördermaßnahmen sind Erhalt und Schaffung von nachhaltigen Arbeitsplätzen in innovativen, vor allem kleinen und mittleren Unternehmen, mit Schwerpunkt europäischer Binnenmarkt. Die Kontakte zu Hochschulen und Forschung im weiteren regionalen Umkreis müssen ausgeweitet, die Qualifizierungspotenziale der Unternehmen unterstützt und Programme zur Förderung von Frauen und Beruf aktiv umgesetzt werden.
Carsten Thiel (UWG): Wirtschaftsförderung 2.0 ist Netzwerkmanagement. Wirtschaftsförderer sind immer mehr die Manager eines Beziehungsnetzwerkes, das weit über die Grenzen der öffentlichen Verwaltung reicht. Die Pflege von Netzwerken aus Firmen, Forschung und politischen Ebenen sowie anderen Kommunen ist deshalb die größte Herausforderung der Wirtschaftsförderung der Zukunft, und daher müssen alle Wirtschaftsförderer im Kreis zusammenarbeiten.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen im Rhein-Kreis stagniert. Was ist zu tun, um wieder mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen?Dieter Welsink (CDU): Dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen bei guter Konjunktur und in Zeiten des Fachkräftemangels stagniert, ist nicht hinnehmbar. Der Kreis stellt 2014/15 für jugendliche Langzeitarbeitslose je 200 000 Euro bereit, um sie auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu begleiten. Gleichzeitig wollen wir unsere Berufsbildungszentren weiter ausbauen. Die BA fordert zu Recht weniger Bürokratie für die Jobcenter sowie mehr Mithilfe der Betroffenen.
Rainer Thiel (SPD): Die Entwicklung hier ist schlechter als im Bund und im Land. Das hat Gründe. Der Kreis scheut die Mühen, die der Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit mit sich bringt. So hat er die Fa. „Dienstbar“ lieber verkauft, statt sie zu nutzen. Der Kreis ist zwar zuständig, aber zu weit weg von den Menschen. Passgenaue Beratung und Förderung mit Beschäftigungsprojekten verbinden. Dazu gehört auch Klinkenputzen bei unseren Firmen.
Bijan Djir-Sarai (FDP): Spezielle Qualifizierungs- und Fortbildungsangebote für junge Menschen ohne Ausbildung und Ältere ohne Beschäftigung (Generation 50+). Wichtig ist dabei, die Einbeziehung der Unternehmen, Institutionen und Verbände vor Ort, damit die Ausbildung auch zum tatsächlichen Personalbedarf passt. Kinderbetreuungsplätze und Teilzeitausbildung für Alleinerziehende und junge Familien schaffen, um den (Wieder-)Einstieg in den Beruf zu ermöglichen.
Erhard Demmer (Grüne): Das Jobcenter muss –vom Rhein-Kreis Neuss finanziell gut ausgestattet –Langzeitarbeitslose aller Altersgruppen durch intensive Begleitung mit qualifizierten Maßnahmen wieder in bezahlte Arbeit bringen. Dies muss, wie von Arbeitsagentur und Landkreistag formuliert, modellhaft, von neuesten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen ausgehen.
Carsten Thiel (UWG): Unsere Forderung, dass das Jobcenter andere Schwerpunkte setzen muss, damit die Langzeitarbeitslosen besser vermittelt werden, wird jetzt auch von der Verwaltung gem. Herrn Steinmetz unterstützt. Es müssen mehr Mittel in die Eingliederungshilfen und weniger in die Personalkosten investiert werden. Die Kundenfreundlichkeit muss verbessert werden, dazu zählt auch die direkte Erreichbarkeit des Sachbearbeiters und somit die Abschaffung der Telefonhotline.
Der Kreis arbeitet an einem Inklusionskonzept zum gemeinsamen Leben, Lernen und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung. Sind die betroffenen Institutionen, vor allem die Schulen, genügend vorbereitet und auch finanziell in der Lage, die Anforderungen zu erfüllen?Dieter Welsink (CDU): Der Kreis hat bereits ein Inklusionskonzept verabschiedet und arbeitet gerade an dessen Umsetzung. Anders als die Landesregierung wollen wir die Inklusion jedoch nicht jedem Betroffenen aufzwingen, sondern stellen die Wahlfreiheit zwischen Förder- und Regelschule in den Vordergrund. Im Rahmen des inklusiven Unterrichts erwarten wir von der Landesregierung, dass sie die Schulen mit ausreichend qualifizierten Lehrkräften ausstattet.
Rainer Thiel (SPD): 2008 trat die UN Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung in Kraft. Alle wissen also um diese wichtige Aufgabe und können sich darauf einstellen und vorbereiten. Das Inklusionskonzept des Kreises ist durchaus geeignet, Verbände, Vereine, Einrichtungen und Verantwortliche aus Städten und Gemeinden zusammen zu bringen. Das Land unterstützt die Kommunen mit 175 Mio. Euro. Es geht aber nicht nur um Geld, man muss auch wollen.
Bijan Djir-Sarai (FDP): Mit dem Inklusionskonzept wurde eine sehr gute Grundlage für ein inklusives Zusammenleben im Kreis geschaffen. Jetzt gilt es die Punkte konkret ins tägliche Leben umzusetzen. Die Kosten im sozialen Bereich sind enorm. Die Kommunen sind daher dringend auf Hilfe von Bund und Land angewiesen. Gerade im Bereich der schulischen Inklusion steht das Land in der Verpflichtung und muss zu seiner Verantwortung stehen, die Kosten zu übernehmen.
Erhard Demmer (Grüne): Das Land wird die Kommunen in den nächsten fünf Jahren mit insgesamt 175 Millionen Euro für bauliche Maßnahmen und für nichtlehrendes Personal zusätzlich zur Zusage, bis zum Schuljahr 2017/18 3215 zusätzliche Lehrerstellen zu schaffen, unterstützen. Damit investiert das Land NRW bis 2017 mit Personalmitteln, Studien- und Fortbildungskapazitäten sowie der direkten Schulträgerunterstützung mehr als eine Milliarde Euro in den Inklusionsprozess.
Carsten Thiel (UWG): Die Schulen brauchen dringend mehr Lehrer, Sozial- und Sonderpädagogen und dementsprechend mehr finanzielle Unterstützung. Ohne diese Maßnahme droht die Inklusion zu scheitern. Die politisch Verantwortlichen müssen durch Argumente und öffentlichen Druck zu der Erkenntnis gebracht werden, dass die Inklusion eine sehr anspruchsvolle Schulreform ist. Wenn wir nicht endlich die Frage klären, was uns das Menschenrecht auf Inklusion wert ist, wird sie in der Fläche nicht erfolgreich sein!