Krimi-Autor Theodor J. Reisdorf lebt an der Küste Tee und Kluntjes zu jedem Mord

Sie heißen Ihno, Tido, Ubbo, Theda oder Rena - die Vornamen der Buchhelden in den Krimis von Theodor J. Reisdorf sind für rheinische Ohren und Augen doch sehr gewöhnungsbedürftig, aber zumeist findet sich irgendwo in den mehreren hundert Seiten umfassenden Taschenbüchern ein Name, der schneller über die Lippen kommt: Jupp Leydecker etwa, der bei der "Niederrheinischen Tageszeitung" arbeitet und zur "Mörderischen Friesenhochzeit" einen entscheidenen Hinweis geben kann ...

Immer wieder schafft der 66-jährige Autor in seinen Romanen den Spagat zwischen alter und neuer Heimat: 1935 wurde Reisdorf in Neuss, genauer in Uedesheim, geboren, seit Anfang der 70er Jahre lebt er in Ostfriesland; so spielen zwar all seine Krimis an der Küste oder auf den Inseln, aber irgendwo taucht immer wieder ein Fingerzeig auf seine rheinische Herkunft auf: Da wohnt der Sohn des Ermordeten im "Haus Uedesheim", oder der Mann einer Zeugin weilt gerade zur Montage in Neuss. Und wer sich mit dem heute in Berum lebenden Wahlostfriesen unterhält, merkt sehr schnell, dass das mehr ist als eine Attitüde: Der rheinische Ton ist bei ihm noch immer herauszuhören; zudem kommt er immer wieder zu Besuchen zurück.

Wie kommt ein ehemaliger Berufsschullehrer zu den Weihen eines sich gut verkaufenden Krimi-Autors? Ein Schlüsselerlebnis ist für Reisdorf der "Jerry-Cotton-Preis" gewesen, für den man sich vor gut 20 Jahren mit einer Geschichte bewerben konnte. Eigentlich hatte Reisdorf zwar einmal daran gedacht, ein Kinderbuch zu schreiben - schließlich waren seine beide Söhne immer ganz begeistert von seinen erfundenen Geschichten gewesen -, aber gut, nun wurde es eben ein Krimi. "Leute, Land und Leichen" heiß sein Erstling; nach "Inselschönheit", "Jadedistel" und "Der Mord machte die Musik" folgten 13 weitere Bücher. Der jüngste Titel "Mörderische Friesenhochzeit" führt gar bis nach Polen; ein anderer, "Tödliche Teestunde", wurde für den Hamburger "Tatort" noch mit Manfred Krug und Charles Brauer 1996 als "Mord hinterm Deich" verfilmt.

Mit Leichen spart der Autor, der in jungen Jahren durch die halbe Welt gereist ist, zwar nicht gerade, aber dass seine Romane vor Blut triefen, kann man sicher nicht behaupten. Die Geschichten lesen sich locker und unkompliziert. Klassisch aufgebaut immer nach dem Motto "Wer war es?", und manchmal ahnt man schon früh, wer der Täter sein könnte, manchmal braucht es etwas länger. Auch der Rahmen der Geschichte ist klassisch, nämlich klassisch friesisch: Oft genug kommen erst einmal Tee, Stövchen und Kluntjes auf den Tisch, bevor die Kommissare ans Eingemachte gehen. Und selbst dann wissen sie sich zu benehmen, wie es der Rheinländer von einem Ostfriesen erwartet: bedächtig und gemütlich, aber äußerst hartnäckig.

Mit seinem kantigen Gesicht, dem hellen kurzgeschorenen Haarschopf und dem buschigen Schnauzer unter der Nase macht Reisdorf selbst den Eindruck eines typischen Küstenbewohners, den so leicht nichts aus der Ruhe bringen kann. Tagsüber führt er das Leben eines Pensionärs, macht Spaziergänge zum Deich oder in den Wald. Doch am Abend, wenn für die Nachbarn der geruhsame Teil des Tages vor dem Fernseher oder in der Dorfkneipe beginnt, wird Reisdorf geschäftig: Dann zieht er sich in seine Arbeitszimmer zurück und schreibt an seinen Friesenkrimis.

Von Reisdorfs erstem Buch (1982), das in der Kleinstadt Esens spielt und von dem Mord an der Direktorin des dortigen Gymnasiums handelt, fühlten sich viele Einwohner des kleinen Ortes auf den Schlips getreten, meinten sich in der einen oder anderen Figur des Romans wiederzuerkennen. Doch vor Ärgernissen dieser Art ist wohl kein Autor gefeit, der in seinen Arbeiten Wert auf Lokalkolorit legt, allerdings entstehen Reisdorfs Buchhelden heute eher aus Sammelbildern von Menschen, die er bei diversen Gelegenheiten kennen gelernt oder beobachtet hat. So wird man in der NGZ-Redaktion wohl vergeblich nach einem Redakteur vom Typ Jupp Leydeckers suchen, der mit seiner (heimlichen) Freundin Helma ein Schäferstündchen auf der Insel Norderney verbracht hat und dabei zufällig ein wichtiger Zeuge im Mordfall Franz Uhlendorf wurde ... Helga Bittner

(NGZ)
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