Lokalsport Wirkliches Glück ist der perfekte Schuss

Neuss · Die Neusserin Corny Schwarz nimmt mit ihrem Langbogen ab Montag an den Weltmeisterschaften im italienischen Castellina teil.

Keine andere Waffe des Mittelalters war schneller, präziser und tödlicher als der englische Langbogen. Dem gewaltigen Pfeilhagel der gefürchteten Krieger, Yeomen genannt, hatten selbst berittene und schwer gepanzerte Gegner nichts entgegen zu setzen. Auf dem Gelände des Hundesportvereins DVG Neuss-Rheinallee, wo die Präzisionsschützen des Eisenbahnersportvereins (ESV) Neuss als BSR eine neue Heimat gefunden haben, geht es freilich extrem friedlich zu. "Der Langbogen ist, genau wie alle anderen Bogen, nach dem deutschen Waffengesetz keine Schusswaffe", stellt Vorsitzender Addi Holzenleuchter, klar. Auch Kinder und Jugendliche können sich auf einem gesicherten Areal des rund 17.000 Quadratmeter großen Grundstücks zwischen Sporthafen und Südbrücke mit Pfeil und Bogen versuchen, regelmäßig besuchen Schülergruppen den Verein.

Trotzdem ist der BSR (Bogen-Sport Rheinallee) eine recht exclusive Gesellschaft, mehr als 15 aktive Mitglieder hat der kleine Verein nicht. Corny Schwarz entdeckte erst vor vier Jahren ihre Liebe zum Bowhunting. Mittlerweile ist die Neusserin so gut, dass sie an den gestern im Ippodromo del Visarno in Florenz eröffneten Weltmeisterschaften teilnimmt. Dafür hat sie in jedem Training mindestens 100 Pfeile in 30 bis 70 Meter entfernte Ziele gesetzt - echte Schwerstarbeit bei einem Zuggewicht von 18 Kilogramm. Ein perfekt auf den Weg gebrachter Pfeil schlägt mit Tempo 180 ein. Um die Jagdsituation möglich naturgetreu abzubilden, schießen die Schützen durch Astgabeln hindurch, bergauf- und bergab, im Stehen, knieend oder sogar liegend. Ziel ist es, den Pfeil in das "Kill" der Tierfiguren aus Schaumstoff zu platzieren, also in den Bereich, wo Herz und Lunge liegen würden. Das gibt 20 Punkte. Hört sich leicht an, ist es aber nicht, denn "erlegt" werden eben nicht nur relativ große Bären, sondern auch stilisierte Schildkröten und sogar Fische. Und weil es sich um einen Freiluftsport handelt, sollten die Jäger auch gut zu Fuß sein. Zu einem Parcours gehören in der Regel etwa 28 Ziele, auf die jeweils maximal drei Pfeile geschossen werden dürfen. "Da können pro Parcours mehr als zehn Kilometer zusammenkommen", sagt Corny Schwarz, die ihre Fähigkeiten im so abwechslungsreichen 3D-Bogenschießen zudem beim BSC Düsseldorf in Hubbelrath verfeinert.

Geld ist mit ihrer Leidenschaft natürlich nicht zu machen. Im Gegenteil: Weil ihr Langbogen nicht den bei der Weltmeisterschaft geltenden Vorgaben entsprach, musste sogar extra ein neues Gerät her. Kostenpunkt: 500 Euro. "Dabei hatte ich noch Glück, konnte den eigentlich für einen Kollegen angefertigten Bogen übernehmen", sagt sie. Von entscheidender Bedeutung sei darüber hinaus, den dazu passenden Pfeil zu finden, fügt sie an. "Es heißt: Ein guter Schütze kann mit jedem Bogen schießen, aber mit einem falschen Pfeil tut sich auch der beste Schütze schwer."

Doch das so archaisch wirkende Bogenschießen ist viel mehr als Sport: Pfeil und Bogen werden auch zur Behandlung physischer und psychischer Beschwerden eingesetzt. Wenn der Bogen gespannt wird, der Pfeil die Sehne mit großer Wucht verlässt und sich einen Augenblick später in die Zielscheibe bohrt, dann empfinden viele Schützen eine Art Glücksgefühl. Weil die Muskulatur gestärkt und der aufrechte Stand permanent eingeübt wird, profitieren Rücken und Wirbelsäule. Zudem verbessert Bogenschießen die Wahrnehmungsfähigkeit und Konzentration. Es fördert die Entspannung, schützt Menschen damit vor Stress. Herzblut, Konzentration und Ehrgeiz - Corny Schwarz erinnert das ganz stark an ihre zweite Passion: das Geigespielen. Sie ist Mitglied der Düsseldorfer Band Korsakow, die vor kurzem ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert hat. Ihren Oberarm ziert ein selbstentworfenes Tattoo, das Geige und (Lang-)Bogen in perfekter Harmonie vereint. Ein klares Statement. "Diese beiden Sachen würde ich aus meiner brennenden Wohnung retten", sagt sie bestimmt.

Mit dieser Entschlossenheit ist die Neusserin auch ihr WM-Debüt angegangen: Schon eine Woche vorher war sie mit Freunden ins in den Chiemgauer Alpen gelegene Heutal gefahren, eine Art Trainingslager. Von dort brach sie am Freitag nach Italien auf. Die Titelkämpfe in Castellina, eine rund 35 Kilometer südlich von Florenz gelegene Gemeinde in der Provinz Siena, beginnen heute Morgen, wenn Busse die 1600 Teilnehmer zu den Wettkampfstätten im fast 400 Hektar großen Naturschutzgebiet im Herzen der Berge von Chianti bringen. Obwohl es ihr nicht am nötigen Mut fehlt, ihr WM-Ziel behält sie lieber für sich.

(NGZ)
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