Lokalsport Vorsicht vor der Dopingfalle

Das Erstaunen, ja teilweise Entsetzen war den meisten der rund 100 Zuhörer im S-Forum der Sparkasse Neuss ins Gesicht geschrieben. Sie waren am Montagabend der Einladung des Stadtsportverbandes (SSV) und des Kreissportbundes (KSB) gefolgt, die gemeinsam einen Diskussionsabend zum Thema "Doping im Freizeit- und Breitensport" organisiert hatten.

 Die Besucher im Sparkassen-Forum mussten ihr Kommen nicht bereuen. Sie hörten gebannt denn Vorträgen der drei Referenten zum Thema „Doping im Freizeit- und Breitensport“ zu.

Die Besucher im Sparkassen-Forum mussten ihr Kommen nicht bereuen. Sie hörten gebannt denn Vorträgen der drei Referenten zum Thema „Doping im Freizeit- und Breitensport“ zu.

Foto: NGZ-Online

Doch bevor es ans Diskutieren ging, führten drei hochkarätige Referenten - übrigens alle mit Neuss-Bezug - mit äußerst spannenden Vorträgen in die Thematik ein. Und was Dopingfahnder Dr. Hans Geyer, Sportjournalist und Dopingexperte Ralf Meutgens und Sportwissenschaftler und Internetexperte Dr. Sascha Severin da so offenbarten, stimmte schon nachdenklich.

Denn das inzwischen allgegenwärtige Doping bei den Profiathleten - so die Essenz der Vorträge - ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit, auch in vielen Bereichen des Breitensports werden gesundheitsgefährdende Substanzen zur Leistungsförderung eingeschmissen und noch schlimmer: Viele Menschen - auch ohne sportliche Ambitionen - dopen nahezu täglich, ohne davon zu wissen.

Denn in einigen so genannten Nahrungsergänzungsmitteln finden sich Spuren von Anabolika, obwohl davon nichts auf den Verpackungen zu lesen ist. Das ist ein Fachgebiet des in Neuss wohnenden Dr. Hans Geyer, der stellvertretender Leiter des Instituts für Biochemie an der Sporthochschule Köln und Geschäftsführer des angegliederten Zentrums für präventive Dopingforschung ist. Ende des vergangenen Jahrzehnts wurden Geyer und seine Mitarbeiter erstmals mit dem Problem konfrontiert.

Untersuchungen aus den Jahren 2001 und 2002, bei denen 634 Nahrungsergänzungsmittel aus 13 Ländern analysiert wurden, ergaben, dass 15 Prozent Anabolika enthielten, was von außen nicht zu erkennen war. "Das waren zwar Mengen, die keine leistungssteigernde Wirkung haben, die aber zu einem positiven Dopingtest geführt hätten", erklärte Geyer. Immerhin noch knapp zwölf Prozent der Produkte, die in Deutschland eingekauft wurden, wiesen Verunreinigungen auf.

Ende 2005 nahmen die Forscher dann auch normale Vitaminpillen und Tabletten mit Mineralstoffen unter die Lupe, wie sie in deutschen Supermärkten und Drogerien erhältlich sind - und auch dort wurden sie fündig. Die Dopingfalle kann überall zuschnappen. "Gerade für junge Athleten ist das eine Katastrophe. Während Nahrungsergänzungsmittel im Alltag meist überflüssig sind, sind sie in manchen Sportarten einfach sinnvoll. Und wer dann an verfälschte Produkte gerät, dem droht ein positiver Test mit all seinen negativen Folgen", warnte Geyer.

Als Gründe für die Verunreinigungen nannte Geyer, dass in manchen Ländern bei uns verbotene Anabolika als Leistungsförderer zugelassen sind. Wenn dort auf denselben Maschinen nun auch Vitamintabletten für den deutschen Markt produziert werden, kommt es zu Kontaminationen. Oder aber es werden vorher bewusst Produktfälschungen vorgenommen, um die Wirksamkeit zu erhöhen. So werden beispielsweise Schlankheitspillen angeboten, die das Stimulanzmittel Sibutramin enthalten. Das führt zu kurzfristigem Gewichtsverlust, birgt aber auch immense gesundheitliche Risiken.

Und das alles ist frei übers Internet erhältlich, auch für Kinder und Jugendliche. Im weltweiten Datennetz spielt sich mittlerweile auch der Hauptteil des Schwarzmarktes für Dopingsubstanzen ab. "Dadurch gibt es kaum noch eine Hemmschwelle, die Preise sind extrem niedrig und die Beratung gibt es kostenlos mit dazu", erklärte der ehemalige Bahnrad-Nationalfahrer Dr. Sascha Severin, Internetexperte im Presseamt der Stadt Neuss. Abnehmer gibt es jedenfalls genug.

Denn Journalist und Dopingexperte Ralf Meutgens, der bis 1996 in Neuss lebte, wusste zu berichten, dass die Anzahl der Anabolikakonsumenten im Freizeitsport in Deutschland offiziell auf 200 000 geschätzt wird. Die Dunkelziffer liegt vermutlich noch wesentlich höher. Jörg Börjesson, der als ehemaliger Bodybuilder einschlägige Erfahrungen mit Anabolika gemacht hat und sich heute im Anti-Dopingkampf engagiert, spricht von 1 000 000 Breitensportlern.

"Das Problem ist nicht mehr nur auf Randgruppen beschränkt. Es ist en vogue, sich auf diese Weise fit zu halten", erklärte Meutgens, der noch auf eine Studie zum Gebrauch leistungsfördernder Stimulantien in Schulen hinwies, in der 93 Prozent der Probanden Doping im Sport ablehnten, während viele angaben, schon mal zu aufputschenden Mitteln gegriffen zu haben. Das lässt darauf schließen, dass der Gebrauch von Anregungsmitteln in den meisten Fällen nicht als Doping wahrgenommen wird.

"Es stellt sich einfach die Frage, ob der Sport besser sein kann als die Gesellschaft", brachte Meutgens das Thema Doping in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext. Schließlich trinken nach Angaben der Bundesregierung beispielsweise 10 Millionen Deutsche Alkohol in riskanter Weise und 1,4 bis 1,9 Millionen sind medikamentenabhängig.

Am Mittwoch in der NGZ:

Zur Sache Umdenken, bitte!

(NGZ)
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