Lokalsport Vom Mitläufer zum Torjäger

Nur Nationalspieler Lars Kaufmann hat in dieser Saison mehr Feldtore erzielt in der Handball-Bundesliga als Christoph Schindler. Dessen zweiter Platz in der Rangliste der Torjäger war den NGZ-Lesern die Wahl zum "Sportler des Monats Dezember" wert.

Als Christoph Schindler im November 2006 aus Balingen zum TSV Dormagen kam, stand seine Handball-Karriere auf der Kippe. Dem THW Kiel, der ihn zwei Jahre zuvor mit einem Zweitspielrecht ausgestattet hatte, war der damals 23-Jährige nicht gut genug für seinen Kader der Superstars. Bei der HBW Balingen/Weilstetten, wohin er vor der Saison 2006/07 vom TSV Altenholz gewechselt war, fühlte er sich nicht recht wohl, bekam wenig Spielanteile. Und auch in Dormagen brauchte der schlaksige Halblinke lange, um Fuß zu fassen — Trainer Kai Wandschneider setzte ihn meist nur in der Abwehr ein.

Das sieht heute ganz anders aus. Ohne Christoph Schindler dürften sich die Dormagener im zweiten Jahr nach dem Wiederaufstieg in die Bundesliga keine Hoffnungen auf den Klassenerhalt machen. Aus dem einstigen Mitläufer ist ein "Star" in der Mannschaft ohne große Namen geworden, einer, der in allen gegnerischen Hallenheften mit einer gehörigen Portion Respekt versehen auftaucht.

Kein Wunder: Mit 105 Treffern ist Christoph Schindler der zweitbeste Feldtorschütze der Handball-Bundesliga. Nur der Göppinger Lars Kaufmann, von Bundestrainer Heiner Brand ins aktuelle Aufgebot für die am Dienstag beginnende Europameisterschaft berufen, hat mehr Treffer aus dem Spiel heraus (124) erzielt als der Dormagener. Schindler trifft so gut, dass er selbst in der Gesamtaufstellung (inklusive Siebenmetern) auf Rang vier zu finden ist — besser als Michael Kraus (105/31), besser als Sven-Sören Christophersen (101/18), besser als Uwe Gensheimer (89/46), besser als Holger Glandorf (88), die alle von Brand ins aktuell auf 16 Namen reduzierte Aufgebot berufen wurden.

Warum der Bundestrainer nicht im Entferntesten an den Wahl-Dormagener gedacht hat, leuchtet zumindest dessen Heimtrainer ein: "Weil Christoph kein Shooter ist." Will heißen: Schindler erzielt seine Tore nicht mit Gewaltwürfen über gegnerische Abwehrreihen hinweg. Weil er mit 194 Zentimetern für einen Rückraumspieler eher schmächtig ist, sucht er sich seine Lücken in den Bollwerken anderswo: Von seinen verdeckt angesetzten Schlagwürfen aus der Hüfte träumen Torhüter des Nachts.

Schindlers Karrieresprung ist um so bemerkenswerter, als eigentlich das Gegenteil zu befürchten stand, nachdem der ehemalige BWL-Student vor anderthalb Jahren eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann bei den Neusser RheinLand-Versicherungen antrat. Schließlich sind Beruf und Spitzensport oft nur schwer unter einen Hut zu bringen. Schindler scheint die Quadratur dieses Kreises zu gelingen: "Er ist einer unseren besten Auszubildenden", lobt RheinLand-Vorstand Christoph Buchbender. Dass der Torjäger in der Neusser Zentrale arbeitet, hat in den Augen seines Chefs einen weiteren Vorteil: "Immer mehr unserer Mitarbeiter interessieren sich für und identifizieren sich mit dem Dormagener Handball." Nicht schlecht, schließlich zählt die RheinLand zu den Hauptsponsoren des Bundesligisten, schließlich ziert dessen Tochter "Credit Life" die Trikotbrust.

Buchbender ist so begeistert von der Entwicklung, dass er sich eine ähnliche "duale Karriere" auch für andere Handballer vorstellen könnte. Zumal Christoph Schindler überzeugt ist, dass zwischen beruflicher Karriere und sportlichem Höhenflug ein ursächlicher Zusammenhang besteht: "Es tut gut, wenn man nicht bloß Handball im Kopf hat." Besonders in der angespannten Lage, in der sich der TSV wirtschaftlich wie sportlich befindet: "Wenn man da mit Handball aufsteht und mit Handball wieder zu Bett geht, macht man sich doch nur verrückt", sagt Schindler.

Den NGZ-Lesern war diese Entwicklung die Wahl zum "Sportler des Monats Dezember" wert. Und dabei hat die zweite Saisonhälfte gerade erst angefangen.

(RP)
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