Korschenbroich Trennende Worte

Korschenbroich · Korschenbroich Das persönliche Schicksal von Lutz Rathenow ist ein trauriges Kapitel deutscher Geschichte. Und es ist das Schicksal eines Menschen, der das Pech hatte, auf der falschen Seite der Mauer geboren worden zu sein.

 Lutz Rathenow eingerahmt vom Korschenbroicher Bürgermeister Heinz Josef Dick und dem stellvertretenden Landrat Dr. Hans-Ulrich Klose (l.) im Festsaal der Alten Schule.

Lutz Rathenow eingerahmt vom Korschenbroicher Bürgermeister Heinz Josef Dick und dem stellvertretenden Landrat Dr. Hans-Ulrich Klose (l.) im Festsaal der Alten Schule.

Foto: Hans Jazyk

Rathenow, Jahrgang 1952, geboren in Jena, verhaftet 1977 und 1980, hatte als oppositioneller Schriftsteller der DDR ein Ziel: das Ende der kommunistischen Diktatur.

18 Jahre nach dem Fall der Mauer war Rathenow jetzt als Festredner der offiziellen Korschenbroicher Feierstunde zum Tag der Deutschen Einheit geladen. Der Titel seines Vortrags: 18 Jahre Arbeit an der deutschen Einheit - Erwartungen, Erfolge, Probleme. Tenor des Vortrags: 18 Jahre nach dem Mauerfall verharrt der Ostdeutsche in einem "verklärten Autismus".

Korschenbroichs Bürgermeister Heinz Josef Dick war in seinen eröffnenden Worten bemüht, die "Einheit" im Namen des deutschen Nationalfeiertags in den Vordergrund zu stellen. "Wir sollten die Einheit als Chance verstehen", gab Dick tapfer die Parole für den Festakt aus, stolperte dann gleich mehrfach über sein Redemanuskript und taufte den ehemaligen Außenminister Genscher kurzer Hand in Heinz-Dietrich um.

Dann Rathenow: bärtig, launig, zungenfertig, meinungsmachend. Sein Thema: der Ostdeutsche an und für sich. Ein rückwärtsgewandtes Wesen, voller Minderwertigkeitskomplexe und daher in einer "Meckerkultur" verharrend.

Einstimmiges Nicken im Korschenbroicher Publikum: Genau so stellt man sich westlich der Elbe den Durchschnitts-Ossi vor. "Wir erleben ein eigentümliches Spannungsfeld zwischen Beharren und Beschleunigung", so Rathenow.

Beharren dort, wo der bundesdeutsche Aufschwung nicht hinreicht. Beschleunigung bei jenen Menschen, die sich vom besseren System haben anstecken lassen und ihr Heil in der Flucht nach vorne suchen. Dazwischen nichts, ein schwarzes Loch im Weltbild Rathenows.

Er referiert gerne über die Unzulänglichkeiten seiner einstigen Mitbürger, die derweil an der virtuellen Auferstehung der DDR basteln, quasi ein Second-Life der Genossen.

Kopfschütteln im Korschenbroicher Publikum: Ja, haben die denn gar nichts gelernt? Natürlich nicht, vielmehr werde der Kalte Krieg in den Köpfen der Ostdeutschen weitergeführt, so Rathenow. Die Mentalität des Ostdeutschen sei geprägt von dem Bedürfnis, der Obrigkeit eins auszuwischen, Änderung ausgeschlossen.

Und dann gibt es da natürlich noch den "latenten Fremdenhass, der im Osten einfach größer ist". Die Ursachen dafür? Eben der Autismus des Ostdeutschen. "Man will für sich bleiben, in der DDR gab es ja auch keine Ausländer", doziert Rathenow.

Um die Charakterstudie des verquasten Ossis abzurunden, unterfüttert Rathenow seinen Vortrag mit persönlichen Erlebnissen. Begegnungen mit der Stasi, das Phlegma der nicht praktikablen Planwirtschaft. Wieder Nicken in den Sitzreihe: Ja, ja - das war alles schlimm damals.

Dieser Tage hat der Schauspieler Wolfgang Stumph (Jahrgang 1946, Geburtsort Wünschelburg/Schlesien) der FAZ ein Interview gegeben. Auch er hat sich zur Mentalität der Ostdeutschen geäußert, zum Heimatgefühl der ehemaligen DDR-Bevölkerung: "Wie jeder Mensch verspüre ich ein wenig Stolz auf meine Gegend, auf Sachsen.

Habt Verständnis, dass nicht 17 Millionen abgehauen sind." Vielleicht kommt Wolfgang Stumph ja mal nach Korschenbroich. Am Tag der "Einheit" - wäre passend.

(NGZ)
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