Korschenbroich Traditionen sorgen für Streit

Korschenbroich · Erneut beschwerte sich ein Anwohner beim Pfarramt über die Glocken von St. Andreas, beim Errichten einer Minister-Residenz entbrannte ein Nachbarschaftsstreit: Korschenbroich kämpft um sein Erbe.

 Verblassen die Traditionen in Korschenbroich? Noch kritisieren nur einzelne Bürger das Läuten der Kirchturmglocke – und die Schützenbräuche.

Verblassen die Traditionen in Korschenbroich? Noch kritisieren nur einzelne Bürger das Läuten der Kirchturmglocke – und die Schützenbräuche.

Foto: Ilgner

Immer stärker geraten uralte Traditionen in Korschenbroich unter Beschuss. Erst jüngst entschied sich die Kirchenleitung aufgrund der Beschwerde eines Anwohners, die Glocke von St. Andreas in der Nacht stumm zu schalten (die RP berichtete). Nun beklagte sich erneut ein Anwohner bei den Mitarbeitern des Pfarrbüros. Er fühlte sich vom liturgischen Glockengeläut beim Auszug der Trier-Pilger am frühen Morgen gestört. Doch nicht nur die Kirche, auch die Schützen sorgen sich um ihr Erbe: Wie jetzt bekannt wurde, entbrannte beim Errichten der Residenz von Sebastianer-Minister Stefan Schlösser am Vatertag ein Nachbarschaftsstreit.

"Ist Brauchtum Ballermann?"

"Die Stadt hat uns den Bau im Vorfeld genehmigt", erzählt Schlösser. "Um 11 Uhr fingen wir mit circa 20 Leuten an. Gegen 17 Uhr kam eine Nachbarin und warf uns vor, wir führten eine nicht genehmigte Veranstaltung durch. Sie drohte damit, wir würden noch von ihr hören." Gegen 18 Uhr kontrollierte die Polizei Schlösser und seine Freunde. "Wir haben die Musik etwas leiser gestellt, ansonsten gab es keine Beanstandungen." Am nächsten Morgen erhielt der Minister einen Anruf von der Stadt, die ihn auf die Rechtslage hinwies. "Die Nachbarin muss direkt bei der Verwaltung angerufen und sich nach der Genehmigung erkundigt haben." Stefan Schlösser bedauert den Vorfall. "Alle anderen Nachbarn feierten mit. Niemand beschwerte sich. Ich bin mit zehn Nachbarn, die ich vorher nicht kannte, jetzt per Du."

Telefonisch erreichte die Rheinische Post die Anwohnerin. Sie will namentlich nicht genannt werden. Die Kritik, die sie äußert, zielt sowohl auf die Person Schlössers wie auch mitten ins Herz des Brauchtums. Sie wolle keinen Krieg unter Nachbarn, betont sie. "Ich vermisse nur Stil und Benehmen: Herr Schlösser hätte uns vorher informieren sollen. Ich bin nicht die einzige Nachbarin, die sich über die Musik beschwert hat." Immer sei sie eine kritische Bürgerin gewesen. "Ich liebe Traditionen, doch unter der Fahne des Brauchtums werden heute Dinge verteidigt, die nichts mit dem Brauchtum zu tun haben: exzessives Trinken zum Beispiel. Oder aber ist Brauchtum inzwischen Ballermann?" Die Welt, so die Nachbarin, hätte sich in Korschenbroich auch durch die Zugezogenen gewandelt. "Das Brauchtum bedeutet insofern einen Rückschritt ins Mittelalter. Die meisten denken ähnlich. Nur fehlt ihnen der Mut, es offen zu sagen."

Nicht nur Sebastianer-Präsident Peter Schlösser ist bestürzt über die Kritik an jahrhundertealten Traditionen. "Es heißt nicht umsonst Unges Pengste, also ,Unser Pfingsten': Wir wollen mit allen Bürgern feiern." Auch Pfarrer Frank Josef van de Rieth bedauert die Entwicklung. "Die Kritik am Glockengeläut ist Ausdruck der Entfremdung von der eigenen Kultur", betont van de Rieth. "Doch in 2000 Jahren hat es niemand geschafft, die Kirche kaputtzumachen. Das wird auch heute niemandem gelingen — insbesondere da es nur Einzelne sind."

(NGZ/url)
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