Sport allgemein Sportvereine hoffen auf den Tag X

Neuss · Alfons Hörmann fürchtet einen wirtschaftlichen Schaden für den deutschen Sport in Milliardenhöhe. Die Sorgen, die den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Corona-Zeiten, umtreiben, können die Vereine an der Basis gut nachvollziehen. Die Turngemeinde Neuss ist ein Beispiel besonders Betroffener.

 Die Vielfalt ihres sportlichen Angebots demonstriert die Turngemeinde Neuss alljährlich Anfang Dezember bei ihrer „TG-Sportschau“. Seit dem 16. März ruhen jedoch alle Aktivitäten im mit 5613 Mitgliedern größten Sportverein in Neuss.

Die Vielfalt ihres sportlichen Angebots demonstriert die Turngemeinde Neuss alljährlich Anfang Dezember bei ihrer „TG-Sportschau“. Seit dem 16. März ruhen jedoch alle Aktivitäten im mit 5613 Mitgliedern größten Sportverein in Neuss.

Foto: Georg Salzburg(salz)/Salzburg, Georg (salz)

Klaus Ehren hält die Stellung an der Schorlemerstraße. Die Geschäftsstelle der Turngemeinde Neuss ist wie so viele Einrichtungen in diesen Tagen zwar für den Publikumsverkehr geschlossen, alle Vereinsaktivitäten ruhen seit dem 16. März. Trotzdem hat der Geschäftsführer genug zu tun. Ehren bereitet den mit 5613 Mitgliedern größten Neusser Sportverein darauf vor, irgendwann aus dem Ausnahmezustand, in den die Corona-Krise die 90.000 Sportvereine in Deutschland mit rund 27 Millionen Mitgliedern versetzt hat, in so etwas wie die Normalität zu überführen.

Wenn Normalität überhaupt noch möglich sein wird nach dem Tag X. Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), fürchtet wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe auf die deutsche Sportbewegung zukommen. Klaus Ehren kann diese Befürchtungen gut nachvollziehen. „Außer den Mitgliedsbeiträgen haben wir praktisch keine Einnahmen mehr,“ sagt der TG-Geschäftsführer. Denn ein nicht unerheblicher Teil des Vereinshaushalts wird durch Sportkurse finanziert, bei denen die Teilnehmer nicht zwangsläufig Vereinsmitglieder sein müssen. Bei der Turngemeinde reicht das Angebot von Aquajogging bis Zumba, umfasst Gesundheitsthemen wie Rückenfit und Wirbelsäulengymnastik, Trendsportarten wie Pilates und Tai Chi Chuan, aber auch eher Bodenständiges wie Badminton oder „Fit fürs Wandern.“ Gemeinsam ist allen Angeboten, dass sie seit dem 16. März aus dem Programm gestrichen sind.

 In Sachen Absagen hat Klaus Ehren Erfahrung: 2014 musste er den Sommernachtslauf absagen, aus dem vergleichsweise harmlosen Grund von Sturmschäden.

In Sachen Absagen hat Klaus Ehren Erfahrung: 2014 musste er den Sommernachtslauf absagen, aus dem vergleichsweise harmlosen Grund von Sturmschäden.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Besonders bemerkbar macht sich das de facto ausgesprochene „Sportverbot“ im Bereich der gesundheitlichen Rehabilitation. „Wir haben allein 600 Patienten im Reha-Bereich,“ rechnet Ehren vor. Für die zahlen die Krankenkassen einen Zuschuss von fünf Euro pro Patient pro Stunde. Bei zwei Wochenstunden – manche trainieren auch öfter – kommt da in einem halben Jahr schon ein sechsstelliger Betrag zusammen.

Der TG-Geschäftsführer hat in Sachen Reha-Sport aber nicht allein die wirtschaftliche Seite im Blick, sondern auch die gesundheitliche: „Die Reha-Patienten trainieren ja nicht nur zum Spaß, sondern aufgrund ärztlicher Verordnungen. Welche gesundheitlichen Folgen das hat, wenn sie jetzt für Wochen oder gar Monate mit ihrem Training aussetzen müssen, ist noch gar nicht abzusehen.“ Eine paradoxe Situation: Der Schutz vor einem Virus verursacht gesundheitliche Schäden in anderen Bereichen. Das sieht im Übrigen auch der DOSB so, der bereits vor dem jüngsten Gipfel von Bundesregierung und Länderchefs, auf dem die Kontaktbeschränkungen bis mindestens 3. Mai fortgeschrieben wurden, eine Lockerung des „Sportverbots“ forderte, damit „Menschen wieder in Bewegung kommen und dabei ihr Immunsystem stärken“ können.

Wie so viele aus dem organisierten Sport hofft Klaus Ehren, dass der nächste „Gipfel“ am 30. April eine solche Lockerung bringt, „damit wir am 4. Mai wieder starten können, zumindest in Teilbereichen.“ Die Turngemeinde sei auf einen Neustart vorbereitet, der Verein richte sich dabei streng an den „zehn Leitplanken“ aus, die der DOSB entwickelt hat (siehe Info-Kasten). Bei anhaltend schönem Wetter „versuchen wir, so viele Angebot wie möglich nach draußen zu verlegen,“ sagt Ehren. Der aber auch einen Trainingsbetrieb in der Halle unter Einhaltung der vom Robert-Koch-Institut herausgegebenen Empfehlungen für machbar hält: „Unsere Halle an der Schorlemerstraße hat 600 Quadratmeter Grundfläche. Dort könnten bis zu 15 Reha-Patienten gleichzeitig unter Einhaltung der Abstandsregeln trainieren.“ In anderen Disziplinen, vor allem den Kontaktsportarten, sei das sicherlich schwieriger, räumt der TG-Geschäftsführer ein, „aber im Judo kann man zum Beispiel Fallübungen machen ohne dem anderen zu nahe zu kommen.“

Eingeschränktes Training, findet Klaus Ehren, sei immer noch besser als Nichtstun. Auch da liegt er auf einer Wellenlänge mit Alfons Hörmann. „Menschen finden beim Sporttreiben einen Ausgleich in schwierigen Zeiten,“ heißt es in dem Positionspapier des DOSB, „soziale Bundingen werden trotz Wahrung der Distanz wieder aktiviert, Menschen können wieder selbstbestimmter ihr Leben gestalten.“

Ob das Angela Merkel und die Ministerpräsidenten auch so sehen? Eher ist zu erwarten, dass die Belange von 27 Millionen organisierten Sportlern in der Debatte um das Für und Wider von „Geisterspielen“ in der Fußball-Bundesliga untergehen. Auch die der 5613 Mitglieder der Turngemeinde Neuss.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort