Ringen Hund Yuki als Trainingspartner

Neuss · Ringerin Nina Hemmer bereitet sich auf das Qualifikationsturnier für Olympia vor.

 Auf die Matte darf Nina Hemmer (l.) wegen der Corona-Krise im Moment nicht, alle Hallen sind geschlossen. Das Stichwort heißt jetzt: Alternativtraining.

Auf die Matte darf Nina Hemmer (l.) wegen der Corona-Krise im Moment nicht, alle Hallen sind geschlossen. Das Stichwort heißt jetzt: Alternativtraining.

Foto: dpa/Kadir Caliskan

Eigentlich hätte Nina Hemmer am Mittwoch gemeinsam mit ihrer Teamkollegin Laura Mertens in der Maschine nach Budapest sitzen sollen. In der ungarischen Hauptstadt wollte sich die Ringerin des AC Ückerath in der Gewichtsklasse bis 53 Kilogramm das Ticket für die Olympischen Sommerspiele (24. Juli bis 9. August) in Tokio holen. Doch die 27-Jährige stieg nicht in den Flieger, sondern aufs Fahrrad und ging mit ihrem zweieinhalb Jahre alten Canilo-Rüden Yuki auf kurze Entdeckungstour durch Erfttal – die neue Heimat der Dormagenerin nach dem noch relativ frischen Umzug von Rommerskirchen nach Neuss.

Die intensive Beschäftigung mit dem an einen weißen Spitz erinnernden Energiebündel aus Japan (Yuki bedeutet Schnee) hilft Nina Hemmer, mal abzuschalten, denn ihr gewohntes Leben als Leistungssportlerin steht gerade ziemlich auf dem Kopf. Die Folgen der Corona-Pandemie haben auch die ehemalige Militär-Weltmeisterin voll erwischt. Seit Jahresbeginn war ihr gesamtes Tun und Handeln nur auf ein Ziel ausgerichtet gewesen: das europäische Qualifikationsturnier in Ungarn. Rastlos, immer auf Achse – Rom, Frankfurt/Oder, Freiburg, Kiew. Fast nie zu Hause: „Nur vier Tage im Januar und vier Tage im Februar“, sagt sie. „Ich habe sogar auf die Europameisterschaft verzichtet, um richtig heiß auf Budapest zu werden.“

Dann kam die Absage, kurz darauf der Aufschub – die „Euro-Quali“ soll jetzt Mitte Mai stattfinden, das ursprünglich am 30. April geplante Weltturnier um die letzten Fahrkarten in Sofia Anfang Juni. Das setzt die Sportsoldatin im „Home Office“, die sich jeden Morgen um Punkt 9.30 Uhr telefonisch bei ihrem Vorgesetzten in der Sportfördergruppe der Bundeswehr in Bruchsal melden muss, zusätzlich unter Stress. „Weil das Olympia-Ticket noch nicht safe ist, kann ich jetzt nicht runterfahren, muss weiter unter Spannung bleiben. Das ist sehr, sehr schwierig, denn eigentlich bin ich kurz vorm Platzen!“ Die kurze Erholungsphase nach Budapest hatte sie eigentlich nutzen wollen, um an der Technischen Hochschule Köln ihr Bachelorstudium „Soziale Arbeit“ voranzutreiben. „Ich hatte sogar ein Blockseminar gefunden, an dem ich auch tatsächlich teilnehmen kann.“ Doch dann schloss die Universität wegen Covid-19 ihre Pforten – genau wie das Ringerzentrum in Dormagen, was ihr mindestens bis zum 30. April eine unfreiwillige Grundlagenphase nur mit Laufen, Radfahren sowie Kraft-, Athletik- und Mentaltraining mitten im Wettkampfjahr beschert. „Von meinen Arbeitgeber, der Bundeswehr, gab’s die Info, es wäre illegal, wenn ich in diesem Zeitraum unsere Sporthalle betrete. Also bleibt mir gar keine andere Option, als die Füße stillzuhalten.“

Und das ist hart. Weil sie nebenbei am Sportinternat Knechtsteden arbeitet und dort unter anderem auf Fechter, Handballer, Leichtathleten und Taekwondoka trifft, ist ihr natürlich „bewusst, dass es alle angeht und du doch nicht so alleine bist.“ Aber unter welchen Bedingungen sich die weltweite Konkurrenz im Ringen auf die Qualifikationsturniere vorbereiten kann, weiß sie nicht. Ihre Hoffnung: „Wille und Gedankensteuerung sind unter Umständen entscheidender als zwei Wochen mehr Training.“

Als geradezu katastrophal bezeichnet die zweimalige EM-Bronzemedaillengewinnerin vor allem den Zeitpunkt der Krise. „Wir können ja nicht sagen, dann eben im nächsten Jahr. Olympia ist halt nur alle vier Jahre.“ Unabhängig davon hatte für sie allerdings schon vor der drohenden Absage festgestanden, „dass ich noch einen Zyklus bestreite, also bis Paris 2024 weitermache. Dann bin ich 31 – das kann man machen. Der Sport war in den vergangenen 17 Jahren mein Lebensinhalt und ich kann mir einfach nicht vorstellen, alles, was damit verbunden ist, jetzt schon aufzugeben. Zudem bin ich in meinem Studium noch nicht so weit, dass ich in einen Beruf einsteigen könnte. Ich brauche die Sicherheit als Sportsoldatin.“

Wenn den Menschen in und rund um Erfttal also in den kommenden Wochen eine ziemlich drahtige Radfahrerin und ein spitzähnlicher Hund mit schneeweißem Fell begegnen, sind das Nina Hemmer und ihr Yuki auf der Suche nach der „positiven Energie.“

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