Ringen Samuel Bellscheidt hat Appetit auf mehr

Neuss · Der junge Ringer des KSK Konkordia Neuss nimmt in Budapest zum ersten Mal an einer Männer-Europameisterschaft teil. In der Gewichtsklasse bis 72 Kilogramm kann der Griechisch-Römisch-Spezialist dabei ohne allzu großen Druck antreten.

 Das Trikot passt: Vor den kontinentalen Titelkämpfen in Ungarn hat Samuel Bellscheidt seinem athletischen Körper noch einmal rund sechs Kilogramm abgerungen.

Das Trikot passt: Vor den kontinentalen Titelkämpfen in Ungarn hat Samuel Bellscheidt seinem athletischen Körper noch einmal rund sechs Kilogramm abgerungen.

Foto: Ringen NRW

Jeder, der schon mal versucht hat, seinem Körper ein paar überflüssige Pfunde abzutrotzen, kennt das: Ist das Idealgewicht erstmal erreicht, kommt der Heißhunger. Da geht es Samuel Bellscheidt nicht anders. Für ihn als Ringer gehört es quasi zum Alltag, sich für Top-Wettkämpfe auf nationalem oder internationalem Niveau gleich mehrere Gewichtsklasse nach unten zu hungern. „Gewichtmachen“ oder „Abkochen“ heißt das im Fachjargon. Die Vorteile dieser extrem kurzfristigen Gewichtsreduktion – nach dem Wiegen bringt der Kraftsportler seinen dehydrierten Körper bis zum Kampf wieder auf sein ursprüngliches, natürliches Gewicht – liegen auf der Hand: Wer schwerer ist, kann mehr körperlichen Druck erzeugen, den Kontrahenten leichter aus dem Gleichgewicht bringen und bewegen. Weil Bellscheidt bei der EM in Ungarn in der Gewichtsklasse bis 72 Kilogramm an den Start geht, mussten in den Tagen vor dem ersten Duell am Samstag (ab 11.30 Uhr) mit Ulvu Ganizade aus Azerbaidschan noch gut zwei von ursprünglich mal sechs Kilogramm runter. Routine.

Alles andere als Routine ist für den Kämpfer des KSK Konkordia Neuss das Turnier in der 15.000 Zuschauer fassenden Budapest-Arena, gehört er im Debüt bei den Männern doch zu den jüngsten Teilnehmern. Er ist noch 20 (Geburtstag am 19. April), könnte also noch volle vier Jahre in der Altersklasse U23 um Titel ringen. Zählte er im Nachwuchsbereich stets zu den Medaillenkandidaten – bei den Anfang Juli in Dortmund ausgetragenen Junioren-Europameisterschaften hatte der Griechisch-Römisch-Spezialist in der Gewichtsklasse bis 72 Kilogramm Bronze geholt –, übt er sich nun wohlweislich in Bescheidenheit: „Man weiß nie, was passiert. Aber eine Medaille ist nicht das, um was es geht – das wäre schon eine Überraschung. Dafür habe ich diesmal nicht so den Leistungsdruck, von mir wird nicht so viel erwartet.“

 Für Deutschland bei der EM in Budapest im Einsatz (h.v.l.) Frank Richter, Pascal Eisele, Samuel Bellscheidt. (v.v.l.) Etienne Kinsinger, Fabian Schmitt, Mohammed Abdul Papi.

Für Deutschland bei der EM in Budapest im Einsatz (h.v.l.) Frank Richter, Pascal Eisele, Samuel Bellscheidt. (v.v.l.) Etienne Kinsinger, Fabian Schmitt, Mohammed Abdul Papi.

Foto: DRB

Er ist gekommen, um zu lernen auf dem Weg zum großen Ziel: „die Teilnahme an den Olympischen Spielen, irgendwann ...“ Ob es schon 2024 in Paris so weit ist, lässt er ausdrücklich offen. „Ich gucke nur von Tag zu Tag, alles andere macht keinen Sinn, das habe ich auch schon festgestellt.“ So bremste ihn Ende des Jahres ein Kapselriss im Finger für zwei Monate aus. Ein erzwungener Stopp, den der Sportsoldat (seit November 2020) nutzte, um sich mit seiner Zukunft abseits des Ringens zu beschäftigen. Die akademische Auseinandersetzung mit der Psychologie hat er inzwischen aufgegeben, „das war als Fernstudium doch relativ zäh.“ Die Sporthochschule Köln zieht er als lohnendere Option in Betracht.

Die damit zwangsläufig verbundene Doppelbelastung mit Leistungssport und Uni schreckt ihn nicht, daran ist er gewöhnt. „Das war schon in der Schule so, du rennst immer irgendwie hinterher. Zeitmanagment ist alles!“ Seit Januar ist er eigentlich ständig auf Achse: Praktisch im Wochentakt wechselten sich Stippvisiten im heimischen Mülheim mit Trainingslagern in Kroatien, Schweden und Ungarn ab, zuletzt verbrachte er eine Woche mit dem Nationalkader von Bundestrainer Maik Bullmann am Olympiastützpunkt in Heidelberg. Ein Leben aus dem Koffer. Aber er kennt es nicht anders.

Bei der Männer-EM betritt er dagegen Neuland. Gegen keinen der 15 fürs Turnier gemeldeten Kontrahenten ist er bislang angetreten, weiß indes um die gehobene Qualität des Teilnehmerfelds – auch ohne die starken Ringer aus Russland, Belarus und der Ukraine. Schon im Achtelfinale wartet in Ulvu Ganizade der EM-Dritte von Rom 2020. Im Viertelfinale ginge es entweder gegen den Bulgaren Deyvid Tihomirov Dimitrov (EM-Zehnter 2020) oder den Norweger Haavard Jörgensen (5. der U23-EM 2022 in Bulgarien).

Ganz gleich wie die Feuerprobe auch ausgehen mag, den kritischen Blick auf die Waage kann sich Samuel Bellscheidt in den kommenden Wochen schenken. Die Deutschen Meisterschaften in Frankfurt/Oder stehen erst Ende Mai (27. bis 29.5) auf dem Programm. Er dürfte also wieder nach Herzenslust reinhauen. „Aber ich halte das immer im Rahmen“, versichert der Topathlet schmunzelnd. „Früher habe ich mich dann oft überfressen. Das tat mir gar nicht gut, denn der Magen ist klein – letztlich ist es nur der Kopf, der essen will.“ Auch diese Erfahrung hat wohl jeder schon gemacht.

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