39. Neusser Sommernachtslauf Genug vom „Höher, Schneller, Weiter“

Neuss · Der Klassiker der Turngemeinde Neuss bringt die Menschen im Rhein-Kreis auch noch nach vier Jahrzehnten durch den Sport ganz eng zusammen.

 Schon beim Start des Laufs über 5000 Meter stehen Hagen Bierlich (mit Kappe) und Stephanie Breitkreutz (3048) in der ersten Reihe.

Schon beim Start des Laufs über 5000 Meter stehen Hagen Bierlich (mit Kappe) und Stephanie Breitkreutz (3048) in der ersten Reihe.

Foto: Georg Salzburg (salz)

Klar, 3677 von rund 15.000 Zuschauern an der Strecke gefeierte Läufer und Läuferinnen sind schon ein ordentliches Pfund, wenngleich nach den bis Mittwoch eingegangenen 3845 Voranmeldungen sogar eine Verbesserung der 2013 mit 4009 Finishern aufgestellten Bestmarke möglich schien. Doch vom Mantra „immer noch höher, schneller, weiter“ hat sich der Neusser Sommernachtslauf schon vor Jahren verabschiedet. Der am 16. Juni 1983 zum ersten Mal noch mit dem Zieleinlauf „d‘r Maat erop“ aufgelegte Mix aus vorgezogenem Schützenfest, Fackelzug, Wackelzug und Spitzensport steht mittlerweile vor allem für Begegnung und Vielfalt – und natürlich für die damit verbundenen (Lauf-) Geschichten.

Die von Tina Zeinlinger (SV Alpenadler) beginnt 2019, als die Siegerin des Altersklassenlaufs über 10.000 Meter trotz nicht unbeträchtlichen Talents ihren Tennisschläger aus der Hand legt und in die Laufschuhe schlüpft. Den ersten Wettkampf beendet die mittlerweile 26 Jahre alte Österreicherin aus Wien, die seit Juni 2022 als Redakteurin der Nachrichtenseite Business Insider über Themen rund um Wirtschaft, Geld und Finanzen berichtet, in 44 Minuten. Doch die von ihrem Freund Henrik Drossart, selbst ein erfolgreicher Kanute im Boot der Holzheimer SG, erstellten Trainingspläne bringen sie schnell voran. Der vorläufige Höhepunkt: In Neuss verweist die Absolventin der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten in Düsseldorf in 37:27 Minuten Melanie Kraus (48 Jahre), Olympiateilnehmerin von 2008 mit einer Bestzeit von 32:12 Minuten, auf den zweiten Platz (wie im Vorjahr) – und ist im Anschluss ganz aus dem Häuschen: „Mein erster Sieg! Ich freu‘ mich einfach so!“

 Tina Zeinlinger aus Österreich sicherte sich den Sieg über 5000 Meter nach einem von ihrem Freund Henrik Drossart (HSG) erstellten Trainingsplan.

Tina Zeinlinger aus Österreich sicherte sich den Sieg über 5000 Meter nach einem von ihrem Freund Henrik Drossart (HSG) erstellten Trainingsplan.

Foto: Dirk Sitterle

Ganz ähnlich empfand Stephanie Breitkreutz (ASV Duisburg) nach ihrem Erfolg in 17:23 Minuten über 5000 Meter. „Das ist für mich, die immer eine Mittelklasseläuferin bleiben wird, schon etwas Besonderes. Es ist total schön hier, und jetzt komme ich im nächsten Jahr ganz bestimmt wieder.“ Ins gleiche Horn stieß ihr Vereinskollege Lukas Ehrentraut, der seinen zweiten Platz in 35:30 Minuten über zehn Kilometer mit dieser Feststellung adelte: „Das ist das beste Ergebnis meiner Karriere ...“

 Rund 15.000 Zuschauern an der Strecke sorgten beim 39. Sommernachtslauf für Gänsehaut-Atmosphäre.

Rund 15.000 Zuschauern an der Strecke sorgten beim 39. Sommernachtslauf für Gänsehaut-Atmosphäre.

Foto: Georg Salzburg (salz)

Für den Sieg kam er wie im Übrigen alle Konkurrenten auch deshalb nicht in Frage, weil in Hagen Bierlich der Dominator zugegen war: In Neuss machte der Triathlet des FC Straberg einen ganz besondern Hattrick perfekt: Nach seinen Doppelsiegen beim Rosellener Abendlauf Mitte Mai und am Abend zuvor beim Grevenbroicher Citylauf räumte er auch vor dem Drusushof am Hamtor ab: Über zehn Kilometer war die Sache in 34:52 Minuten eigentlich schon nach der zweiten von insgesamt neun Runde gelaufen und über fünf Kilometer verwies er Luca Melsa (LT Stoppenberg/17:03) deutlich abgeschlagen auf Rang zwei. Unter anderen Umständen hätte ihm Habtom Tedros (TG Neuss) vielleicht Paroli bieten können, doch der Sieger von 2019 (31:32 Minuten) steckt zurzeit mitten in der Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Weil er kaum trainiert hat, begnügte sich das 2015 als Flüchtling aus Eritrea an den Rhein gekommene Lauftalent diesmal mit einem Start im „langsamen Fünfer“ für Läufer mit Zeiten jenseits der 25 Minuten, den er in 19:54 Minuten gewann.

Trinken, um den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen, war ganz wichtig.

Trinken, um den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen, war ganz wichtig.

Foto: Georg Salzburg (salz)

Da stand Hagen Bierlich schon längst unter der Dusche, obwohl er am Sonntag ausnahmsweise mal nicht irgendwo um einen Platz ganz weit oben auf dem Siegertreppchen lief. Und das hatte einen wunderschönen Grund: Im heimischen Pulheim stand nämlich die Taufe seines Söhnchens Mika Theo auf dem Programm. Vorher zog der stolze Papa lässig Bilanz. „Bitte nicht falsch verstehen, aber heute war das für mich hier relativ entspannt. Ich denke, ich habe das Wochenende ganz gut genutzt.“

 Das gut aufgelegte Moderatoren-Duo: André Scheidt (l.) und Eiko Pate.

Das gut aufgelegte Moderatoren-Duo: André Scheidt (l.) und Eiko Pate.

Foto: Georg Salzburg (salz)

Als Vierter über 10.000 Meter in 36:33 Minuten nur knapp am Podest vorbei lief Matthias Rück (TG Neuss), der beim Sommernachtslauf längst zum lebenden Inventar gehört. Doch der Lokalmatador, in der Altersklasse M40 nicht zu gefährden, sieht die Sache mittlerweile ausgesprochen gelassen, zumal er seinen Schwerpunkt schon seit einiger Zeit auf den Triathlon gelegt hat. „Der ist vielseitiger und macht mir einfach mehr Spaß.“ Die den langen Wettkampftag in der Neusser City abschließenden Team-Staffeln über vier Mal 1,1 Kilometer weckte indes seinen Ehrgeiz: Gemeinsam mit Imad Annaji, Nils Faggo und Ben Odenthal sicherte er sich als „TG Neuss und Friends“ in 14:28 Minuten vor Jannik Jansen, Dennis Thaller, Paul Winkelmann und Florian von der Ohe als „Keine Gnade im Tal“ (14:47) und der „Rasselbande“ mit Lukas Heinemann, Hugo Kamphoff, Ferdinand Reipen und Max Triller (15:03) Platz eins bei den Männer. Bei den Frauen gewannen die „Novesia Super Girls“ mit Johanna Dedecek, Jenne Friese, Felia Gerdes und Alina Ley (16:54) die wilde Hatz. Aus Treppchen und damit zur Siegerehrung mit dem am Samstag wieder viel beschäftigten Zeremonienmeister Thomas Gindra schafften es auch Filippa Kriependorf, Joke Ostendorf, Lisa Sels und Alva Semran als „Catch us if you can“ (17:33) und die TG Neuss mit Flora Feuring (2. über 5 km in 20:58 Minuten), Doreen Floß (3. über 10 km in 42:39 Minuten), Claudia Schmitz und Sabrina Stauten (17:34 Minuten.

Der Staffellauf über vier Mal 1,1 Kilometer sorgte wie immer für den stimmungsvollen Abschluss eines aufregenden Wettkampftages. Trotz harter Kämpfe um die beste Platzierung kam auf dem kurvigen Kurs niemand ernstlich zu Schaden.

Der Staffellauf über vier Mal 1,1 Kilometer sorgte wie immer für den stimmungsvollen Abschluss eines aufregenden Wettkampftages. Trotz harter Kämpfe um die beste Platzierung kam auf dem kurvigen Kurs niemand ernstlich zu Schaden.

Foto: Georg Salzburg (salz)

Weil bis auf eine Fahrt mit dem Notarzwagen ins Krankenhaus alles glatt lief, zog TG-Geschäftsführer Klaus Ehren, der seit 1994 jeden Sommernachtslauf im Orga-Team begleitet hat, am Ende zufrieden Bilanz: „Das war eine richtig schöne Veranstaltung.“

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