Handball NHV blamiert sich trotz erstem Sieg

Neuss · Beim glücklichen 29:28 über biederen Aufsteiger aus Soest lassen die Neusser wieder alle früheren Tugenden vermissen.

 Sein erster Auftritt im Trikot des Neusser HV dauerte gerade mal zweieinhalb Minuten, dann sah Filho Bedzerra (mit Ball), die brasilianische Neuerwerbung des Handball-Drittligisten, die Rote Karte.

Sein erster Auftritt im Trikot des Neusser HV dauerte gerade mal zweieinhalb Minuten, dann sah Filho Bedzerra (mit Ball), die brasilianische Neuerwerbung des Handball-Drittligisten, die Rote Karte.

Foto: Andreas Woitschützke

Hätten die ohnehin nur 180 Besucher in der Hammfeldhalle am Samstagabend einem Theaterstück beigewohnt, der größte Teil wäre wohl in der Pause nach Hause gegangen. Da es sich aber um Handball-Fans handelte, harrten sie tapfer aus - und erlebten, wie Drittligist Neusser HV einen 10:16-Halbzeitrückstand noch in einen überaus schmeichelhaften 29:28-Erfolg über den biederen Aufsteiger Soester TV verwandelte.

Doch trotz des ersten Saisonsieges blieben die Neusser auch in ihrem zweiten Heimspiel all das schuldig, was einstmals ihr Markenzeichen war. Statt einer geschlossenen Einheit netter Jungs von nebenan steht jetzt ein - handballerisch sicher besser ausgebildetes - Ensemble von Legionären auf dem Parkett, aktuell ergänzt um einen bereits 28 Jahre alten (!) Brasilianer (!!), dessen Debüt im NHV-Trikot gerade mal zweieinhalb Minuten dauerte, bevor er sich zu Recht mit einer Roten Karte bedacht auf der Tribüne wiederfand.

In dieser Woche, so ist zu hören, soll noch ein kroatischer Landsmann von Mittelmann Ivan Cosic dazu stoßen, womit der Neusser HV dann immerhin ein Alleinstellungsmerkmal besitzt: Als einziger Drittligist in der West-Staffel beschäftigt er vier ausländische Spieler. Schließlich, sagt Thomas Koblenzer, Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der neuen NHV1-Spielbetriebs-GmbH, ist die Dritte Liga ein knallhartes Profi-Geschäft ohne Platz für Sentimentalitäten. Wie Profis liefen seine Angestellten dreißig Minuten lang allerdings nicht durch die leere Hammfeldhalle. Eher wie ein kopfloser Haufen, dem es an einem Regisseur fehlt.

Das jedoch nicht wie in der Hinrunde der vergangenen Saison, weil von den damaligen "Aufstiegshelden" keiner die dazu notwendige Erfahrung besaß. Im Gegenteil, Erfahrung ist im Überfluss vorhanden: Die erste Sechs, die Trainer René Witte trotz der blamablen Vorstellung 23 Minuten durchspielen ließ, besaß das stolze Durchschnittsalter von 29,0 Jahren! Und in einer solchen Truppe, das kennt man von ähnlich zusammengestellten Kadern zur Genüge, ist jeder sich selbst der Nächste und jeder sein eigener Regisseur. Spielzüge, gar Spielwitz, das, was die Neusser in Ermangelung von erfahrenen Rückraumshootern einst auszeichnete und überhaupt erst in die Dritte Liga gebracht hat, sucht man beim "neuen" NHV vergebens. Anspiele an den Kreis oder auf Außen blieben wie schon beim Heimauftakt gegen Minden auch am Samstagabend Mangelerscheinungen.

Dass es überhaupt noch zum Sieg reichte, hatten die Hausherren den stärkeren Individualisten zu verdanken: Torhüter Michael Moldrup verteilte seine 17 Paraden gleichmäßig auf beide Halbzeiten, während sein Gegenüber Aaron Pfennig nach deren zehn aus dem ersten Durchgang in den zweiten 30 Minuten nur noch einen Ball hielt. Dass der 19-Jährige nicht ausgewechselt wurde, lag nur daran, dass die Gäste nur mit einem Torhüter angereist waren.

Besonders Christopher Klasmann (9/1 Tore allesamt nach der Pause) traf gegen ihn nach Belieben. Beim 17:16 (43.) durch ihn schien die Partie gedreht. Dass der NHV die hilflosen Gäste anschließend nicht schwindelig spielte, sondern wieder mit 19:22 (49.) und 22:25 (54.) in Rückstand geriet, zeigt schonungslos die Defizite im Spiel der Hausherren. Dass es am Ende dann 29:28 hieß, zeigt, dass die Neusser wenigstens kämpften. Aber das ist so, als ob man einen Schauspieler dafür lobt, dass er seinen Text beherrscht.

(NGZ)
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