Bewegungsmangel bei Kindern So wird „Neuss macht mobil“ sichtbarer

Neuss · Eine Plakette weist die Münsterschule als Teilnehmer des vom Stadtsportverband Neuss an 26 Grundschulen im Stadtgebiet vorgenommenen Motorik-Checks aus. Rektor Winfried Godde: „Die Situation ist seit Corona dramatisch.“

 Neuss macht mobil: (v.l.) Rektor Winfried Godde mit Leon Amrath und Gösta Müller vom Stadtsportverband Neuss vor der im Eingangsbereich der Münsterschule angebrachten Teilnehmer-Plakette.

Neuss macht mobil: (v.l.) Rektor Winfried Godde mit Leon Amrath und Gösta Müller vom Stadtsportverband Neuss vor der im Eingangsbereich der Münsterschule angebrachten Teilnehmer-Plakette.

Foto: Andreas Woitschützke

Die Lage ist durchaus dramatisch. Der Kinderschutzbund NRW schätzt, dass jedes sechste Kind im Lande übergewichtig ist. Der Grund: Bewegungsmangel. Als Folgen sind erwiesen: das Auftreten von Typ-2-Diabetes mellitus (Altersdiabetes), Erkrankungen von Herz und Kreislauf (Bluthochdruck, Herzinfarkt) und Erkrankungen des Bewegungsapparates (vor allem Sprung-, Knie- und Hüftgelenke und Rücken). Doch obwohl das Thema mittlerweile, wenngleich zaghaft, auch in der Öffentlichkeit angekommen ist, besteht weiterhin ein großer Aufklärungsbedarf bei Eltern, Lehrern, Erziehern und Politikern.

Und genau da setzt der Stadtsportverband (SSV) Neuss mit seinem Projekt „Neuss macht mobil“ an. „Seit 2019 unterziehen sich im Rahmen dieser Initiative Schüler und Schülerinnen der 2. Klassen an 26 Grundschulen im Stadtgebiet jährlich einem ,Motorik-Check’, ehe es an 14 weiterführenden Schulen in der fünften Klasse den ,Re-Check’ gibt“, erklärt Projektleiter Leon Amrath. Und um diese Idee auch für die Eltern der Kinder sichtbarer zu machen, hat der Stadtsportverband in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung ein spezielle Plakette entwickelt, die seine Partnerschulen explizit als Teilnehmer ausweisen. „Eine Art Qualitätsmerkmal sozusagen“, sagt SSV-Geschäftsführer Gösta Müller.

Die Wahrnehmbarkeit zu erhöhen, sei dringend angesagt, weiß Winfried Godde, Rektor der Münsterschule, deren Eingangsbereich an der Hafenstraße seit neuestem eines dieser Schilder schmückt. „Denn von zu Hause kommt da nicht viel.“ Die im Zentrum der Stadt liegende Grundschule hat sich dem von der Pandemie noch verstärkten Problem mit aller Kraft gestellt. „Wir merken doch, wie dramatisch die Situation seit Corona ist“, fährt Godde fort. „Es gibt Kinder, die noch nicht mal eine Kniebeuge schaffen.“

Weil der enge Campus kaum Raum zur körperlichen Entfaltung biete und auch keine Turnhalle zur Verfügung stehe, müssten die Schüler und Schülerinnen mit dem Bus zu den umliegenden Sportstätten, etwa die Halle der ehemaligen Barbaraschule, gebracht werden. „Damit bleiben für den eigentlichen Sportunterricht nur noch 25 Minuten übrig.“ Ein Trauerspiel. Aufgeben ist für Godde und das engagierte Kollegium indes keine Option. Ein Ausweg sind die vom Stadtsportverband aktiv unterstützten Kooperationen mit Sportvereinen wie der DJK Rheinkraft. Mehr Platz für die Kinder würde zudem der Abriss der ohnehin verwahrlosten Container direkt am Schulhof schaffen, sagt der Rektor. Und er macht klar: „Wir als Schule wollen unseren Kindern Bewegungsangebote machen. Ist nur die Frage, ob die Politik das auch will ...“ Darum sei der Motorik-Check auch als zusätzliche Argumentationshilfe wichtig. „Damit haben wir jetzt Ergebnisse, die wir vorweisen können.“

Amrath stößt ins gleiche Horn: „Die Ergebnisse zeigen uns, wo wir in Neuss im Hinblick auf die sportliche Förderung von Kindern und Jugendlichen Maßnahmen ergreifen müssen. Uns ist sehr daran gelegen, deren Bewegungszeit zu erhöhen.“ Die Teilnehmer-Plaketten seien auch gedacht „als Ausdruck unserer Dankbarkeit für die große Unterstützung und die positive Einstellung, die die Schulen im Hinblick auf den Stellenwert des Sport für Kinder und Jugendliche“ an den Tag legen.

Dass diese Korrekturarbeiten dringend vonnöten sind, bestätigt Professor Klaus Pfeifer, Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Bewegung und Gesundheit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er betont: „Im Kindes- und Jugendalter werden die Grundlagen für die körperliche Aktivität im Erwachsenenalter gelegt. Wer als Kind körperlich aktiv war, wird dies mit höherer Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsener sein. Und insbesondere dann werden die starken vorbeugenden Effekte von Bewegung gegen die Entstehung chronischer Erkrankungen oder für einen guten Umgang mit Stress besonders wichtig.“

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