Fußball Der Libero Jupp Hellingrath ist tot

Neuss · Nach schwerer Krankheit ist der ehemalige Fußballprofi von Fortuna Düsseldorf und Hannover 96, der nach seiner Sportkarriere in seiner urigen Kneipe „Zum Libero“ in Neuss Kultstatus erlangte, im Alter von 80 Jahren verstorben.

 Prost, Jupp! Von 1973 bis 2014 war die Gaststätte „Zum Libero“ so etwas wie das zweite Zuhause von Jupp Hellingrath.

Prost, Jupp! Von 1973 bis 2014 war die Gaststätte „Zum Libero“ so etwas wie das zweite Zuhause von Jupp Hellingrath.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Er war „Mister Zuverlässig“, bis zu seinem Abschied 1973 bestritt er für Hannover 96 152 Bundesliga-Spiele in Folge – ein Rekord, der beim DFB-Pokalsieger von 1992 erst 2015 durch Weltmeister Ron-Robert Zieler gebrochen wurde. Er war Aufstiegsheld, führte Fortuna Düsseldorf 1966 in die Bundesliga, wo er für zwei Vereine insgesamt 229 Mal zum Einsatz kam. Für die Menschen, die ihn gekannt haben – und das sind eine ganze Menge – war Hans-Josef Hellingrath, den alle nur „Jupp“ nannten, einfach „der Libero“. Der freie Mann, dessen Gaststätte „Zum Libero“ (1973 bis 2014) an der Hymgasse in Neuss schon Kult war, als das Wort noch nicht inflationär gebraucht wurde, starb am Dienstag im Alter von 80 Jahren nach schwerer Krankheit im Johanna Etienne Krankenhaus.

Na klar, in Erinnerung bleibt seine außergewöhnliche Karriere im Fußball. Er spielte mit Hannover 96 im Messepokal (dem Vorläufer des UEFA-Cups) gegen den SSC Neapel, vor 110.000 Zuschauern im kolossalen Estadio Santiago Bernabéu von Madrid gegen die spanische Nationalmannschaft, traf dabei auf den damals weltbesten Linksaußen Manuel Gento. „Das werde ich nie vergessen“, schwärmte er noch Jahre später. Er kickte mit – bei den 96ern formierte er gemeinsam mit Josip Skoblar und Jupp Heynckes das bei den Fans bis heute unvergessene „Jupp-Trio“– und gegen Superstars. Gerd Müller fügte ihm bei einem Zweikampf sogar mal eine Gehirnerschütterung zu, so dass er mit der Trage vom Platz musste. Auch auf der Amerikareise mit den Niedersachsen 1971 erwischte es ihn hart: Nach einer unglücklichen Kollision mit einem Gegenspieler verlor er vier Zähne, brach sich den Kiefer. Er blieb trotzdem auf dem Feld, um nichts in der Welt hätte er das Duell mit Pelé und dem FC Santos verpassen wollen. Davon zeugte auch ein Foto in seiner geliebten Kneipe.

Der „Jupp“ war wer im nationalen und internationalen Fußball, hatte schon als 17-Jähriger ein Angebot von Arsenal London, wollte aber nicht weg aus Neuss. Wahrscheinlich hätte er auch Karriere in der Nationalmannschaft gemacht, wenn da nicht „Kaiser“ Franz Beckenbauer gewesen wäre. „Er spielte leider auf meiner Position.“ Mit 33 Jahren zog es ihn nach München. Allerdings nur zu den Löwen, nicht zum FC Bayern. „Da zu spielen, wäre ein Traum gewesen, hat aber nie geklappt.“ Ein schon am achten Spieltag erlittener Kreuzbandriss beendete schließlich 1973 seine Laufbahn als Profi – und war gleichzeitig der Startschuss für seine zweite Karriere als Gastwirt.

 Aufstiegsspiel: Nach dem Bundesliga-Aufstieg mit Fortuna Düsseldorf am 26. Juni 1966 wird Jupp Hellingrath auf Schultern getragen.

Aufstiegsspiel: Nach dem Bundesliga-Aufstieg mit Fortuna Düsseldorf am 26. Juni 1966 wird Jupp Hellingrath auf Schultern getragen.

Foto: HORSTMUELLER GmbH

Im „Libero“ kam es 2007 auch zum mittlerweile legendären Treffen mit Bürgermeister Herbert Napp (1998 bis 2015) und Ex-Weltmeister Wolfgang Overath. Eingefädelt von seinem fast lebenslangen Freund Peter Mehler. Der war nämlich nicht nur von 1999 bis 2001 Präsident des VfR 06 Neuss, sondern kam in seiner Funktion als AOK-Regionaldirektor für das Rheinland und Hamburg auch mit Overath zusammen. Der zunächst rein berufliche Kontakt mündete in eine tiefe Verbundenheit, so dass der damalige Präsident des 1. FC Köln der Bitte Mehlers entsprach, aus der Domstadt an den ehemaligen Omnibusbahnhof in Neuss zu kommen, um seinen einstigen Bundesliga-Kontrahenten nach mehr als drei Jahrzehnten wiederzusehen. Zwischen den beiden gut aufgelegten Instinkt-Fußballern entspannte sich dabei eine ausgesprochen vergnügliche Kabbelei, in deren Verlauf Overath seinen Gegenüber zunächst als Grobmotoriker schmähte („Wenn ich mich recht erinnere, war der Ball zu Deiner aktiven Zeit nicht so Dein Freund.“), um ihn dann als Supertechniker zu adeln („Sonst kann er nachher die ganze Nacht nicht schlafen ...“). Das ihm beim Abschied überreichte Foto mit dem Konterfei des Weltmeisters von 1974 für die Fensterfront nahm Hellingrath darum nur unter Vorbehalt an, launig kommentiert mit dem Stoßgebet: „Hoffentlich schmeißt mir hier dann keiner die Scheiben ein.“

 Ein legendäres Treffen: (v.l.) Peter Mehler, Wolfgang Overath und Jupp Hellingrath 2007 in der Gaststätte „Zum Libero“.

Ein legendäres Treffen: (v.l.) Peter Mehler, Wolfgang Overath und Jupp Hellingrath 2007 in der Gaststätte „Zum Libero“.

Foto: Jazyk, Hans (jaz)

Ein typischer Hellingrath: mitunter bärbeißig, aber ausgestattet mit einem Herz aus Gold. „Jupp hat sich stets zurückgehalten, wollte nie im Mittelpunkt stehen und war immer hilfsbereit“, sagt Mehler und kramt bewegt in seinen Erinnerungen: „Ich habe ihn schon als kleiner Junge beim VfR Neuss verehrt– ich spielte in der D-Jugend, er in der A-Jugend. Schon damals war er eine Granate.“ Das an der  Hammer Landstraße geknüpfte Freundschaftsband hielt bis ganz zum Schluss. Mehler sah die Kinder Ralf und Anja aufwachsen, bangte mit ihnen und Mutter Irmtrud, als sich der Gesundheitszustand des Ex-Kickers vor zwei Wochen extrem verschlechterte. „Und jetzt ist er nicht mehr  da – und das tut weh, denn man hat nicht viele Freunde wie ihn.“ Sein Trost: Nichts stirbt, was in Erinnerung bleibt.

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